Interview Stefan Sagmeister: "Schönheit muss nicht teuer sein"
KURIER: Herr Sagmeister, Sie haben sich viele Jahre mit dem Thema Glück beschäftigt – unter anderem in einer großen Show und einem Film. Diese Woche eröffneten Sie mit Ihrer Agentur-Partnerin Jessica Walsh Ihre neue Ausstellung „Beauty“ im MAK. Wie kamen Sie auf das Thema?
Stefan Sagmeister: Die Erfahrung in unserem Studio in New York hat uns auf die Idee gebracht, der Frage nach Schönheit in der Gestaltung nachzugehen. Immer dann, wenn wir viel Liebe in die Arbeit an der Form stecken, funktionieren die Produkte besser. Es ist einfach, Dinge herzustellen, die funktional sind. Schwerer ist es, auch schöne Produkte zu erzeugen. Schönheit muss nicht teurer sein, aber für den Gestalter ist es schwieriger.
Was ist schön? Liegt Schönheit nicht im Auge des Betrachters?
Wir haben für unsere Ausstellung mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet, etwa mit dem Wiener Psychologen Helmut Leder. Aus Studien ist bekannt, dass die Hälfte dessen, was Menschen als schön empfinden, individuell ist. Bei der anderen Hälfte gibt es allerdings eine hohe Übereinstimmung. Wenn Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen gefragt werden, welche Form am schönsten ist, nennen die meisten einen Kreis. Am wenigsten mögen die Leute ein Rechteck. Und bei der Farbe ist es ähnlich: Die Lieblingsfarbe der meisten Menschen ist blau, braun mögen die wenigsten.
Und was ist Ihre Lieblingsfarbe?
Ich liege voll im Trend: blau.
Das braune Rechteck ist demnach das hässlichste Gebilde. Was schließen Sie daraus?
Wie wir wissen, spielt das braune Rechteck in der Architektur des 20. Jahrhunderts eine relativ große Rolle. Viele Gebäude sind aus funktionalen Gründen als braune Rechtecke gebaut. Das könnte ein Umdenken vertragen.
Sie wollen mehr Schönheit in die Architektur bringen?
Es gibt kein Design und keine Architektur ohne Funktionalität. Aber wenn das Ziel auch Schönheit wäre, würde die Qualität der Ergebnisse besser sein und die Menschen die Bauwerke mehr annehmen. In der gesamten Menschheitsgeschichte hat in der Architektur die Schönheit eine große Rolle gespielt. Eines der schillerndsten Beispiele dafür ist der Bau der Wiener Ringstraße. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Schönheit an den Rand gedrängt und durch einen ökonomischen Funktionalismus ersetzt. Dadurch sind Gegenden entstanden, die – obwohl sie funktionieren sollten – überhaupt nicht funktioniert haben. Manche Häuserblocks der 1970er Jahre etwa mussten 20 Jahre später gesprengt werden, weil niemand darin wohnen wollte. Auf Youtube gibt es unzählige Videos von explodierenden Häusern. Diese Wohnblocks hätten besser funktioniert, wenn Schönheit eine Rolle gespielt hätte.
Glauben Sie, dass es ein Umdenken hin zur Schönheit gibt?
Ja. Es gibt viele Beispiele zeitgenössischer Architektur, die nicht nur unter Kollegen als gut beurteilt, sondern auch von einem großen Publikum als schön empfunden werden. Der High-Line-Park in New York etwa, der auf einer ehemaligen U-Bahn-Trasse errichtet wurde, hatte zehnmal so viele Besucher, wie ursprünglich vorhergesagt, nämlich sechs Millionen Menschen pro Jahr.
Welches Gebäude gefällt Ihnen in Wien besonders gut?
Mein liebstes zeitgenössisches Gebäude in Wien ist die neue Wirtschaftsuniversität Wien beim Prater. Schon die Tatsache, dass die Planung nicht an eine Architekturfirma vergeben wurde, sondern an acht verschiedene, ist großartig. Man spürt beim Betreten, dass hier sehr gute Architekten am Werk waren. Man sieht, dass die Kleingliedrigkeit offensichtlich besser ist als eine große Masse. Das lässt sich auch wissenschaftlich belegen. Als ich zwei Wochen nach der Eröffnung dort war, fühlte sich der Campus wie eine lebendige Universitätslandschaft an. Das muss man mal hinkriegen.
In der „Beauty“-Ausstellung kommt Wien als eine der zehn schönsten Städte der Welt besonders gut weg. Was hat Wien, was anderen Städten fehlt?
Diese Behauptung stammt aus Umfragen verschiedener Reisemagazine. Obwohl diese Umfragen auf unterschiedlichen Kontinenten stattfinden, kommen immer die zehn gleichen Städte heraus. Neben Wien sind das etwa Paris, St. Petersburg, und Rio de Janeiro. Städte wie Pittsburgh oder Cincinnati sind nie dabei. Es gibt offensichtlich weltweit ein einheitliches Gefühl dafür, was eine schöne Stadt ausmacht.
Ihr Landsmann, der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier, sagte einmal, dass Menschen ohne Schönheit krank und böse würden. Wirkt Schönheit auf die Psyche?
Oh ja! Ich gebe Ihnen einen zeitgenössischen Vergleich. Twitter ist eine rein rationale Plattform. Es geht um eine bestimmte Buchstabenzahl in einer auswechselbaren Schrift auf weißem Hintergrund. Das entspricht gelebter Funktionalität. Auf keinem anderen der Social Media Kanäle benehmen sich die Leute so garstig wie auf Twitter. Auf der visuell geprägten Plattform Instagram finden sich dagegen deutlich weniger aggressive Beiträge. Ich bin überzeugt, das hängt unter anderem mit der Ästhetik der Kanäle zusammen. Schon der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat gesagt: Ethik ist Ästhetik.
Und Sie sagen: Schönheit ist nachhaltig. Wie kommen Sie zu diesem Befund?
Wir sitzen hier in einem Jugendstil-Raum, der mehr als hundert Jahre alt ist. Er wurde möglicherweise in dieser Zeit etwas aufpoliert oder leicht renoviert. Aber die Qualität dieses Zimmers ist so hoch, dass es in den nächsten hundert Jahren genauso aussehen wird wie jetzt. Das ist aus einem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit aus viel günstiger als ein Gebäude, das nach zwanzig Jahren wieder abgerissen wird, weil es aus der Mode gekommen oder hässlich ist. Ein anderes Beispiel ist meine Ledertasche. Die trage ich seit dreißig Jahren. Alle zwei Jahre lasse ich sie reparieren, dafür habe ich die vergangenen dreißig Jahre keine Neue gekauft. Sie ist so schön, dass ich dafür schon mal ein gratis Essen bekam. Eine Restaurant-Besitzerin in Hongkong meinte, dass sie mir mit dieser schönen Tasche keine Rechnung ausstellt.
Ausstellung „Beauty“ bis 31. März 2019 im MAK
Kommentare