Eine Geste für die Gäste

Eine Geste für die Gäste
Andreas Rath, der in der fast 200-jährigen Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr für das Stammhaus in der Wiener Kärntner Straße zuständig ist, über Willkommenszeichen, Trends und altes Blümchenporzellan.

KURIER: Ein aufwendiges Menü braucht viel Zeit in der Küche. Wie lange braucht ein gedeckter Tisch?
Andreas Rath:
Zwischen 20 Minuten und einer Stunde – vorausgesetzt man überlegt sich vorher, was man tut. Wenn man erst zu experimentieren beginnt, kann man gut und gerne auch einen halben Tag damit verbringen.

Was macht für Sie eine stilvolle Tischgestaltung aus?
Wichtig ist, dass der Tisch dem Anlass und den Gästen entspricht. Es hat keinen Sinn, wenn man Freunde zu einer gemütlichen Runde einlädt und dann im Stil von Ludwig dem XIV. aufdeckt. Der Tisch soll ein Willkommenszeichen an die Gäste sein und zeigen, dass man sich etwas überlegt hat. Das kann man übertreiben, aber auch untertreiben.

Eine Geste für die Gäste
Andreas Rath, Geschäftsführer des Wiener Traditionsunternehmens Lobmeyr, am 12.12.2017 im Interview.

Wie findet man das richtige Maß?
Mit Überlegung und Erfahrung. Je mehr Routine, desto einfacher wird es. Im Zweifelsfall gilt: Lieber wenige, aber hochwertige Stücke. Man kann sehr reduziert decken und trotzdem eine große Wirkung erzielen. Wichtig ist die Qualität – sie ist ein Zeichen der Wertschätzung den Gästen gegenüber.

Gibt es Trends in der Tischkultur?
Ja, die gibt es. Sie werden meistens in Restaurants sichtbar. Momentan ist Keramik stark gefragt. Es gibt sehr lebendige Formen mit interessanten Glasuren in Naturtönen. Diese Entwicklung nehmen wir sehr positiv wahr – sie zeigt, dass der Teller wieder mehr als eigenständiges Objekt wahrgenommen wird.

Eine Geste für die Gäste
Lobmeyr Glas

Was kaufen Kunden am meisten?
Tatsächlich die reduzierte, weiße Form – Modelle, die das Zeug zum Klassiker haben oder schon solche sind. Wer Manufakturporzellan kauft, will es schließlich viele Jahre nutzen und sich lange daran erfreuen. Auch das Interesse am neuen Melange-Set von Lucy.D ist derzeit groß. Es ist aus unserer ersten Zusammenarbeit mit der Porzellanmanufaktur Augarten hervorgegangen und in der Formgebung auf das Trinkservice No. 267, ein Entwurf meines Großvaters aus den 1950er-Jahren, der in vielen Wiener Haushalten zu finden ist, abgestimmt.

Spielt die Tischkultur Ihrer Meinung nach eine zu kleine Rolle?
Wenn man bedenkt, wie lange der Kochtrend schon anhält, habe ich schon den Eindruck, dass das Thema nachhinkt. Doch es nimmt Fahrt auf. Das liegt u.a. daran, dass wieder gerne Zuhause gefeiert wird und Gäste eingeladen werden. Man kann beobachten, dass viele sich mit der Frage beschäftigen, was einen guten Gastgeber ausmacht. Wir ermutigen stets dazu, nicht irgendwelchen Normen zu folgen. Beim Tischdecken ist es wie bei der Mode: Sie soll zur Person passen und ein stimmiges Bild ergeben, das nicht aufgesetzt wirkt. Dasselbe gilt für den Tisch: Es zählt Individualität.

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Hersteller

Tischkultur war immer auch Ausdruck von Wohlstand – und heute?
Es ist noch immer eine gehobene Kultur, aber bei Weitem nicht mehr so wie früher. Die Intention zu repräsentieren ist genauso vorhanden wie damals. Sie zeigt sich nur in anderer Form – etwa, wenn man zum Geschäftsessen in ein nobles Restaurant lädt. Zuhause ist es unkomplizierter geworden. Klassische Gedeckkombination werden mit anderen Dingen ergänzt, um die Situation aufzulockern. Tischkultur ist heute freier als früher. Aber trotz aller Freiheiten sollte man die alten Regeln kennen – und dann bewusst brechen.

