Wildwuchs auf dem Trottoir

Wildwuchs auf dem Trottoir
Schanigärten – willkommener Platz an der frischen Luft und Ärgernis, weil sie selten ästhetisch sind und jedes freie Fleckerl einnehmen. Der Kampf um Platz im öffentlichen Raum hat längst begonnen.

Das Durchkommen ist mitunter schwierig Rudolf Schwarz, ein g’standener Wiener aus Favoriten ist ein streitbarer Mann. Wenn ihn etwas ärgert, kann er sich ganz schön ereifern. Im Moment sind es die Schanigärten, die ihn aufregen. "Von der Oper bis zum Stephansdom hab ich zehn Stück gezählt. Und bis auf zwei hat keiner von ihnen etwas Grünes. Dabei enthält das Wort Schanigarten doch das Wort Garten, und in einen Garten gehören Pflanzen."

Grün sucht man bei den meisten der fast 2.000 Wiener Schanigärten tatsächlich vergebens. Aber sie wuchern. Der Blick auf den Graben zeigt es. Unter hellen Sonnenschirmen drängt sich Tisch an Tisch, eingezäunt von Plexiglas und Metallbalustraden. Die Gärten nähern sich schon bedrohlich der Pestsäule. Die Fußgängermassen schieben sich im knappen verbliebenen Freiraum an den Auslagen vorbei.

Wildwuchs auf dem Trottoir

Ganz ähnlich in der Kärntner Straße. Das Sacher, Starbucks, gleich danach Casino Wien – erkennbar an den Plastiktischen mit Rouletterädern als Tischplatte, alle machen das schnelle Geld mit müden, durstigen Touristen. Danach Italic, Hotel Ambassador, die Konditorei Heiner, Gerstner, Skybar, Pizzeria Venezia und die Pfiff Bierbar. Den Abschluss bildet der Steffl-Kirtag vor dem Dom, der aussieht wie ein zeitversetzter Christkindlmarkt. Ein Lokal sieht aus wie das andere. Plastiktische, Plastiksessel, Plastikplanen, unter denen die Theken und Eisschränke bei Regen und in der Nacht verschwinden.

"Zeichen der Provinzialität und der Spießigkeit"

Wildwuchs auf dem Trottoir

Für viele ist das alles zu viel des nicht wirklich Guten. Architekturkritiker Jan Tabor sagt es deutlich: "Das ist ein Zeichen der Provinzialität und der Spießigkeit. Was sich auf Kärntner Straße und Graben abspielt, ist unerträglich. Eine Plage." Er konstatiert einen Kampf um den öffentlichen Raum. Streckenweise seien die Schani­gärten "eine Behinderung der Menschen." Öffentliche Bankerln sind verstellt, "die Leute können sich nicht einmal mehr setzen, ohne zu konsumieren." Das beste Beispiel hat er gleich vor seiner Haustür, am Alexander-Poch-Platz in der Leopoldstadt. "Früher haben hier Omas mit ihren Enkerln gespielt. Die haben keinen Platz mehr, es ist alles voll mit Schanigärten."

Nicht ganz so kritisch urteilt Reinhard Köck, dessen Juweliergeschäft am Graben liegt. Zufrieden ist er dennoch nicht. "Der Graben ist einer der schönsten Boulevards Europas. Eine solche Anhäufung von Schanigärten Da kann man nicht mehr flanieren. Die Situation ist wirklich verbesserungswürdig."

Das findet Ursula Stenzel, Vorsteherin des 1. Bezirks, nicht. "Ob es zu viele Schanigärten gibt oder nicht, ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. Ich habe den Eindruck, die sind alle gut besucht. Sie sind eine angenehme Bereicherung. Ein Geschmacksurteil will ich nicht abgeben." Das Aussehen der Schanigärten wurde mit der zuständigen Magistratsabteilung abgesprochen. Die Vorgabe: Sie sollen durch "qualitätsvolle Möblierung in das örtliche Stadtbild integriert werden". Nur dort, wo Parkplätze vernichtet werden sollen, ist Stenzel streng: "Neuansuchen werden nicht mehr genehmigt."

Wildwuchs auf dem Trottoir

Im Kampf um den öffentlichen Raum gewinnt also meistens das Auto. Davon ist auch Jan Tabor überzeugt, findet das aber schlecht. "Wenn es auf Kosten der Parkplätze geht, habe ich weniger dagegen." Vor allem an der Peripherie, die mit Lokalen ohnehin nicht gesegnet ist.

"Ich würde nie sagen, es gibt zu viele Schanigärten, denn sie machen den öffentlichen Raum nutzbar", meint hingegen Maria Vassilakou, für die Stadtplanung zuständige Stadträtin. "Die Anzahl der Tage mit mehr als 30 Grad hat sich in diesem Jahrzehnt verdoppelt. In Wien ist mittlerweile Usus, was wir aus südlichen Ländern kennen. Das Bedürfnis nach Leben im Freien ist gestiegen." Das Konzept für die Innenstadt findet sie gut. Allerdings müsse der Wildwuchs geregelt werden. "Die Ästhetik ist bei vielen leider nicht gerade preisverdächtig." Sie stößt sich an Plexiglaswänden und Einheitsblumenkisterln. "Aber sobald diese Abgrenzungen weg sind, stellen die Wirte zusätzliche Tische auf und der Schanigarten ufert aus."

Nicht überall vermehren sich die Schanigärten. Das Traditionscafé Drechsler beim Naschmarkt verlängert seine Sommerpause auf vier Monate und wird erst Anfang September aufsperren. Lokalchef Manfred Stallmajer bekommt keine Genehmigung für mehr als ein paar winzige Tischerln. "Ohne Gartengeschäft geht im Sommer nichts." Also meldet er seine 20 Mitarbeiter beim Arbeitsamt an und schließt. Mariahilfs Bezirksvorsteherin Renate Kaufmann bleibt allerdings hart. "Es geht mir um die Verteilungsgerechtigkeit. Würde ich dem Drechsler einen größeren Schanigarten genehmigen, kämen alle anderen und wollten das auch." Stadträtin Vassilakou würde dem Lokal immerhin ein Eckerl nicht benutzter "Gstättn" zur Verfügung stellen.

Dem streitbaren Wiener Rudolf Schwarz wird es recht sein.

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