Übersetzer des Narrativen

Werner Aisslinger
Er regt mit seinen Entwürfen neue Denkanstöße an: Industriedesigner Werner Aisslinger im Interview.

Die Kunst des Gestaltens liegt darin, Thematiken neu zu denken, aber nicht bei jedem Produkt ist das auch augenscheinlich. Warum ist es manchmal schwierig, den Grundgedanken sichtbar zu machen? Das ist wohl das schwierigste Unterfangen. Im Zuge eines Wettbewerbs für Hansgrohe Axor haben wir eine Armatur für das Badezimmer entworfen. Dabei ist uns bewusst geworden, dass an dem Ort der eigentlich der Intimste ist, die härtesten Materialien wie Stein, und Keramik verwendet werden. Absurd, oder? Unser Hybrid "The Sea and the Shore" ist Brunnen und Ablagefläche in einem und aus Ton. Dies betont inhaltlich die Langlebigkeit und den Wert des Wassers, der Gedanke wird auf verschiedenen Ebenen abgebildet, das Material ist Teil dieser Transformation.

Und trotz gut ausgebildeter Gestalter passiert es, das Design oft nicht besser, sondern schlechter wird. Ja, manchmal geht auch etwas daneben. Straßenlaternen zum Beispiel waren früher gut und einfach gestaltet. Mittlerweile wird ihr Aussehen immer kryptischer, aber nicht besser. Die Designeuphorie ist groß und jedes Unternehmen möchte diesen Aspekt mitverkaufen, aber nicht immer entsteht dabei Großartiges. Im besten Fall sind Designer Generalisten, im schlimmsten Dilettanten.

Form und Material sind es nicht allein, worin liegt also der wahre Mehrwert? Es geht in die Tiefe, es geht etwa auch darum, zivilisatorische Probleme zu lösen und nicht die Form zum tausendsten Mal zu ändern. Der wahre Mehrwert liegt im Inhalt. Der Endkunde von heute will eine Verbindung zum Gestalter haben, deshalb sind narrative Elemente wichtig. Es geht darum einen sozialen Konnex mit dem Kunden zu schaffen. Material, Produktionsmethoden, Geschichten und Emotionalität – wie ein Zahnrad, muss auch hier alles eine Einheit bilden. Ein Produkt allein reicht nicht mehr.

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Wir haben es vorhin angesprochen, Design kann auch fehlerhaft sein. Ist Werner Aisslinger fehlerhaft? Ich bin nicht unfehlbar und ich würde sagen zu meinen Schwächen zählt sicherlich, dass ich sprunghaft und kein Organisationsgenie bin. Ich glaube, ich habe in meinem Leben zu viel gearbeitet, aber das liegt bestimmt auch daran, dass die Arbeit eines Kreativen auch sein Privatleben ist, das kann man nicht trennen. Ein Angestellter geht am Wochenende Bergsteigen um auszuspannen und seine Woche zu kompensieren. Ich kann das nicht, ich lebe meinen Beruf.

Haben Sie eine Routine, wie Sie an Designaufgaben herangehen? Nicht wirklich, ich habe überall Einfälle und notiere sie, da gibt es kein Muster. Im Gegensatz zu früher formuliere ich heute meine Ideen etwas schneller und lasse diese zügiger in 3D umsetzen. Der Weg zum Prototypen, wo die Idee proportionsmäßig hinterlegt wird, ist schneller geworden. Aber das ist auch der Erfahrung geschuldet, weniger der Routine.

Wie wichtig ist es Ihnen, in verschiedenen Bereichen zu arbeiten? Ich möchte nicht derjenige sein, der pro Jahr nur fünf Stühle rausbringt. Wenn sich ein Büro darauf spezialisiert, dann ist das ok. Aber es ist eben nichts für mich. Egal ob ich eine Uhr, einen Krankenwagen oder ein Einkaufszentrum gestalte, am Ende des Tages geht es immer um Kreativität. Und ob, oder besser gesagt wo ich diese auslebe ist egal, zumindest für mich. Als Designer hat man diese Gabe, sich relativ zügig mit neuer Materialität sowie Thematik zu befassen und produktiv zu werden. Wenn also jemand morgen an meine Tür klopft und fragt, ob ich ein Fahrrad entwickeln möchte, dann würde ich ja sagen.

