"Stadien sind Orte der Sehnsucht"
Guido Pfaffhausen bleibt stehen, legt den Kopf in den Nacken und blickt sich um. "So richtig glauben kann ich es noch gar nicht." Es ist noch Juni, als uns der Architekt im Allianz Stadion im 14. Bezirk empfängt. Einer der wenigen Wien-Besuche, auch wenn sein Team immer vor Ort ist. Und eine der raren Möglichkeiten, mit dem Planer vorab einen Blick in die neue Spielstätte zu erhaschen – zwei Wochen vor der ersten Veranstaltung ist sie nicht mehr öffentlich zugänglich. Die Hitze drückt, der Beton schimmert in grünem Licht. Schuld daran ist die Dachhaut aus grünen und transparenten Kunststoffstegplatten, die den Vereinsfarben entsprechen. Eine der Grundideen Pfaffhausens, die er für das Neubauprojekt skizzierte. "Das ganze Stadion wird in diesem Ton erstrahlen, das war mir wichtig." Der gebürtige Duisburger marschiert weiter, sinniert. "Zuerst hast du die Idee, und dann wird sie eins zu eins umgesetzt. Verrückt."
Die letzten Sessel werden gerade montiert, bis zu 475 Arbeiter sind gleichzeitig auf der Baustelle. Am 16. Juli findet das Eröffnungsspiel gegen den FC Chelsea statt, bereits eine Woche zuvor dürfen Rapid-Mitglieder den ersten Schritt in die Arena setzen. Heute steht Pfaffhausen noch alleine auf der Fantribüne. "Fußball bedeutet für mich Stehplatz. Die Stimmung geht immer von hier aus und schwappt im besten Fall auf alle Seiten über." Dass er eine Leidenschaft für die Sportart hegt, braucht er nicht zu betonen. Es sei natürlich fein, wenn man sich in seinem Beruf mit einer solchen auseinandersetzen kann. "Sicher schöner, als eine Chemiefabrik zu bauen."
Was ein gutes Stadion braucht
Der Bezug wirkt sich aber auch auf die Konstruktion aus: Pfaffhausen weiß aus eigener Erfahrung, was ein Stadion braucht. Mit seinem 1992 gemeinsam mit Partnerin Sylvia Staudte gegründeten Büro ARC – Architektur Concept realisierte er bereits einige Mehrzweckarenen und Sporthallen, etwa in Abu Dhabi. Die Lehren aus der Praxis flossen in das Projekt in Hütteldorf mit ein. Denn so beeindruckend viele Stadien dieser Welt gestaltet sein mögen, sie müssen auch funktionieren. Architektur kann dies beeinflussen.
"Schauen Sie", sagt Pfaffhausen und zeigt nach unten. "Normalerweise sind die Mundlöcher, also die Abgänge, in der Mitte des Sektors. Bei jenem hinter dem Tor haben wir sie unterirdisch verfrachtet, damit durchgehende Fan-Choreografien möglich sind." Die Konstruktion sieht drei kontinuierliche, nur aus einem Rang bestehende, Tribünen mit einer Neigung von 31 Grad vor. Das macht das Objekt zum steilsten Stadion Österreichs. Ein Faktor, der sich auf die Atmosphäre auswirken soll. "Hexenkessel", sagt der 54-jährige Deutsche dazu.
Ein Hochhaus im Liegen
Rund 28.000 Menschen finden insgesamt Platz, bei internationalen Spielen sind es 24.000. Die vierte Tribüne beinhaltet Business- und VIP-Sitze, 42 Logen und sogar eine Dachterrasse. Daran schließt das röhrenförmige Hauptgebäude mit Metallfassade an: ein Hochhaus im Liegen, wie es scherzhaft genannt wird. Der Lieblingsbereich des Planers. "Ich sah das Vereinswappen und hatte die Idee: Warum machen wir es nicht so groß, dass man durchgehen kann?"
Es war der Einfall, der Architektur Concept gemeinsam mit der Baufirma Strabag wohl den Zuschlag im Totalunternehmerwettbewerb im Jahr 2014 gesichert hat. 20 Meter Durchmesser beträgt das Logo, das den Eingangsbereich der "Röhre" nun ziert. "Wir haben kein Stadion geplant, das an der Autobahn oder in der Wiese steht, sondern genau nach Hütteldorf zum Verein passt und die Identifikation stärkt", erzählt er. Authentizität spielt für Pfaffhausens Arbeit eine wichtige Rolle, sie sei ein Wert, der gute Architektur seiner Meinung nach ausmacht: "Ich bin aus dem Ruhrgebiet, da will man immer ehrlich sein."
