"Design ist hier selbstverständlich"

"Design ist hier selbstverständlich"
Marianne Goebl steht seit knapp einem Jahr an der Spitze des finnischen Möbelherstellers Artek. IMMO hat nachgefragt, wie die letzten 365 Tage gelaufen sind.

KURIER: Ein Jahr Artek: Wie lautet Ihre erste "Zwischenbilanz"?
Das Unternehmen ist eine Traditionsmarke, die Gründer waren davon überzeugt, dass Design und Kunst zu einem besseren Leben für möglichst viele Menschen beitragen sollen. Ihre Haltung mag heute etwas programmatisch und idealistisch erscheinen, viele der daraus entwickelten Ideen und Produkte sind aber immer noch relevant und zeitgemäß.

"Design ist hier selbstverständlich"
Was war die größte Überraschung des letzten Jahres?
Finnland und die Finnen. Ich hatte eine eher diffuse Vorstellung von Land und Leuten und kann mir jetzt eine neue Kultur erschließen. Es ist ein junges und vergleichsweise egalitär ausgerichtetes Land. Architektur und Design haben einen wichtigen Beitrag zur Bildung der nationalen Identität geleistet. Das Niveau der Designkultur ist daher beeindruckend. Sie wird aber nicht als elitärer Luxus, sondern als ein selbstverständlicher Teil des Lebens betrachtet.

Gab es auch Enttäuschungen?
Natürlich, aber keine dramatischen. Dinge dauern manchmal etwas länger, als einem ungeduldigen Menschen wie mir lieb ist.

Seit letztem Jahr wird wieder verstärkt auf Kooperationen mit zeitgenössischen Designern gesetzt. Gibt es weitere Pläne?
Die Kollektion basiert auf einem starken Kern von Klassikern, die sich seit vielen Jahrzehnten behaupten und nach wie vor aktuell sind. Artek ist aber keine Präservierungsplattform, sondern hat den Anspruch, die Klassiker zu pflegen und mit Designern unserer Zeit Produkte im heutigen Kontext zu entwickeln. Diese neuen Entwürfe müssen die Kraft und das Selbstbewusstsein haben, neben den bekannten Klassikern zu bestehen. Wir werden gerne weitere neue Möbel, Leuchten und Accessoires auflegen. Aber nur dann, wenn wir auch etwas zu sagen haben und nicht unbedingt diktiert vom Rhythmus der internationalen Möbelmessen.

80 Jahre Artek, 8 Jahrzehnte: Was waren die wichtigsten Meilensteine des Unternehmens?
80 Jahre später ist die industrielle Massenfertigung in so gut wie allen Bereichen des Lebens Realität, wird aber nicht mehr als bedingungslos erstrebenswert erachtet. Artek-Produkte werden zwar in Serie, aber nach wie vor unter großem handwerklichen Einsatz produziert. Sie verbinden daher die Vorteile der Standardisierung mit dem individuellen Charakter des Handwerks – jedes Produkt schaut ein bisschen anders aus. "Verstärkte weltweite Aktivitäten" waren ein erklärtes Ziel der Gründer. Ausgehend von ihren persönlichen Beziehungen entwickelte sich über die letzten 80 Jahre tatsächlich ein weltweites Netzwerk von Menschen, die für Artek arbeiten, sich in ihrer Arbeit darauf beziehen oder die Produkte vielseitig einsetzen. Vertriebsniederlassungen wurden gegründet, neben Finnland ist mittlerweile Japan unser wichtigster Markt.

Wie hat sich die Rolle der Galionsfigur Aalto entwickelt?
Die Emanzipation von Alvar Aalto als zentralem Designer der Artek Kollektion war sicher auch ein wesentlicher Schritt in der Vergangenheit. Die Kollektion wurde um Entwürfe der finnischen Meister Ilmari Tapiovaara, Tapio Wirkkala, Eero Aarnio und Yrjö Kukkapuro erweitert. Und wir haben mit internationalen Designern, Künstlern und Architekten gearbeitet. Die Kooperation mit dem Künstler Tobias Rehberger für die Kunstbiennale in Venedig wurde 2010 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Mit Pritzker Preisträger Shigeru Ban entstand ein Pavillon und ein Stuhlsystem. Internationale Designer wie Enzo Mari, Naoto Fukasawa, Konstantin Grcic und Hella Jongerius entwarfen Möbel für Artek.

"Artek" setzt sich aus den Wörtern "Art" und "Technik" zusammen. Wie viel Kunst steckt heute tatsächlich noch drin?
Der Name sollte signalisieren, dass bisher getrennte Sphären auf fruchtbare Weise miteinander verbunden werden können. Technik sollte durch Kunst veredelt und Kunst durch Technik funktionaler gemacht werden. Neben der bildenden Kunst gehörten damals allerdings auch Architektur und Design dazu. Heute noch agieren wir an dieser Schnittstelle "der Künste". Bis in die 1990er-Jahre betrieb Artek auch eine Kunstgalerie, diese aktive Rolle im Kunstmarkt spielen wir heute nicht mehr.

Für Aalto war Holz als Material ein Pflichtbestandteil nordischen Wohnens. 1935 war es auch eine Art Gegenvorschlag zum damals herrschenden Stahlrohr-Boom des Bauhaus. Wie sehen "Design"-Revolutionen von heute aus bzw. benötigen wir heute noch welche?
Darüber, ob man heute Revolutionen oder eher Evolutionen braucht, lässt sich gut streiten. Derzeit finden jedenfalls zahlreiche interessante Entwicklungen statt. Neue Materialien und Technologien, wie das viel zitierte 3-D-Printing und andere Computer unterstützte Produktionsmethoden, ermöglichen neuartige Formgebungen und Distributionsstrategien. Neue Arten der Zusammenarbeit und des Teilens wie das Open Source Design, also Entwürfe, die von Designern zumeist frei ins Netz gestellt werden, ermöglichen uns allen, zum Co-Designer zu werden. Produkte weiterzuentwickeln oder selbst herzustellen.Langfristige Auswirkungen dieser Entwicklungen möchte ich lieber nicht prognostizieren. Ich wage aber zu behaupten, dass ein natürliches Material wie Holz, das aufgrund seiner Beschaffenheit den menschlichen Bedürfnissen sehr nahe steht, auch im Zuge etwaiger künftiger Revolutionen nicht bedeutungslos wird.

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