Flüchtlingspolitik: Auf dem Weg zur "Festung Europa"
Die Meldungen erschütterten. "Wieder Hunderte Menschen im Meer ertrunken" war eine der häufigsten Schlagzeilen im vergangenen Jahr. Diese Menschen, vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien, versuchten Schutz zu bekommen, bevorzugt in Europa. Viele Regierungen, auch jene in Österreich, waren ob des Andrangs überfordert.
Anfangs gab es "Willkommenskultur". Getrieben von der FPÖ, die mit diesem Thema politisches Kleingeld schlug, war es damit bald vorbei. Rot und Schwarz verschärften Gesetze ("Asyl auf Zeit") – und legten Obergrenzen für Asylwerber fest. Heuer werden maximal 37.500 Anträge angenommen; bis 2019 in Summe nicht mehr als 127.500. Innenminister Sobotka drängt nun auf einen noch rigoroseren Kurs: Er will "Illegale strafrechtlich verfolgen".
Der KURIER blickt auf politisch prägende Momente zurück:
Nickelsdorf: Nadelöhr
Am 3. September versuchen die ungarischen Behörden, Flüchtlinge, die mit dem Zug nach Österreich und weiter nach Deutschland wollen, in ein Lager umzuleiten. Daraufhin machen sich Tausende vom Bahnhof Budapest-Keleti zu Fuß auf den Weg.
Am burgenländischen Grenzort Nickelsdorf kommen im Spätsommer 2015 täglich bis zu 7000 Flüchtlinge an. Die ÖBB, Bus- und Taxi-Unternehmen sorgen daraufhin für einen organisierten Weitertransport. Deutschland wirft Österreich vor, „Flüchtlinge durchzuwinken“ – und droht, Tageskontingente für die Aufnahme einzuführen.
Mitte Oktober macht Ungarn die Grenzen dicht. Regierungschef Viktor Orbán beschließt, keine Flüchtlinge mehr ins Land zu lassen. Am 18. Oktober kommen erstmals keine Flüchtlinge mehr nach Nickelsdorf. Die Route verlagert sich nach Süden, an die steirisch-slowenische Grenze. In Spielfeld wird daraufhin ein „Grenzmanagement“-System mit 3,7 km langem Zaun errichtet.
Erdberg: Quote & Quartiere
Wien übernimmt im November das Bundes-Asylquartier in Erdberg. Dort ist wenige Monate zuvor das Bild von KURIER-Fotograf Jürg Christandl entstanden, das ankommende Flüchtlinge während einer FPÖ-Demo zeigt.
Traiskirchen: Überforderung
Parallel dazu startet die Polizei ihre „Aktion scharf“ gegen Schlepper. Als Ende August 71 erstickte Flüchtlinge in einem Kühl-Lkw auf der A4 entdeckt werden, gerät das alles in den Hintergrund.
Ballhausplatz: Hilfe von Außen
An diesem Tag geben SPÖ-Kanzler Werner Faymann und ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner bekannt, einen „Regierungskoordinator für Flüchtlinge“ einzusetzen, den einstigen Raiffeisen-Manager Christian Konrad. Dessen Aufgabe (befristet bis 30. September 2016): Quartiere für Asylsuchende in Ländern und Gemeinden zu finden – bei Privaten und in Bundesgebäuden wie Kasernen.
Bis dato hat das nicht funktioniert, viele Bürgermeister wollen keine Flüchtlinge in ihren Kommunen.
Westbahnhof: Willkommenskultur
Über 10.000 Menschen beantragen im September 2015 Asyl in Österreich, im Oktober sind es über 12.000. Hilfsorganisationen und Hunderte Freiwillige helfen. Als Zeichen des Dankes und der Solidarität besuchen Politiker wie Bundespräsident Heinz Fischer den Westbahnhof. Die ÖBB werden später für ihr Engagement ausgezeichnet – und kritisiert.
Heldenplatz: Solidarität
Bundespräsident Heinz Fischer steht ebenfalls auf der Bühne. „Ich bin stolz auf euch, ich bin stolz auf Wien, ich bin stolz auf Österreich“, ruft er den 150.000 Menschen zu, die Solidarität mit Kriegsflüchtlingen bekunden. Und: „Ich wende mich nicht von denen ab, die Sorgen und Ängste haben. Ich wende mich von denen ab, die aus der Not der Flüchtlinge ein Geschäft machen, sei es ein wirtschaftliches oder politisches.“ Organisiert hat die Zusammenkunft die Volkshilfe.
Spielfeld: Festung Europa
Als er im Dezember tatsächlich gebaut wird, ist der Flüchtlingsandrang bereits abgeflaut – und Mikl-Leitner nimmt zum ersten Mal das Wort „Obergrenze“ in den Mund.
2015 werden rund 90.000 Asylanträge gestellt – das dürfe sich 2016 nicht wiederholen, betonen Mikl-Leitner und der neue Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, als beim Asylgipfel im Jänner die Obergrenze mit 37.500 fixiert wird.
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