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Wie wichtig sind Ihnen Preise? Es ist schön, bedacht zu werden. Doch es ist nicht unähnlich wie in der Musikindustrie. Wenn man einen Hit gelandet hat, heißt das noch lange nicht, dass die darauffolgende Nummer auch einer wird. Es gibt keine Garantie, aber ab dem Zeitpunkt, wo man einen ersten Platz hat, entsteht automatisch der Druck, sich immer beweisen zu müssen. Mir persönlich bedeutet es mehr, wenn es eines meiner Objekte in die Sammlung eines Museums geschafft hat. Dadurch wird man Teil der Designgeschichte, das ist für mich die wohl schönste Form der Wertschätzung. Die konzeptionelle Arbeit an Ausstellungen bzw. in der kulturellen Welt allgemein finde ich inspirierend und essentiell. Aber ich bin kein Weltverbesserer.

Gruppierungen wie Memphis und Alchemia haben die Regeln des Funktionalismus provokativ hinterfragt, ausgehebelt – braucht es im Design wieder eine Revolution? Warum nicht, ich bin ein Befürworter von "Utopia"-Projekten, die vielleicht in der Vermarktung unrealistisch sind, aber wertvolle Denkanstöße bieten. Unser Beruf ist zu glatt geworden und er würde durchaus wieder Utopisten vertragen. Wobei eine derartige Formation heute ihre Schwierigkeiten hätte in Ruhe zu wachsen. Unmut wird heute sofort von Medien und Menschen absorbiert.

Es wäre interessant zu sehen, was eine kritische Auseinandersetzung heute bewirken würde oder vielleicht eben auch nicht. Vieles ist zu flach, zu kommerziell geworden, es gibt nur wenige Philosophien, die theoretischen Background erzeugen, wer macht das heute noch? Niemand.

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Was bedeutet Innovation heute? Sie kommt in jedem Fall aus der Datenwelt. Die Frage ist: Finde ich es toll, wenn meine Jacke weiß, ob ich mich im richtigen Pulsbereich bewege oder nicht? Und finde ich das noch immer gut, wenn meine Daten in weiterer Folge automatisch an Krankenkassen oder Suchmaschinen weitergeleitet werden. Ab da fängt es an komisch zu werden. Das Thema der Zukunft ist ganz klar: Wie kann ich Innovation so gestalten, dass es dem Individuum zugute kommt, ohne es dem Markt oder dem Netz auszuliefern, ohne Teil der Überwachungswelt zu werden. Also wie kann ich Innovation, die von der Internetwelt getrieben wird, sinnvoll kanalisieren – im Wesentlichen läuft es darauf hinaus. Es wird spannend sein, wem und wann es gelingt, darauf eine Antwort zu formulieren.

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Bis 17. September zeigt Aisslinger in der Paternoster-Halle der Neuen Sammlung in München seine Solo-Schau, die sich dem Thema Big Data bzw. einer dreidimensionalen Utopie widmet. Das Konzept ist eine futuristische Vorstellung vom Leben, von Robotern und anderen assistierenden Technologien sowie designorientiertem Fortschritt. Alle diese sind spielerisch und unprätentiös in unsere analoge Welt integriert und ohne größere Berücksichtigung in den Alltag eingebunden. Digitale Geräte und Schnittstellen bestimmen unser tägliches Leben. Die analoge Wohn- und Lebensvision umfasst etwa eine Drohne die durch die Räume fliegt und beim Wäscheaufhängen hilft: die Technik wird dabei zum Haustier, zudem wird ihr eine dezidierte Arbeit zugewiesen. Ein anderes Beispiel liefert etwa ein von ihm entwickelter Gartenroboter, der ebenfalls in das Haus integriert wurde. Er fährt Ackerfurchen und widmet sich dem Product Farming. Mithilfe eines Strickpullovers wird der domestizierende Charakter des Roboters unterstrichen. Statt vor Ehrfurcht zu erstarren wird er zum integrativen Bestandteil des analogen Alltags.
www.pinakothek.de
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Produktdesigner Werner Aisslinger wurde 1964 geboren. Er studierte an der Hochschule für Künste in Berlin und gründete hier 1993 das Studio Aisslinger. Er ist für das Experimentieren mit neuen Materialien und Technologien bekannt. Bislang konnte er Projekte für namhafte Marken wie Cappellini, Zanotta, Jaguar, Mercedes Benz oder Foscarini realisieren. www.aisslinger.de

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