"Im Grunde bin ich ein Stuhldesigner"
Im Schritttempo geht es durch den morgendlichen Berufsverkehr von London, einmal quer durch die ganze Stadt. Das Ziel: 24b Kingsland Road und eine kleine schwarze Tür, hinter der sich das Atelier von Jasper Morrison versteckt. Dass nicht einmal ein Namensschild an der Türglocke zu finden ist, passt zum Termin und zur Person, denn Morrison ist vieles nur kein Lauter. Das kreative Epizentrum des 57-Jährigen grenzt direkt an den eigenen Shop. Hier kann man fast alles kaufen, wo Morrison draufsteht. Das Büro des gebürtigen Londoner kommt ohne viel Schnickschnack aus, es ist hell und gemütlich. Ähnlich sieht es in seinem privaten Studio, im Dachgeschoß aus. Mit leiser, aber bestimmter Stimme erklärt er, warum Design oft fehlerhaft ist, er nicht mehr weiterarbeiten wollte und seinen Freunden selten Einrichtungstipps gibt:
Ich würde sagen, es war der Tag, an dem ich es mit einem meiner Produkte auf die Möbelmesse in Mailand geschafft habe. Es hat zehn Jahre gedauert, bis es endlich so weit war. Damals war die Ausstellung fest in italienischer Hand und somit war es etwas Besonderes, diesen Schritt endlich geschafft zu haben. Und ich denke, dass die Messe nach wie vor eine der wichtigsten Plattformen für Design ist.
Erst kürzlich wurden Sie zum Designer des Jahres gekürt. Wie wichtig ist Ihnen das?
Es ist schön, wenn an einen gedacht wird, denn bisher ist mir das nicht sehr oft widerfahren.
Was bedeuten Wörter wie Auszeichnung oder Ehrung für Sie?
Sie können in verschiedenen Formen überbracht werden, die Schönste ist, wenn eine Person, die ich beruflich schätze, meine Entwürfe für gut befindet.
Wie zum Beispiel?
Vor ein paar Jahren ist der italienische Designer Enzo Mari in Mailand auf Konstantin Grcic und mich zugekommen und sagte: ,Hallo, nur damit wir eines klarstellen, wir drei sind die Besten, okay?‘ Doch wer weiß, vielleicht hat er auch anderen schon dasselbe gesagt, aber mich hat es wirklich gefreut, es hat mir etwas bedeutet.
Sie haben unter anderem an der Hochschule für Kunst in Berlin studiert. Welchen Einfluss hat Kunst auf Ihre Arbeit?
Spielt es eigentlich eine Rolle, was Sie entwerfen?
Im Grunde genommen, würde ich sagen, bin ich ein Stuhldesigner, der auch gerne alles andere entwickeln möchte. Die Gestaltungsaufgabe muss mich überzeugen und ich habe keine Präferenzen, ob es dabei um Brillen, Sofas oder Telefone geht.
Was fasziniert Sie an einem Sessel?
Alte Entwürfe zu respektieren und neue zu entwickeln – es ist eine sehr strukturierte Angelegenheit, die zu meiner Denkweise passt.
Viele Gestalter sind auf der Suche nach dem idealen Stuhl. Haben Sie ihn bereits entworfen?
Können Sie überhaupt noch auf Stühlen sitzen, ohne sich darüber eine Meinung zu bilden?
Bedingt, denn natürlich benutze ich sie etwas kritischer als andere.
Auf der Messe in Mailand haben Sie heuer für elf Hersteller Produkte präsentiert. Haben Sie immer den Überblick?
Ich versuche es, aber es ist natürlich schwierig. An vielen der gezeigten Produkte haben wir bereits längere Zeit gearbeitet, zwischenzeitlich wurden sie zur Seite gelegt und überholt. Bei vielen kam es heuer zur Finalisierung, das hat mitunter auch zu diesem hohen Output geführt.
Das bedeutet, dass der eigentliche Designprozess fließend über Jahre hinweg andauern kann. Können Sie überhaupt je zur Ruhe kommen?
Das letzte Mal, als ich nichts zu tun hatte, war im Jänner 1991, und es war schrecklich. Ich bin gerne ständig in Bewegung.
Die Hälfte meines Lebens verbringe ich in Tokio, ich habe dort auch ein Büro und ich finde es äußerst entspannend, nichts zu verstehen. Ich bin ein Fremder an einem sehr interessanten Ort. Japaner sind ruhige Persönlichkeiten, das ist sehr angenehm.
Ist es ein Unterschied, ob Sie für einen asiatischen oder europäischen Hersteller entwerfen?
Die Herangehensweise ist mit Sicherheit eine andere. Japaner wählen mit Bedacht und entscheiden nicht überstürzt wie zum Teil manche Europäer. Hier ist alles eng getaktet.
Waren Sie jemals gelangweilt von dem, was Sie tun?
Haben Sie jemals bereut ein Designer zu sein?
Wann ist Design fehlerhaft?
Beinahe immer. Selten erfüllt Design tatsächlich seinen Job. Etwa wenn man sich daran sattgesehen hat, es zu teuer oder zu unbequem ist und es seine Funktion nicht mehr erfüllt.
Nur weil etwas einen Stempel erhält, heißt es noch lange nicht, dass es auch weiterhin ein Klassiker sein muss. Ich habe jahrelang gedacht ich muss einen Stuhl von Joe Colombo besitzen. Heute weiß ich, er ist zu laut, zu stark. Die Entwürfe der Dänen passen einfach besser zu mir. Es muss legitim sein, Dinge überdenken zu können – selbst Klassiker.
Wann sind Sie stolz auf Ihre Arbeit?
Wenn ein Produkt Teil des Alltags wird ist es mir lieber, als wenn ein Stück im Museum landet. Die einzige Aufgabe, die Design hat, ist, im Alltag nützlich zu sein.
Wie würden Sie Ihre Arbeit erklären?
Werden Sie oft von Ihren Freunden nach Einrichtungstipps gefragt?
Nein, denn ich habe einen sehr schlechten Ruf als Ratgeber, ich bin sehr direkt.
Jasper Morrison scheint immer ausgeglichen zu sein, was kann Sie aus der Ruhe bringen?
Wenn man, um ein Produkt zu vermarkten, etwas künstlich herbei zitiert. Ein Stuhl braucht keine Geschichte, es ist ein Sitzmöbel – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Setz dich darauf und es erzählt dir alles, was du wissen musst.
Welcher Ihrer Entwürfe ist Ihnen am ähnlichsten?
Der ,All Plastic Chair‘, es ist mein jüngstes Projekt und entspricht deshalb auch meiner Persönlichkeit, so wie ich mich zurzeit fühle.
Ein Stück ist also auch ein Teil der Person, die es gestaltet?
1959 wurde Jasper Morrison in London geboren, wuchs in New York auf und machte seinen Masterabschluss am Royal College of Art in London. Zudem studierte er an der Hochschule für Kunst in Berlin. 1986 gründete er sein eigenes Studio, mit welchem er unter anderem für Alessi, Alias Design Group, Cappellini, Flos, Franz Schneider Brakel (FSB), MAGIS, Rosenthal, Rowenta, Vitra arbeitete. Mit dem japanischen Designer Naoto Fukasawa konzipierte er eine Ausstellung und verfasste das Buch „Supernormal“, dass sich dem anonymen Design von Alltagsgegenständen gewidmet hat. www.jaspermorrison.com
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