Ein Gespräch mit dem Herrn Direktor

Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrum Wien
Dietmar Steiner leitet seit 22 Jahren das wohl wichtigste Wissens- und Kompetenzzentrum des Landes in Sachen Baukunst - das Architekturzentrum Wien.

IMMO hat bei Direktor Steiner nachgefragt, wie sich die Baukunst entwickelt und mit welchen Problemen sie zu kämpfen hat.

Zehn Jahre sind in der Architektur kein langer Zeitraum. Lassen sich dennoch Entwicklungen ablesen?

Ein Gespräch mit dem Herrn Direktor
Dietmar Steiner, Direktor des Architektur Zentrum Wien (AZW), am 17.06.2015 in Wien
Die Industrialisierung der Architektur hat extrem zugenommen. Kaum ein Architekturbüro entwickelt heute noch eine Fassade. Eine extreme Technisierung ist eingetreten. Auf Bautafeln liest man heute eine derartige Unzahl an Gewerken und Zuständigkeiten, dass es eigentlich unfassbar ist. Der französische Star-Architekt Jean Nouvel hat einmal gesagt: "Der Architekt schreibt das Drehbuch und andere führen es aus." Regisseur ist ein Architekt schon lange nicht mehr. Es findet auch eine Marginalisierung des Berufsstandes statt. Hervorgerufen durch eine extreme ökonomische Restriktion. Den Mythos vom Architekten im Cabrio gibt es schon lange nicht mehr. Wenn man das auf Österreich und Wien herunterbricht: Junge Architekten haben oft Anspruch auf eine geförderte Wohnung, denn viele arbeiten am Existenzminimum.

Ist die Architektur verloren?

Nein, aber sagen wir, sie wird bedroht. Es formiert sich langsam eine neue Gruppe, die sich von individualistischen Architekturen abwendet und sich viel stärker sozialen Fragen widmet. Das ist eine europaweite Bewegung. Ein Beispiel dafür, und für mich der wichtigste Umbau des letzten Jahres, ist das Projekt ,Vinzi mittendrin‘. Es zeigt eine alternative Baumethode, die eine architektonische und ästhetische Aufwertung gegenüber der gängigen professionellen Business-Architektur bildet.

Ist die angesprochene Business-Architektur der Untergang individueller Lösungen?

Ein Gespräch mit dem Herrn Direktor
Dietmar Steiner, Direktor des Architektur Zentrum Wien (AZW), am 17.06.2015 in Wien
Der individuelle Ansatz bleibt unbenommen, aber seit den 1980er-Jahren ist etwas anderes eingetreten. Im urbanen Kontext haben wir die Konventionen verloren. Es interessiert uns nicht mehr, wie der Nachbar baut, jeder hat nur mehr seine Parzelle und seine Bauaufgabe im Blick, und will damit etwas Einzigartiges schaffen. Konvention ist ein negativ besetztes Wort, doch eigentlich bedeutet ,konvenieren‘ zusammenführen. Dass wir die Konventionen verloren haben, ist ein großes Defizit der Branche. Die Stadtplanung kämpft europaweit mit einem Dilemma – es geht um den Verlust von Städtebau. Derzeit existiert nur eine abstrakte Form von Stadtplanung, die sich an Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen orientiert. Und diejenigen, die das beschließen, haben meist keine Ahnung davon. Das Gebot der Stunde sollte lauten: Kehren wir endlich wieder zu städtebaulichen Verhaltensformen zurück.

Welche Probleme sehen Sie in diesem Punkt in Österreich?

Ein Gespräch mit dem Herrn Direktor
Dietmar Steiner, Direktor des Architektur Zentrum Wien (AZW), am 17.06.2015 in Wien
Unsere Stadtplanung wird von Raumplanern gemacht, die im Widersinn dieses Titels vom Raum kaum eine Ahnung haben. Die Stadt als Fläche sehen, in Gesetzen, Normen sowie Vorschriften denken. Abgesehen davon ist die Anzahl der Normen hierzulande in einer grotesken Art angestiegen. Und das Tragische daran ist, dass die Beteiligten Bauträger und Architekten oftmals deren Absurdität gar nicht mehr erkennen.

