Behindert und mittellos

Behindert und mittellos
Drei Jahre nach Abschaffung des Pflegeregresses musste ein Mann sein gesamtes ererbtes Vermögen an das Land Niederösterreich abtreten.

Ich würde verstehen, wenn sie Rudis Besitz nach seinem Tod einziehen, aber dass man ihm schon zu Lebzeiten alles wegnimmt, ist einfach nicht fair." Die Worte stammen aus dem Mund von Mutter und Sachwalterin Monika K.

Rudi S. kann nicht für sich selbst sprechen. Der 33-Jährige ist nach einem Zwischenfall bei seiner Geburt behindert und wohnt in einem Caritas-Heim in Hollabrunn. Er versteht zwar, was man ihm sagt, spricht aber nur wenige Worte und kann seine Bewegungen nicht kontrollieren. Rudi S. braucht auch bei einfachen Tätigkeiten wie Essen oder Körperpflege Assistenz. "Mein Sohn ist von Geburt an behindert. Er hätte sich nie selbst etwas schaffen können", sagt Mutter Monika K.
Rudi S. ist nicht nur behindert, sondern seit Kurzem auch mittellos - und das, obwohl er nach dem Tod seines Vaters Erbe eines kleines Vermögens war. Rund 86.000 Euro hatte der junge Mann geerbt; 81.312 Euro und 39 Cent davon musste er ans Land Niederösterreich abtreten - als Kostenersatz für Pflege- und Sozialhilfeleistungen des Landes.

Pflege-Regress hieß die Praxis der Länder, für die Erstattung der Pflegekosten von Behinderten und Senioren auf das Vermögen der Betroffenen bzw. ihrer (potenziellen) Erben zurückzugreifen. Um tragische Regress-Fälle, wie jenen von Rudi S. zu vermeiden, wurde der Pflege-Regress in allen Bundesländern abgeschafft - in Niederösterreich hob der Landtag das entsprechende Gesetz 2008 auf.

Rudi S. hilft diese Gesetzesänderung nichts. Sein Vermögen wurde heuer eingezogen; drei Jahre nach Abschaffung des Pflege-Regresses. Sein Pech: Die Forderung des Landes betrifft die Jahre 2003 bis 2006 und somit eine Zeitspanne, in der das Gesetz noch in Kraft war.

Höchstgericht

Behindert und mittellos

Der Rechtsweg ist ausgeschöpft: Im Juli entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass die Forderung des Landes zu Recht besteht. Rudi S. bekommt die - vor dem Urteil gezahlten - 81.312 Euro nicht zurück. Für laufende Kosten und Anschaffungen bleiben pro Monat ein paar Hundert Euro Taschengeld.

"Wenn Rudi ein Mal im Jahr mit anderen Behinderten auf Erholung fährt, geht das nur, wenn ich es mit meinem Geld bezahle. Das Gleiche gilt für die Reit-Therapie, die ihm sehr gut tut", sagt seine Mutter im Gespräch mit dem KURIER.

Der Tullner Anwalt Werner Hetsch wollte einen Teil des ererbten Geldes "retten", hatte aber keinen Erfolg: "Für 35.000 Euro wäre ein Zimmer im Haus des Lebensgefährten der Mutter behindertengerecht ausgebaut worden und mein Mandant hätte dort ein lebenslanges Wohnrecht erhalten." Obwohl die zuständige Pflegschaftsrichterin damit einverstanden war, blitzte Hetsch beim Verwaltungsgericht ab.

Die nö. Sozial-Landesrätin Barbara Schwarz hat Verständnis für die Situation des Behinderten, kann aber nicht helfen: "Es mag stimmen, dass dieser Fall menschlich schwierig aussieht, aber wir haben Gesetze einzuhalten. Außerdem sorgen wir für Herrn S., er wohnt in einem Caritas-Heim und hat rund 500 Euro pro Monat zur Verfügung." An eine Wiedereinführung des Pflege-Regresses, wie er in der Steiermark beschlossen wurde, denkt Schwarz übrigens nicht. "Ich bin froh, dass es den Regress jetzt nicht mehr gibt."

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