Bis 18. Juni steht der Wiener Sandleitenhof ganz im Zeichen des Kulturfestivals. Die Küchenskulptur von mostlikely leistet dabei gestalterisch sowie inhaltlich einen wesentlichen Beitrag.
Ein Zickzack aus maßgeschneiderten Brettern erstreckt sich von der Straße in das alte Kino hinein. Der insgesamt hundert Meter lange Tisch führt direkt in die Zentrale des SoHo in Ottakring-Festivals im Sandleitenhof. Die Küchenskulptur beruht auf einem Entwurf von Mark Neuner und Andreas Lint (mostlikely).
Der Tisch entstand in einer temporären Werkstätte im Sandleitenhof.
Anrainer und Bewohner sowie Mitarbeiter des Bockwerks haben beim Aufbau zusammengearbeitet. Die Idee dazu entstand jedoch andernorts: "Wir wurden von Künstlern gefragt, ob wir für sie einen Stand am Wiener Schwendermarkt gestalten können. Jedoch reichte das Budget nicht aus, also haben wir vorgeschlagen, einen Bausatz zu entwickeln, damit sie den Stand selbst bauen können", erklärt Mark Neuner. Sie konzipierten Baupläne, deren Basis zwei Brettformate bildeten, eines zehn und eines zwanzig Zentimeter breit. "Es gab viele Kreative sowie interessierte Anrainer, die den damals brachliegenden Markt und die Gegend beleben wollten. So ist auch die Idee entstanden, einen Tisch zu gestalten, der alle Beteiligten zusammenbringt." Die Ergebnisse fanden zwar Zuspruch, jedoch scheiterten sie an der Finanzierung. Gleichzeitig war dies die Geburtsstunde des "Sudden Workshop"-Prinzips von mostlikely.
Das "sudden workshop"-Prinzip eine Instrument für eine kreatives Miteinander.
Die Idee, mit zwei Brettformaten und einer Kappsäge einen partizipativen Austausch zu generieren, sprach sich schnell herum. Unter anderem auch bis zu den Verantwortlichen von SoHo in Ottakring, die kurz darauf mostlikely eingeladen haben, eine ähnliche temporäre Installation für das diesjährige Festival mit dem Thema Ernährung ("In aller Munde. Schmackhafte Details zum Netzwerk Ernährung") vorzubereiten. "Das Prinzip einer temporären Werkstätte ist ein unkomplizierter und schneller Ansatz, Leute zum Mitmachen zu bewegen. Das Werkzeug ist auf ein Minimum reduziert und lässt sich leicht von jedem bedienen", sagt Neuner.
Die Wohnhausanlage ist der größte Gemeindebau Wiens.
Die rote Tischoberfläche kann auch als Verweis gedeutet werden, denn schließlich ist der Sandleitenhof der größte kommunale Wohnbau des roten Wiens. Ein Gemeindebau wie viele andere? Nicht ganz, denn aus architektonischer Sicht bezieht das Objekt zudem eine bedeutende Stellung für die stadtplanerische Entwicklung der Stadt. Im weitesten Sinne hat der Komplex eine Vorreiterrolle übernommen. 1927 war es unüblich, einen Hof nach allen Seiten hin zu öffnen und mit vielen kleinen Plätzen, Grünflächen, Gemeinschaftseinrichtungen sowie unterschiedlich hohen Gebäuden zu gestalten.
Es war ein Plädoyer für das Offene, sowohl im gestalterischen als auch im übertragenen Sinn. Gleich mehrere Baukünstler waren für den Entwurf verantwortlich, doch ihre Konzepte orientierten sich alle an den gestalterischen Inhalten von Camillo Sitte. Der damals entstandene Dorfcharakter brach die zum Großteil vorherrschenden und in sich gekehrten Hofstrukturen. "Für uns ist das ein sehr schöner Anknüpfungspunkt. Denn viele der einst geplanten Gemeinschaftsflächen stehen heute leer. Mit unserer Küchenskulptur schaffen wir wieder einen Ort für die Menschen und sie werden Teil der Stadtgestaltung", sagt Neuner.
Bis 18. Juni soll auf der temporären Installation gemeinsam gekocht werden.
Eine Besonderheit ist auch die Tatsache, dass zu Beginn des Festivals keine Sitzgelegenheiten geboten werden, denn diese entstehen aus dem Tisch: "In den nächsten vierzehn Tagen wird die Skulptur sukzessive rückgebaut. Der Besucher kann, wenn er möchte, mithilfe eines Bausatzes von uns einen eigenen Hocker aus dem Tisch bauen." Ein Teil der Hocker wird nach dem Festival zur Nutzung der öffentlichen Räume des Sandleitenhofs zur Verfügung gestellt. Die andere Hälfte kann gegen einen Unkostenbeitrag privat erworben werden.
Die Idee eines Dorfes, die gleichzeitig auch die Vision eines harmonischen Miteinanders nährt, scheint selbst nach über 85 Jahren Thema zu sein. Damals musste die Architektur geöffnet werden, heute müssen Menschen an ein Miteinander erinnert werden. Mit Initiativen wie dem SoHo wird das Näherrücken und gemeinsame Gestalten urbanen Raums für jeden greifbar. Und die daraus entstandenen Qualitäten können vielleicht sogar die nächsten 80 Jahre überdauern.
Das biennal stattfindende Festival ist ein aus einer Künstlerinitiative entstandenes Kunstprojekt und -festival im urbanen Raum und wurde 1999 gegründet. In den ersten Jahren beschränkte sich der Aktionsradius auf das Brunnenviertel in Ottakring. Mittlerweile hat sich der Fokus nach Sandleiten verlagert, ebenfalls im 16. Bezirk. Ziel ist es, die Problematik ungenützter Räume in der Stadt sinnvoll aufzugreifen. Rund 80 nationale und internationale Kreative widmen sich mit 25 Projektenheuer dem diesjährigen Motto: „In aller Munde. Schmackhafte und weniger schmackhafte Details zum Netzwerk Ernährung“.
Detaillierte Angaben zum Programm und den unterschiedlichen Veranstaltungsorten finden Sie unter: www.sohoinottakring.at
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