Entspannter Routinier

Entspannter Routinier
Der Schweizer Gestalter Philippe Bestenheider verrät im Interview, warum sich ein Telefonanruf zur besten Intuition entpuppte und warum Naturwissenschaften seine Arbeit beeinflussen.

Wir sitzen auf einem bequemen Sofa, als Gestalter entwerfen Sie auch Sitzgelegenheiten. Liefert Ihnen jedes Sitzen Inspiration für neue Entwürfe?
Philippe Bestenheider:
Mit Sicherheit, wobei vieles im Unterbewusstsein passiert und richtig abschalten kann man eigentlich nie. Das ist aber gleichzeitig das Schöne an diesem Beruf – er beschäftigt, aber belastet nicht.

Seit zehn Jahren sind Sie selbstständig tätig. Wenn Sie zurückblicken, was hat sich am meisten verändert?
Philippe Bestenheider:
Anfangs hatte ich das Gefühl, dass man ständig, im Speziellen jedes Jahr auf Messen, unzählige Entwürfe veröffentlichen muss. Mit der Zeit habe ich verstanden, dass mein Tempo das einzig richtig ist, um gute Qualität abliefern zu können. Und wenn ich weiter zurückschaue – Alvar Aalto oder Walter Gropius haben auch nicht jedes Jahr Neues rausgebracht. Das beruhigt und zudem wird man mit der Zeit selektiver, routinierter.

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Hersteller
Stichwort Selektion: Nach welchen Kriterien suchen Sie Aufträge aus?
Philippe Bestenheider:
Mit sehr viel Bauchgefühl, zumindest was das Produktdesign betrifft. Mittlerweile realisiere ich auch viele Inneneinrichtungsprojekte, vom Design allein könnte ich nicht leben.

Worin liegt mehr Herzblut beim Möbel oder im Raum?
Philippe Bestenheider:
Innenarchitektur ist meist eine klassische Auftragsarbeit, meine Leidenschaft liegt ganz klar im Design. Aus anfangs kleinen Ideen entstehen mit der Zeit richtig große, diese zu erarbeiten ist zugleich mein wichtigster Antrieb.

Wann wissen Sie, ob eine Idee gut oder schlecht ist?
Philippe Bestenheider:
Meistens dann, wenn man nicht danach sucht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn man nach etwas Konkretem am Schreibtisch sucht, es meistens zum Scheitern verurteilt ist. Die besten Ideen kommen ohnedies ganz von alleine.

Entspannter Routinier
Bei Ihrer Arbeit gehen Sie von Geometrien aus und wie sich diese physisch zusammenbringen lassen. Generell gelten Naturwissenschaften als Ihre wichtigste Inspirationsquelle, wie kam es dazu?
Philippe Bestenheider:
Die Antwort ist naheliegend: Wir leben in einer physischen Welt, die nach Regeln konzipiert ist. Das lässt sich auch auf den Entwurfsprozess umlegen. Der Begriff Interferenz ist ebenfalls wichtig. Während meines Studiums habe ich mich viel mit dem amerikanischen Architekten und Konstrukteur Richard Buckminster Fuller befasst. Er hat die geodätischen Kuppeln entwickelt und damit die Physik neu geschrieben. Seine Inhalte und Ansätze finde ich sehr spannend.

Macht es einen Unterschied, für welchen Hersteller Sie arbeiten?
Philippe Bestenheider:
Nein eigentlich nicht, das Wichtigste ist, dass der Dialog zwischen Gestalter und Firma klappt.Wir haben vorhin bereits Ihr zehnjähriges Jubiläum angesprochen.

Gibt es Dinge, die Sie bereuen?
Philippe Bestenheider:
Klar, man kann nicht immer alles kontrollieren, es gibt sicherlich einiges im Nachhinein betrachtet, wo ich vielleicht nicht stark genug war, um dafür zu kämpfen. Natürlich muss man auch Kompromisse eingehen können, aber nicht um jeden Preis.In den letzten Jahren präsentieren viele Hersteller auffallend viele Erweiterungen von Serien.

Wenn Sie gestalten, planen Sie, obwohl nur ein Entwurf gewünscht ist, Zusatzelemente gleich mit?
Philippe Bestenheider:
Prinzipiell ist das ein positives Signal, wenn Produktfamilien ergänzt werden sollen. Auch bei meinen Entwürfen bedenke ich weitere Elemente immer mit. Es ist wichtig weiterzudenken.

Entspannter Routinier
Eigentlich haben Sie Architektur studiert, wie kam es zum Schwenk hin zum Industriedesign?
Philippe Bestenheider:
In der Schweiz gab es damals keine adäquate Ausbildung, also habe ich mich für das Nächstliegende entschieden: Baukunst. Erst danach konnte ich in Mailand das studieren, was ich wollte.

Und dann kam Ihr berühmter Anruf.
Philippe Bestenheider:
Ja, stimmt. Während meines Studiums an der Akademie habe ich etwa die Werke der spanischen Designerin Patricia Urquiola kennengelernt und mir gedacht ,Okay, für die will ich arbeiten‘. Ich nahm den Hörer in die Hand, rief an, probierte mein Glück und sie nahm mich. Das war damals eine verdammt gute Intuition, die für meinen beruflichen Werdegang enorm wichtig war.

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Haben Sie Idole?
Philippe Bestenheider:
Nicht im herkömmlichen Sinne, aber Musiker finde ich zum Beispiel inspirierend und spannend.

Wenn Sie Ihre Arbeit mit einem Musikstil charakterisieren müssten, welcher wäre das?
Philippe Bestenheider:
Free Jazz – melodiös und rhythmisch.


Zur Person

Entspannter Routinier
1971 im Sion (CH) geboren, machte Bestenheider 1998 seinen Abschluss (Architektur) an der ETH Zürich, bevor er Industriedesign an der Mailänder „Domus“-Akademie studierte, wo er selbst mehrere Jahre lehrte. Danach arbeitete er fünf Jahre für Patricia Urquiola und gründete 2007 sein eigenes Studio. Sein Stuhl „Nanook“ wurde mit dem italienischen Innovationspreis „premio dei premi “prämiert.
www.philippebestenheider.com

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