Es ist also keine Frage des Geldes?
Fast jeder kann sich ein Lobmeyr-Service leisten. Es ist eine Frage der Prioritäten – wer gerne isst und mit Freunden feiert, dem wird auch die Tischkultur wichtig sein.

Viele haben altes Porzellan geerbt. Soll man das verwenden?
Unbedingt. Zum einen weil es eine Geschichte in sich trägt, zum anderen weil es einen Wert repräsentiert. Wir ermutigen unsere Kunden stets dazu, ihre Stücke ins Geschäft mitzubringen. Es finden sich immer interessante Kombinationsmöglichkeiten, die einen lebendigen Mix ergeben.

Funktioniert das auch mit dem klassischen Blümchenporzellan?
Auch das kann modern wirken. Eine günstige Möglichkeit ist etwa Tischwäsche in kräftigen Farben. Oder das bewusste Weglassen, wenn der Tisch eine schöne Oberfläche hat. Spannende Kontraste erzielt man auch mit modernen Glasformen und Porzellanen mit zeitgenössischen Dekoren. Ebenso lässt sich mit unterschiedlichen Oberflächen experimentieren – kombiniert man etwa einen Speiseteller aus glasierter Keramik, kann eine moderne Anmutung entstehen, sodass alte Stücke neu aufleben.

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Wie gut Alt und Neu zusammen harmonieren, zeigt auch Arthur Arbessers gedeckter Tisch für Lobmeyr.
Es ist verblüffend, wie gut die unterschiedlichen Stile zusammenpassen und wie modern das ganze wirkt. Arbesser hat eine Auswahl aus unserem gesamten Sortiment getroffen und verschiedene Epochen kombiniert: Vasen von Max Lamb aus 2009, geschliffene Weißweingläser von Ludwig Lobmeyr aus 1870 und Wassergläser von Josef Hoffmann aus 1912. Für Rotwein hat er einen Pokal aus den 1950er-Jahren von Oswald Haerdtl ausgesucht. Dazu ist schlichtes, weißes Porzellan der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin und Silber von Robbe&Berking gedeckt. In der Tellermitte steht ein ballonförmiger Glasbecher, von dessen Boden einem ein handgemaltes Auge entgegenblickt. Die Stoffe aus Arbessers Kollektion verleihen dem Tisch den letzten Schliff und drücken ihm sein Markenzeichen auf.

Welche Rolle spielt die Platzordnung und wie eng darf man sitzen?
Der Abstand sollte 80 Zentimeter betragen. Entscheidender für einen gelungenen Abend ist aber, dass sich die Sitznachbarn gut verstehen und unterhalten. Je größer die Gesellschaften, desto wichtiger die Tischordnung. Ist man unsicher, wer mit wem zusammenpasst, sollte man sie aber besser weg- und aus dem Gespräch heraus entstehen lassen. Man kann z.B. einen Aperitif im Stehen anbieten – die Leute finden sich dann von selbst zusammen.

Trinkservice 'No. 267': Der Entwurf aus den 50er-Jahren ist in vielen Haushalten zu finden.
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Lobmeyr
Lobmeyr Glas…
Lobmeyr Glas
Für immer mehr Menschen sind große Wohnungen nicht mehr erstrebenswert oder leistbar. Was tun bei wenig Platz und kleinen Tischen?
Zunächst sollte man alles vermeiden, was eine Einteilung vorgibt. Also keine Platz-Sets und keine Läufer. Wenn die Oberfläche schön ist, kann man den Tisch einfach belassen. Sonst legt man ein geschlossenes Tischtuch auf. Das erzeugt eine homogene Fläche und macht flexibel. Dann geht es darum, die Anzahl der Stücke zu reduzieren – aber nicht die Sorgfalt. Man kann etwa auf Platzteller verzichten. Moderne Designs bieten ohnehin oft nur noch einheitliche, kleinere Tellerformate an – die Abstufung von Platz- über Speise- bis zu Vorspeise- und Dessertteller gibt es da gar nicht mehr. Dasselbe gilt für Gläser: Zeitgenössische Entwürfe kommen oft nur noch mit einem Wein- und einem Wasserbecher aus. Greift man zu guter Qualität, sieht das nicht bescheiden sondern edel und stark aus. Wenn es eine Lichtquelle über dem Tisch gibt, kann man sie für die Dekoration nutzen. Zu Weihnachten könnte man etwa Kugeln vom Luster herabhängen lassen. Das zentriert den Tisch und hält den Platz frei. Anstatt viele Schüsseln aufzustellen ist es besser direkt vom Herd anzurichten. So bleibt Platz für eine schlanke Blumenvase oder einen Kerzenständer.

