"Niemand will beim Kochen scheitern"

"Niemand will beim Kochen scheitern"
Wie sieht die Küche der Zukunft aus? Das zu erforschen, ist Andreas Enslins Job. Der Industriedesigner sorgt für die Gestaltung der Haushaltsgeräte von Miele. Ein Gespräch über Missgeschicke, Brotbacken und Bronze.

Sie haben heuer anlässlich der EuroCucina in Mailand die Installation "The Invisible Kitchen" präsentiert, die einen Blick in die Zukunft wirft. Die gezeigte Küche verhindert das Anbrennen, schlägt Rezepte für den Kühlschrankinhalt vor, erkennt automatisch, welche Produkte im Topf sind. Sind diese Elemente bereits marktreif?

Diese Technologien gibt es schon, wenngleich einiges davon noch im Labor steht. Nicht alle Bausteine funktionieren bereits perfekt, bei anderen muss Europa vielleicht ein bisschen aufholen, etwa bei der Vernetzung. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass auch hier in den nächsten zehn Jahren die ersten Assistenzsysteme in die Küchen einziehen werden.

"Niemand will beim Kochen scheitern"

Braucht es dann überhaupt noch jemanden, der kocht?

Ja natürlich. Zwar kochen vor allem berufstätige Singles nur mehr am Wochenende, dies aber mit Hingabe. Man möchte etwas für sich tun, für seine Freunde, das ist ein Stück Lebensqualität. Wenn ich Gäste habe, schlage ich manchmal vor: ,Lass’ uns ein Brot backen.‘ Dann schauen mich alle an. Es ist einfach, aber man muss wissen, wie. Hier kann die Küche der Zukunft helfen. Es will doch niemand scheitern. Eine Brotbackautomatik kann Abhilfe schaffen. Oder eben ein Assistenzsystem, das mich unterstützt, wenn ich nicht mehr weiter weiß, mich ansonsten aber werken lässt. Soweit es geht, möchte ich es ja schließlich alleine schaffen.

"Niemand will beim Kochen scheitern"

Nimmt das nicht etwas von dem, was Kochen ausmacht? Das Ausprobieren, das durch unvorhergesehene Zufälle komponierte Gericht?

Nein, experimentieren kann ich ja weiter nach Lust und Laune. Das ist ungefähr so wie das Notbremssystem im Auto: Beim ersten Mal, wenn es sich ungefragt zuschaltet, erschrecken Sie vielleicht, sind dann aber froh, dass die Technik für einen sicheren Halt sorgt. Es gibt Situationen, da will ich nicht gefragt werden, da soll es einfach funktionieren. Hier ist es genauso. Unser Kochsensor kann zum Beispiel verhindern, dass Speisen anbrennen. Keiner freut sich über einen Kartoffelpuffer, der unten verkohlt ist, oder eingebrannte Milch. Da bin ich doch heilfroh, wenn mir ein System ein bisschen hilft.

Was war Ihr größtes Missgeschick?

Ach, mir passiert immer wieder mal etwas, zum Beispiel kochen mir mit schöner Regelmäßigkeit die Nudeln über.

Lässt sich allgemein sagen, dass die Technologie dem Küchendesign den Rang abgelaufen hat?

Nein, umgekehrt. All die Technik nützt nichts, wenn man sie nicht bedienen kann. Wir gestalten nicht mehr vorrangig das Objekt oder eine Oberfläche, sondern die Beziehung zwischen Kunden und Produkt. Sonst wird Technik nur mehr etwas für Spezialisten, wie früher bei Computern mit Eingabezeile. Den großen Fortschritt brachte Apple mit seiner grafischen, intuitiv nutzbaren Bedienoberfläche. Design baut eine Brücke zwischen Technologien und Menschen, damit sie damit auch umgehen können.

"Niemand will beim Kochen scheitern"

Wie sieht die zukunftsweisende, gut gestaltete Küche für Sie aus?

Im Moment ist die grifflose Küche, in der sich die Türen per Sensortaste öffnen lassen, zwar ein heißes Thema, aber auch erst der Anfang. Es wird überall Bildschirme und Projektionen geben. Die oft massiven Dunstabzugshauben haben sich bereits in Lichtobjekte verwandelt. In den Ballungsräumen steigen die Mieten, die Wohnungen werden kleiner, so dass platzsparende Kombigeräte im Vormarsch sind. Im urbanen Raum ist die offene Wohnküche eine Lösung, muss aber auch puristischer, zurückhaltender sein, schließlich ist sie die meiste Zeit ein Wohnzimmer. Und natürlich versuchen wir, unsere Geräte zu verbessern. Höhere Geschwindigkeit und Energieeffizienz sind beispielsweise bei Geschirrspülern gefragt.

"Niemand will beim Kochen scheitern"

Sie müssen bei der Entwicklung somit immer auch die Bedürfnisse und Emotionen der Gesellschaft analysieren. Ihr Urteil?

Lassen Sie mich das am Beispiel der Farben festmachen. Sie sagen viel über die aktuelle Gefühlslage einer Gesellschaft aus. Nicht umsonst war die Popkultur der 70er-Jahre von bunten, hell leuchtenden Farben geprägt. Es war eine Zeit des Auf- und Umbruchs, auch politisch. Gerade in Europa stehen heute eher Weiß und Grau im Vordergrund, was eine gewisse Unverbindlichkeit widerspiegelt: Man hat mehr Freiheiten, andererseits ist vieles unsicherer geworden, es gibt weniger Orientierung und Perspektive. Da sind Nichtfarben die sichere Wahl: zeitlos, ohne optisches Verfallsdatum.

Ihre Prognose: Aufbruch oder andauernde Melancholie?

Ich rechne damit, dass in ein, zwei Jahren vermehrt farbige Metalloberflächen wie Bronze den Ton in der Küche angeben. Silber und Schwarz werden später folgen.

Andreas Enslin wurde 1959 geboren. Während seines Industrialdesign-Studiums an der FH München gründete er mit zwei Partnern das Büro „Conceptform“. Nach der fünfjährigen Leitung des Grohe Designcenters in Hemer wechselte Enslin 2006 zu Miele nach Gütersloh. Seitdem sorgt der Deutsche als Leiter des Bereichs Design mit einem 42-köpfigen Team für die Weiterentwicklung der Produkte. Zudem fungiert er als der Vizepräsident des VDID Verband Deutscher Industriedesigner.

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