Heimat? Haltung statt Herkunft

Schnitzel am Teller
Demokratie muss Spannungsfeld zwischen dem Kosmopolitischen und dem Lokalen aushalten.

Was ist Heimat in Zeiten globaler Annäherung, von Zuwanderung und von Flüchtlingsströmen? Ist die 25-jährige Kellnerin in Attersee mit den schönen schwarzen Haaren, die einen perfekten einheimischen Dialekt spricht und armenische Wurzeln hat, eine Oberösterreicherin? "Ubi bene, ubi patria", zitiert Landesgeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer den Römer Cicero. "Wo es mir gut geht, dort ist mein Vaterland."

Esra Küçük, 31-jährige Politologin und Leiterin der Jungen Islam Konferenz in Deutschland, brachte bei den Reichersberger Pfingstgesprächen am vergangenen Wochenende eine neue Definition von Heimat ein. Es gehe um "Haltung statt Herkunft". Sowohl in Österreich als auch in Deutschland sei inzwischen jeder fünfte Bewohner ein Zuwanderer. Sie zitierte den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der von einem neuen deutschen Wir spricht, "das ist die Einheit der Verschiedenen". Deutschland solle sich als wirkliches Einwanderungslang, als Einwanderungsgesellschaft neu erzählen.

Küçük, die in Hamburg aufgewachsen ist und deren Familie wegen Verfolgung aus Mazedonien flüchten musste, definiert sich selbst Menschen mit "hybrider Identität. Sie bedeutet, dass ein Mensch sich zwei odermehreren kulturellen Räumen gleichermaßen zugehörig fühlt. Er ist sozusagen mehrheimisch."

Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie in München und ehemaliger SPD-Kulturstaatsminister im Kabinett Gerhard Schröder, sagte, die politische Praxis stehe vor der großen Aufgage , auf der einen Seite kosmopolitisch und auf der anderen Seite lokal zu handeln. "Eine Demokratie muss dieses Spannungsfeld aushalten." Der 60-Jährige bekannte sich zu internationaler Verantwortung. Er berief sich dabei auf die griechischen Stoiker, die sich zur Verantwortung gegenüber der Welt geäußert hätten. Ganz im Gegensatz zu den Epikureern, die den Rückzug auf das Eigene propagiert haben. Der Hunger in der Welt sei ein Skandal, die Menschenrechte hätten universelle Gültigkeit, auch wenn einzelne Diktaturen davon nichts wissen wollten. Er zitierte den Philosophen Immanuel Kant, der sich 1795 zum ewigen Frieden bekannt habe. "Alles, was der Staat tut, muss öffentlich und kontrollierbar sein", habe Kant gefordert. Eine Welt von Republiken würde keine Kriege führen. Diese These Kants habe sich bis heute bewahrheitet.

"Heimat ist nichts Nationales , schon gar nichts Nationalistisches", definierte Landeshauptmann Josef Pühringer seinen Heimatbegriff. Nur wer stark verwurzelt sei, könne sich der Welt zuwenden. "Heimatverbundenheit und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, sie bedingen einander." Wer heute Heimat sage, könne nicht nur österreichisch, sondern müsse auch europäisch denken. Heimat sei die Einladung zum Engagement, sie sei nicht die Einfrierung des Status quo. Er zitierte den Komponisten Gustav Mahler, der die Tradition als Weitergabe des Feuers und nicht der Asche definiert hat. Pühringer bekannte sich zur Entwicklungspolitik und zur Flüchtlingshilfe. Oberösterreich habe nach dem Krieg 130.000 Heimatvertriebene aufgenommen, "sie haben die Geschichte des Landes mitgeschrieben".

„Heimat bewegt uns alle. Sie unterstreicht die emotionale Seite im Menschen.“ Martina Hörmer, Geschäftsführerin von Ja!Natürlich, der Eigenmarkenabteilung von REWE International, diagnostizierte beim Pfingstgespräch der ÖVP im Stift Reichersberg eine Sehnsucht der Menschen nach Halt und Rückhalt, nach Verbundenheit, nach Echtheit und Transparenz. Zum einen werde dieser Heimatboom als Gegenbewegung zur Globalisierung verstanden, zum anderen sehne man sich im Zeitalter der Digitalisierung wieder nach Tradition und nach einem Ort, an dem nicht alles digital sei. Als Beispiel nannte sie das Magazin Servus in Stadt & Land. Während die Printmedien zu kämpfen hätten, sei das Produkt, das 2011 gestartet sei, mit rund 140.000 verkauften Exemplaren und einer Reichweite von 900.000 Lesern das auflagen- und reichweiten stärkste Monatsmagazin Österreich.
Die Bedeutung der Heimat spiegle sich im Wunsch nach regionalen Lebensmitteln wider. „Die vergangenen 20 Jahre hat es nach Bio keinen größeren Trend gegeben als Regionalität.“ Vor allem Frische, Qualität und guter Geschmack würden regelmäßig mit regionalen Produkten in Verbindung gebracht. „Oberösterreich spielt in unserer täglichen Arbeit eine große Rolle. Rund 1000 der insgesamt 7000 Bio bauern stammen aus Oberösterreich, mehr als die Hälfte sind Weidejungrind-Landwirte.“ Außerdem gebe es Lamm-, Kalb- und Schweinefleisch, Eier und verschiedene Obst- und Gemüsesorten.“ Ein Beispiel sei der Schlierbacher Rubin-Käse.
„In meiner Wahrnehmung ist Oberösterreich mehr als andere Budneländer bereit, seine gedanklichen Grenzen zu öffnen und nach Neuem zu suchen, allerdings nie, ohne dabei seine Wurzeln zu vergessen.“ Das wünsche sie dem Land: „Keep your head in the clouds and your feet on the ground. Wir brauchen eine Wurzel, wenn wir mit unserem Kopf überall gleichzeitig sein können.“

Christine Scheel, 18 Jahre lang Abgeordnete der Grünen im Bundestag und Mitglied des Konvents für Deutschland, gestand in ihrem Referat beim Heimat-Symposium der Volkspartei in Reichersberg durchaus zu, dass ihre Partei mit dem Begriff Heimat lange nichts habe anfangen können. Der Grund sei der Missbrauch durch die Nationalsozialisten gewesen. „Wir sind der Meinung, dass wir dem Begriff eine Modernität geben muss.“ Man müsse sich gegen die Instrumentalisierung des Wortes durch die Neonazis und Extremisten wehren. „Hier müssen wir mehr Aufklärung leisten.“
Sie kritisierte den Westen. „Wir nehmen alle Rohstoffe aus Afrika für unseren Wohlstand als Selbstverständlichkeit und wenn dann die Afrikaner zu uns kommen, sagen wir ihnen, dass sie nicht unserem Kulturkreis gehören.“ Sie plädiert für mehr Toleranz gegenüber den Anderen.

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