Im Eifer des Geflechts
"Ich flechte alles, was mir in die Hände kommt." Geradezu draufgängerisch klingt der Satz, den Robert Roth formt. Untypisch für den 63-Jährigen, der sonst so bedachtsam und ruhig spricht. Und Dinge über sich sagt wie: "Ich bin kein Philosoph." Das Handwerk, das ist seine Welt. Hier, in der kleinen Werkstatt in Wiens zehntem Bezirk, hat er seinen Platz gefunden. Umringt von Sesseln, Rattanstreifen und Ruhe. Draußen befindet sich die Friedhofstraße, die man eher in einem Dorf als in der Bundeshauptstadt vermutet. Drinnen stapelt sich das Mobiliar, Klassiker der Designgeschichte sind durch seine Hände gegangen. "Das ist aufwendig und hält nicht gut, aber es ist halt ein Mies van der Rohe", sagt er und zeigt ein Foto.
Und wie das mit den dort Ansässigen so ist, wird Schönes gern vereinnahmt. "Sie haben es sich gekrallt und gesagt, das ist jetzt unser Geflecht – das Wiener Geflecht."Das Muster erinnert an Achtecke oder Waben und wird in sechs Arbeitsschritten hergestellt. "Es gibt ein System: Wenn man richtig anfängt, kann man nicht viel falsch machen. Diese Eindeutigkeit gefällt mir daran."
Zur Fixierung verwendet er Golftees, die als Stöpsel fungieren. "Seit ich sie kaufe, bekomme ich immer Angebote aus dem Sporthandel, von Golfschlägern bis zu -bällen." Handicaps sind für Roth aber höchstens Hindernisse, die es zu meiden gilt.
Die dritte Lage ist wieder längs, nur knapp neben der ersten. "Und die vierte Reihe wird nun endlich geflochten." Dabei geht es auf und ab: Die Schnur beim ersten Loch hinunter, beim zweiten hinauf, beim dritten hinunter, wieder hinauf, bis die Reihe fertig ist. "Anschließend flechte ich noch diagonal in beide Richtungen, nähe einen abschließenden Rand und es ist vollbracht." Zwölf bis fünfzehn Stunden verlangt eine Sesselfläche an Zuwendung, "je nachdem, wie es mir von der Hand geht." Pro geknüpftes Loch verrechnet er 2,50 Euro. "Reich kann man davon nicht werden."
Ums Geld geht es dem sympathischen Macher aber nicht, vielmehr um eine andere Form von Luxus: Lebenszeit, die angenehm und erfüllend verbracht wird. Ein Zustand, der keine Selbstverständlichkeit ist. Roth, der mit 19 Jahren zum Studieren nach Wien kam, ist ausgebildeter Architekt. Vor zwölf Jahren fand er jedoch zunehmend weniger Gefallen an der Profession: "Der Job hat sich verändert. Bauträger, EU-weite Wettbewerbe, Stress mit Behörden, das hat mir nicht mehr getaugt."
Das Herrichten von Möbeln war immer schon ein Hobby gewesen, also nahm er an einem Kurs im oberösterreichischen Kloster Schlierbach teil. Lehrinhalt: das Wiener Geflecht. Roth bewies Talent, sein Lehrer schickte ihm Kunden vorbei. "Zuerst habe ich gedacht, das ist ja kein Job. Aber dann sind es immer mehr Aufträge geworden." Im Jahr 2006 meldete er schließlich sein Gewerbe an.
Als einer von sechs bei der Wirtschaftskammer registrierten aktiven Korb- und Möbelflechter in Wien hält er ein Handwerk hoch, das vom Aussterben bedroht ist. War das Gasthaus seines Urgroßvaters August Kronberger, in dessen Hinterhof er arbeitet, noch voll mit Thonet-Stühlen der Nummer 14 und 18, ist zu bespannendes Mobiliar seltener geworden. Zudem bieten maschinell hergestellte Fertiggeflechte eine bequemere Alternative. "Bei einem Stuhl, der nicht dafür konzipiert wurde, ist das Sachbeschädigung", sagt Roth.
Sein Ziel ist, die Sessel wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen. "Die Möbel sind nur dann etwas wert, wenn sie ihr Originalgeflecht bekommen. Ich sehe mich schon mehr als Restaurator denn als Reparateur." In Kursen vermittelt er die Technik, auch in der Hoffnung, Nachahmer zu finden. Es sei ihm ein großes Anliegen, dass das Handwerk erhalten bleibt. "Und wenn ich hie und da Sozialkontakte habe, ist das auch nicht schlecht."
Für Abwechslung sorgte auch die in London lebende österreichische Designerin Stephanie Hornig, die mit Roth gemeinsam im Rahmen der Vienna Design Week 2015 dreidimensionale Elemente aus Rohrgeflecht formte: Taschen, Rucksäcke, Behälter, Hüte, Kappen. Anstelle des starren Holzrahmens verwendete Hornig Ledereinfassungen. Ein Experiment, das Roth eine erste größere Bühne für seine Kunst brachte. "Viele Dinge im Leben sind Zufall", sagt er. Auch, dass er im Flechtwerk seine Bestimmung gefunden hat. "Das ist ein sehr guter Zufall."
Draußen befindet sich die Sonne bereits im Untergehen. Robert Roth wird noch ein paar Reihen abschließen, dann ist es gut für heute. Morgen ist immerhin auch noch ein Tag. Und zwar einer, an dem er wieder die Fäden in der Hand hat. Ganz zu seiner Zufriedenheit.
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