Ort mit Geschichte
Zum weiteren Spektrum des Büros mit Standorten in Zwickau und Duisburg zählen Wohnbauten oder Schulen genauso wie Realisierungen in den Bereichen Landschaftsarchitektur und Stadtplanung. Egal, welches Projekt er betreue, eine gute Recherche ist für ihn der Ausgangspunkt: "Man muss wissen, worüber man spricht", sagt er und blickt sich um. Vor zwei Jahren wurde an dieser Stelle noch im Gerhard-Hanappi-Stadion gekickt, einer Sportstätte, die von dem namensgebenden Rapid-Spieler und Architekten geplant und 1977 eröffnet wurde. Allerdings entsprach sie nicht mehr den Anforderungen des 21. Jahrhunderts, die Bausubstanz war schlecht: 2013 wurde schlussendlich der Neubau beschlossen.
Um die Anrainer zu schützen, Sicherheit und Verkehr zu verbessern und den Westwind außen vor zu lassen, ist die aktuelle Arena im Vergleich zum Vorgänger um 90 Grad gedreht. "Das Areal ist sehr knapp geschnitten: So wenig Grundstück für ein Stadion gibt es selten." Kostenpunkt: 53 Millionen Euro, 20 Millionen davon steuerte die Stadt Wien bei, 3 Millionen ein Crowdinvestingprojekt. Errichtet wurde in Fertigteilbauweise: 10.800 Teile aus Beton erstrecken sich auf 21.500 Nutzfläche.
Das Makrolon-Kunststoffdach wird von einer 1300 Tonnen schweren Stahlkonstruktion getragen, wobei die ersten drei Reihen aus transparenten, die anderen aus grünen, transluzenten Kunststoffstegplatten bestehen und die Arena in die Farbe der Hoffnung tauchen. Als Reminiszenz an das alte Weststadion blieb ein Flutlichtmast erhalten, die neue LED-Beleuchtung ist am Dach bzw. dessen Kante angebracht. Die Bauzeit betrug insgesamt 18 Monate.
"Dritte Halbzeit wird immer wichtiger"
Im Inneren der Röhre wird noch gebohrt und gehämmert. "Die dritte Halbzeit wird immer wichtiger", sagt Pfaffhausen, "ich glaube, wir haben das gut berücksichtigt." In einer Kapelle können zukünftig Taufen ebenso wie Trauungen stattfinden, der Hospitality-Bereich für Seminare, Workshops oder Veranstaltungen genutzt werden. Durch das Wappen schreiten dann auch Mitarbeiter des Vereins sowie Besucher des Rapid-Museums.
Trotz der vielseitigen Verwertbarkeit war es dem Planer wichtig, ein reines Fußballstadion zu bauen. "Wir haben das so gemacht, wie es in England seit hundert Jahren steht: Steil, eng, ohne Laufbahn." Ob als MSV-Duisburg-Fan oder Musikliebhaber, Stadien sind für ihn Orte der Sehnsucht: "Es ist ein toller Platz, um etwas zu erleben. Ein Raum, in dem es keine Klassenunterschiede gibt und alles möglich ist." Davon wird sich Pfaffhausen beim Eröffnungsspiel persönlich überzeugen. Wie es ausgehen wird? "Mit einem Sieg von Rapid." Zumindest als Planer ist er Realist.
Auch der Stadtkonkurrent FK Austria Wien darf sich über eine neue Spielstätte freuen: Um 42 Millionen Euro wird das aktuell bestehende Bauwerk bis Sommer 2018 teilerneuert, erweitert und auf einen zeitgemäßen Standard gebracht. Für die Planung zeichnen die Architekten Gallister und Atelier Mauch verantwortlich: Die Nord- und Westtribüne wird abgerissen, neu gebaut und an die zweirangige Osttribüne angeschlossen. Damit erhält das in verschiedenen Ausbaustufen vergrößerte Objekt ein einheitliches Aussehen mit geschlossenen Ecken.
Neben einem großzügigen VIP-Bereich setzt der Verein auf ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept: Es wird das erste Stadion im deutschsprachigen Raum mit einer anerkannten Zertifizierung sein. Die Arena ist nur ein Teil des S.T.A.R.-Projekts, im Rahmen dessen auch Trainingsplätze, die Akademie sowie ein regionales Nachwuchszentrum geplant sind.
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