"Einfamilienhäuser müsste man in Österreich für Jahre nicht bauen"
Der Leerstand im eigenen Haus ist ein gerne verdrängtes Thema. Oft wird in Österreich unverdrossen gebaut, als sei das Zusammenleben der Kernfamilie ein Dauerzustand. Julia Lindenthal beschäftigt sich damit, was passiert, wenn das Haus zu groß geworden ist. Lösungen sieht die Architektin in der Umwandlung vom Einfamilien- zum Mehrpersonenhaus und dem Mut zu Hausgemeinschaften.
KURIER: Das Einfamilienhaus ist laut Umfragen unerschütterlich die beliebteste Wohnform der Österreicherinnen und Österreicher, auch bei jüngeren. Wird da nicht oft am späteren Lebensmodell vorbeigebaut?
Lindenthal: Das kann man so sehen. Man überschätzt dabei, wie kurz die Phase ist, in der man als Familie zusammenwohnt. In der Regel ziehen die Kinder nach zehn bis 15 Jahren weg. Dann ist es bald einmal kein Einfamilienhaus mehr, sondern nur mehr ein Paarhaus. Wir haben statistisch immer weniger Kinder, zugleich werden wir immer älter. Es gibt außerdem deutlich mehr ältere Singles.
Trotzdem ist das Lebenskonzept vom eigenen Haus mit Garten unverändert beliebt. 68 Prozent der Österreicher mit 18 bis 39 Jahren sagten in einer GfK-Studie von 2013, dass sie in einem Einfamilienhaus leben wollen. Woran könnte das liegen?
Es gibt diesen Wunsch, 'sein Eigenes' zu haben, vielleicht auch 'möglichst allein' zu wohnen. Daher werden immer neue Einfamilienhäuser errichtet, weil man glaubt, das sei die Bauform, in der man sich am besten verwirklichen kann. Man denkt, auf diese Weise die größte Gestaltungsfreiheit zu haben und sein Geld gut zu investieren. Allerdings sind besonders die Häuser mit einem individuellen Touch, in denen sich die Menschen baulich verwirklicht haben, Jahrzehnte später oft schwer verkäuflich.
Die Spätfolge dieses "Wohntraums" sind oft Häuser, die im Alter als zu groß und möglicherweise mit den Jahren sogar als Last empfunden werden. Was könnte man machen?
Es ist ganz legitim, dass man es genießt, nach dem Auszug der Kinder viel Platz und Ruhe zu haben. Aber man übersieht vielleicht, rechtzeitig die Weichen zu stellen, um seinen Wohnbereich für das Alter zu verändern und zu verkleinern. Das Zeitfenster, in dem man sich eine neue oder eine gemeinschaftliche Nutzung für das eigene Haus überlegen kann, ist klein. Dies muss geschehen, nachdem die Kinder fort sind und bevor für einen Umbau dann die Kräfte fehlen. Immer mehr Leute erkennen, dass sie keine Lust haben, das Älterwerden in einem großen Haus alleine durchzustehen.
Sie arbeiten am Ökologie-Institut an einem Internet-Tool, mit dem Menschen die Nachnutzung oder Teilung ihres großen Hauses besser planen können, dem Rehabitat-Immocheck+. Wie funktioniert das?
Im Rehabitat-Immocheck+ haben wir Grundlagen für Werkzeuge entwickelt, die sowohl digital als auch analog funktionieren. Sie bestehen aus einem Fragenkatalog und einem Raumnetz, das ist ein vereinfachter abstrakter Grundriss. Dieser hilft zu veranschaulichen, wie viele Zimmer man hat, in welchen Geschoßen sie liegen und wie sie miteinander verbunden sind. Damit lässt es sich gut weiterarbeiten und es kann sowohl das Entwicklungspotenzial eines Hauses dargestellt als auch auf die jeweiligen Wohnbedürfnisse eingegangen werden. In unseren Workshops haben wir zum Beispiel gemerkt, dass den Leuten oft nicht bewusst ist, wie viele Räume sie fast gar nicht mehr nutzen. Da gibt es richtige Aha-Effekte.
Sie wollen mit dem Projekt auch eine Anregung geben, wie man Einfamilienhäuser zu Mehrpersonenhäusern und Hausgemeinschaften umgestalten kann. Dafür haben Sie neun Wohnformen definiert, darunter die Voll-WG, die Teil-WG und das sogenannte Clusterwohnen. Letzteres bedeutet: getrennte Wohneinheiten, aber auch gemeinsam genutzte Zimmer. Welche Nachnutzung ist am beliebtesten?
Im Falle einer neuen Nutzung kann man sich in Österreich am ehesten das geteilte Einfamilienhaus mit getrennten Wohnbereichen und eigenen Eingängen vorstellen. Aber auch die Kombination der Wohnfläche mit Büro, Praxis oder Werkstatt und die Integration einer Wohnmöglichkeit für eine 24-Stunden-Pflegekraft sind spannende Modelle für die Zukunft. Eine Hausgemeinschaft hat einfach viele Vorteile. Man kann einander helfen und unterstützen. Wenn zum Beispiel der eine Urlaub macht, kann der andere sich um Haustiere oder Pflanzen kümmern.
Wäre nicht der typische Weg, sein Einfamilienhaus zu verkaufen und stattdessen in eine kleinere Wohnung umzuziehen?
Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, das ganze Haus an eine junge Familie zu verkaufen oder zu vermieten. Wir haben diese Variante "Neustart" genannt. Aber oft gibt es eine starke emotionale Bindung an das Haus und auch an die Umgebung. Das gilt für Eigentümer wie für Mieter. Umziehen würde dann viele überfordern.
Wie sollte man denn heutzutage ein Einfamilienhaus am besten bauen?
Man müsste in Österreich für viele Jahre überhaupt nicht mehr bauen, wenn man anfangen würde, den riesigen Berg an bestehenden leerstehenden Häusern neu zu nutzen. Wenn man aber dennoch ein Einfamilienhaus bauen will, sollte man Möglichkeiten für die Nachnutzung und für die spätere Teilbarkeit gleich mitdenken.
Zur Person: Julia Lindenthal hat Architektur an der TU Innsbruck und an der ETSAM Madrid studiert und in diversen Architekturbüros im In- und Ausland gearbeitet. Ihr Schwerpunkt liegt heute auf Wohnbauforschung und Beratung. Am Österreichischen Ökologie-Institut ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich "Stadt Bau Region". Die 46-Jährige beschäftigt sich dort neben der Revitalisierung leerstehender oder untergenutzter Gebäude mit den Themen "Wiederbelebung von Ortszentren" und "Kreislaufwirtschaft in der Baubranche".
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