Dschihad-Verdächtigter klagt Republik auf Schadenersatz

Orhan in seinem leeren Lokal in Gmünd
Seit der Verfassungsschutz einen zu Unrecht Beschuldigten in seiner Pizzeria befragte, meiden Gäste das Lokal.

"Mein Pächter ist mir davongelaufen. Jetzt muss ich das Lokal gemeinsam mit meiner Frau führen. Aber mein Image ist kaputt, meist kommt den ganzen Nachmittag kein Gast mehr herein", klagt Ertugrul Orhan, 31, aus Gmünd im niederösterreichischen Waldviertel.

Alles begann, als im Februar zwei Beamte des Verfassungsschutzes in seinem Lokal in Gmünd auftauchten. "Sie haben sich mit mir an einen Tisch gesetzt und mir unangenehme Fragen gestellt. Unter anderem, wie ich zum Islam stehe, in welche Moschee ich gehe und sogar, wann ich nach Syrien reisen will", erzählt Orhan. Er stammt aus einer türkisch-stämmigen Familie, die seit vier Generationen in Österreich lebt.

Allerdings waren während der Befragung um die Mittagszeit Gäste und Personal anwesend, die zumindest einiges mitbekamen. Wenig später merkte Orhan die ersten Auswirkungen: Er fühlte sich von Leuten geschnitten, die ihn vorher normal behandelt hatten. Selbst Familienmitglieder seien auf der Straße angefeindet worden, sagt der Vater von vier Kindern. Dass es bei Orhan nicht den geringsten Hinweis auf terroristische Aktivitäten gibt, nützt ihm nichts.

Schaden

Doch neben dem emotionalen ist der wirtschaftliche Schaden bereits angerichtet. "Ich möchte vom Staat den Verlust ersetzt haben", sagt Orhan. Immerhin sei der Hinweis, der alles auslöste, wie sein Anwalt erfuhr, von einer Behörde gekommen.

Jetzt hat sich auch der Sicherheitssprecher der Grünen, Peter Pilz, eingeschaltet. Er hat eine Parlamentarische Anfrage an die Innenministerin gestellt. "Mich würde interessieren, ob generell Gewerbetreibende so behandelt werden. Durch diesen unverantwortlichen Polizeieinsatz ist eine Schädigung entstanden. Außerdem scheint der Verfassungsschutz zunehmend zu einem Instrument für Vernaderung zu werden", sagt Pilz. Der auch wissen will, von welcher Behörde der Hinweis kam.

"Ich möchte die Ministerin einladen, gemeinsam mit mir nach Gmünd zu fahren und in der genannten Pizzeria zu essen, damit die Leute in der Gegend wissen, dass das kein Terroristentreff ist", sagt Pilz.

Orhan befindet sich in einer Zwickmühle: Er hatte kräftig in das Gebäude investiert, doch nun bleiben mit den Gästen auch die Einnahmen aus. Deshalb auch die Frage von Pilz an die Ministerin: "Was werden sie unternehmen, um die Schädigung an Vermögen und Ansehen, die der Herr durch die Amtshandlung erlitten hat, wieder gut zu machen?"

"Anzeigenboom"

Dazu sagt Roland Scherscher vom NÖ Landesverfassungsschutz , der seine Leute verteidigt: "Der Vorgang war absolut korrekt. Herr Orhan hat unsere Leute eingeladen, zum Gespräch Platz zu nehmen. Im Lokal war auch nur ein einziger Gast anwesend. Nach unserer Erfahrung ist es den Leuten angenehmer, vor Ort ein informelles Gespräch zu führen, als sie in ein Amt zu laden." Die Polizei bekommt jedes Mal nach Anschlägen wie in Paris besonders viele Anzeigen. "Denen müssen wir nachgehen. Auch wenn jemand meldet, dass er eine Frau mit Kopftuch gesehen hat, oder dass jemand arabisch ins Handy spricht." Die Anzeigen-Zahlen sind in Niederösterreich zuletzt geradezu explodiert: Waren es 2014 insgesamt 104 (bei einem Viertel davon kam es zu Ermittlungen), so waren es heuer bis Ende Mai bereits genau so viele.

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