Was ist für Sie ein absolutes No-Go?
Was mich ärgert sind unfunktionale Dinge. Derzeit ist es üblich, Speisen in tiefen, schüsselartigen Tellern zu servieren. Dabei ist es extrem unpraktisch, daraus mit Messer und Gabel zu essen. Das ist Effekthascherei und nur lästig.

Worauf könnten Sie nie verzichten?
Stoffservietten und gute Wassergläser – denn sie bleiben die ganze Speisenabfolge über auf dem Tisch, sodass man sie den ganzen Abend lang genießen kann.

Eine Geste für die Gäste
Buchtipp Tischkultur, Callwey

„Geschmack ist keine Glückssache. Man kann ihn sich erarbeiten“, ist Björn Kroner überzeugt. Der angesehene Florist hat schon viele Feste gestaltet und weiß, wie man Tische stilvoll inszeniert. Dieses Wissen gibt er nun in dem neuen Buch „Tischkultur“ weiter. Darin öffnet er die Tür zur Welt der Manufakturen und schärft das Bewusstsein für hochwertige Tischwaren. Der Band präsentiert aber nicht nur Exquisites, sondern öffnet den Blick auf die gesamte Bandbreite an Marken und Herstellern für den Tischbereich. Zudem liefert er über 20 Deko-Anleitungen für jeden Anlass und jedes Budget und gibt eine umfassende Kunde über Besteck, Glas und Kerzenlicht.

Eine Geste für die Gäste
Buchtipp Tischkultur, Callwey

Ob man wirklich für jede Rebsorte ein eigenes Glas benötigt, ist Geschmackssache. Aber eines ist sicher: Gute Gläser gehören zur Grundausstattung eines jeden Gastgebers. Die Formenvielfalt – vom Bordeaux-, über das Shiraz- bis zum Roséglas – ist kaum überschaubar. Entscheidend ist aber die Qualität, sagt Kroner: „Schlechte Industriegläser haben auf einem Tisch mit Anspruch nichts zu suchen.“ Sie werden aus günstigen Rohstoffen produziert, was an einem grünlich-bläulichen Farbstich sichtbar wird. Sie haben keine abgeschliffenen Ränder, eine glanzlose Oberfläche und oft noch eine Pressnaht auf dem Stiel. Manufakturgläser haben dünnere Wandstärken – das macht sie leicht und lässt sie besser klingen.

Während gute Gläser unverzichtbar sind, darf man beim Besteck auch zu einfacheren Mitteln greifen – sofern es dem Anlass gerecht ist. Für ein Sommergedeck im Freien, etwa bei einem Hoffest oder einer Grillparty, scheint es kaum eine Alternative für das klassische Bistrobesteck zu geben. Wer jedoch echtes Silber besitzt, sollte es nutzen – am besten täglich, damit es in der Lade nicht schwarz verfärbt, rät Kroner. Moderne Silberbestecke sind heute geschirrspültauglich, vor Verfärbungen ist es aber trotzdem nicht gefeit. Anlauferscheinungen sollte man nur mit speziellen Polituren reinigen – sonst kann das Silber abgetragen werden.

Was Kroner niemals auf den Tisch kommt, sind billige Kerzen und Teelichter, die nur zwei Stunden brennen: „So wie ich bei Blumen kein Pardon kenne, wenn der Großhändler keine gute Ware liefert, bin ich auch bei Kerzen relativ gnadenlos.“ Geringe Qualität erkennt man an einem unangenehmen Geruch: Sie riecht nach Benzin, rußt, läuft schnell aus und brennt unregelmäßig nieder. Ob Stumpen-, Schwimm- oder Stabkerzen: Über die Qualität gibt stets das RAL-Gütezeichen Aufschluss. Es kennzeichnet hochwertige Qualität und garantiert geprüfte Rohmaterialen sowie verträgliche Farb- und Duftstoffe.

Buchtipp

Eine Geste für die Gäste
8-9_SUB_Buch

Tischkultur – Traumhaft dekorieren für Feste und Gäste“ von Starflorist Björn Kroner. Mit über 20 Anleitungen und umfassender Kunde über Besteck, Glas und Tischmanieren. Callwey, € 29,95

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