Der Normen-Wahnsinn – eine weitere Entwicklung der letzten Jahre?

Ja, in der Tat. Etwa die ganzen Brandschutzvorschriften: In Wien ist die Brandbeständigkeit F90 bei allen Bauvorhaben vorgeschrieben. Jedes verwendete Material muss bei einem Brand 90 Minuten brennen. Jetzt haben wir aber in Wien eine vorzügliche Berufsfeuerwehr, die innerhalb der Stadt binnen 12 Minuten vor Ort sein kann. Sollen sie dann warten? Natürlich nicht. Solche Tatsachen werden aber einfach nicht berücksichtigt. Hier hilft nur eines, ähnlich wie bei einem Computer: Stecker ziehen und neu anfangen. Seit 30 Jahren will man die Bauordnung verschlanken. Und was passiert? Sie wird immer dicker.

Mit welchen Problemen kämpft die Architektur?

Nach wie vor ist es unglaublich, wie respektlos man dem Beruf des Architekten gegenübertritt. Respekt gegenüber der architektonischen Leistung ist nur in Ausnahmefällen gegeben.

Seit 22 Jahren versucht das Architekturzentrum Wien dem entgegenzuwirken. Reicht das aus?

Ein Gespräch mit dem Herrn Direktor
Dietmar Steiner, Direktor des Architektur Zentrum Wien (AZW), am 17.06.2015 in Wien
Es gibt viele Wege. Einer davon ist etwa die Architekturberichterstattung in einer Immobilien-Beilage wie der Ihren. Auch hier findet Aufklärung und Information statt. Für die Branche ist so etwas enorm wichtig. Und natürlich braucht es auch Institutionen, wie das AzW zum Wissensaustausch. Nach jahrzehntelanger internationaler Beobachtung komme ich jedoch zum Entschluss, das gute oder schlechte Architektur letztlich immer eine politische Entscheidung ist. In Österreich braucht man sich nur die ,Puppenstube Europas‘, den Bregenzer Wald, ansehen und mit welchem Engagement hier gearbeitet wird.

Ist aus architektonischer Sicht der Westen vom Osten getrennt zu betrachten?

Leider ja. Die Umgangsformen mit der Architektur sind da einfach einzigartig. Es existiert eine politische Verantwortung, es gibt eine Anteilnahme sowie Partizipation der Bevölkerung. Das Verhältnis zwischen Bauträger, Baugewerben, Handwerkern und Architekten ist eines auf Augenhöhe und basiert auf dem Respekt vor der Leistung des jeweiligen anderen. Das erklärt doch alles, oder?

Welche Vision hatten Sie am Anfang und wo stehen Sie heute?

Ein Gespräch mit dem Herrn Direktor
Dietmar Steiner, Direktor des Architektur Zentrum Wien (AZW), am 17.06.2015 in Wien
Alles in meinem Leben hat sich ergeben. Ich wurde damals vom ehemaligen Minister Rudolf Scholten beauftragt, ein Konzept für ein Architekturinstitut zu erstellen. Ich wollte es schreiben, aber sonst damit nichts zu tun haben. Gekommen ist es dann doch anders. Mein persönliches Glück habe ich damals noch nicht geahnt. Es war ein Fahrt ins Ungewisse. Die einzige Vision waren unsere vier Säulen: Architektur präsentieren, publizieren, archivieren und diskutieren. Aber ob dieses Konzept auch aufgeht, war lange nicht klar.

Im Unterschied zur Kunst brauchen Architektur und Baukultur viel mehr Vermittlung und Erklärung. Innerhalb der Architektur-Community werden wir akzeptiert, aber gleichzeitig müssen wir die breite Öffentlichkeit erreichen. Und ich muss gestehen, dieser Spagat ist uns noch immer nicht ganz gelungen. Oftmals scheitert es an Begrifflichkeiten. Jemand der sich nie vorher mit der Baukunst auseinandergesetzt hat, scheitert oft an Beschriftungen einer Ausstellung.

Man muss auch die Arroganz der Kommunikation in der Architektur hinterfragen. Oft wird sie nicht verstanden. Ohne dem geht es aber nicht. Sowohl die Architekten als auch wir müssen das erkennen, annehmen und ändern.

www.azw.at


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