"Der Luxus unserer Generation ist die Zeit"

"Der Luxus unserer Generation ist die Zeit"
In seiner Architektur begibt sich Dominik Aichinger auf die Suche nach dem Wesentlichen. Dafür läuft er manchmal nächtelang durch oder zeltet am Berg. Ein Grenzgänger im Porträt.

"Meine Vorbilder sind die einfachen Bergbauern", sagt Dominik Aichinger. "Auch als Architekt geht es darum, mit Ressourcen sparsam umzugehen und mit wenig ein glückliches Auslangen zu finden." Aichinger spricht besonnen, zurückhaltend, ein bisschen verschmitzt. Es scheint, als verkörpere seine Sprechweise die Projekte, die er plant. Einfamilienhäuser, Renovierungen, Gewerbebauten, eine Kirche – alle Objekte bekommen die individuelle Zuwendung, die sie benötigen. "Jeder Auftrag ist ein Kraftakt."

Seit 1994 arbeitet der gebürtige Oberösterreicher in seinem Büro in der Wiener Breite Gasse. Die Arbeit mit der bestehenden Substanz ist es, die ihn reizt. Je komplexer, desto besser. So wachsen ihm vor allem die Herausforderungen ans Herz, wie das Metrokino Kulturhaus in Wien. Ein Ort, dessen Wurzeln ins 19. Jahrhundert zurückreichen und an dessen Stelle seit 1951 ein Kino betrieben wird.

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Der Auftrag bestand vorerst nur darin, einen Lift einzubauen. Gemeinsam mit Ernst Kieninger, dem Direktor desFilmarchivs Austria, wurde das Projekt ständig erweitert. Zum Beispiel das Foyer freigelegt und rückgebaut, eine Glaswand zwischen Kinosaal und Bar aufgestellt, die Fassade renoviert oder das Vordach mit alten Gussteilen wiederhergestellt.

"Ein denkmalgeschütztes Gebäude, das gleichzeitig Veranstaltungsstätte ist und ausreichend Fluchtwege braucht – das war in puncto Komplexität nicht zu überbieten.“ Auch, weil „jeder Euro drei Mal umgedreht wurde“. Als Belohnung wurde das Metrokino Kulturhaus im Dezember 2015 vom Bundesdenkmalamt als „Denkmal des Monats“ ausgezeichnet.

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Die Suche nach der Essenz

Die Projekte, die Aichingers achtköpfiges Team betreut, zeichnen sich durch ihre Konzentration auf das Wesentliche aus. „Man muss auf die Essenz, auf das Ursprüngliche kommen.“ Um sich des Überflüssigen bewusst zu werden, begibt sich der 47-Jährige in ungewöhnliche Situationen: Der Ultraläufer absolviert Strecken, die weit über die Marathonlänge hinausgehen, gerne auch eine ganze Nacht lang hindurch. Oder er schlägt sein Zelt in den Bergen auf. „Daraus kann ich jene gedankliche Energie schöpfen, um die Kunden zielführend beraten zu können.“ Arbeit bedeutet Zusammenarbeit – jedes Projekt wird mit den Auftraggebern von der Pieke auf entwickelt, diskutiert, realisiert.

„Der Luxus unserer Generation ist die Zeit. Sich Zeit zu nehmen, um gemeinsam zu überlegen, wieder zu verwerfen und schlussendlich zu gestalten.“ Dabei schwört der Vater dreier Kinder, der die Hälfte der Woche am Attersee in Oberösterreich und die andere in der Bundeshauptstadt verbringt, auf die Tugend des Zuhörens. „Dazu muss man frei von Profilierungsneurosen sein.“

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"Es ist verlässlicher, sich in einen Ort zu verlieben"

Die zurückhaltende Art des Baukünstlers schlägt sich sodann in der Gestaltung der Projekte nieder: Sie lässt der Umgebung und den Personen den Vorzug. Große Verglasungen und luftige Atmosphären holen die Welt ins Bauwerk herein. Es sei eben verlässlicher, sich in einen Ort zu verlieben, meint Aichinger. Er sei beständiger. Und hat das Recht, sich entfalten zu dürfen, ohne eingeschränkt zu werden.

Sichtbar wird dieser Ansatz beim Umbau einer Villa in Wallsee an der Donau aus den 70er-Jahren: Aus kleinen Räumen, engen Gängen und dunkelbraunen Deckenverkleidungen gestaltete das Büro einen wohnlichen, luftigen Ort. Eine Wendeltreppe verbindet die Ebenen des Domizils, breite Fensterfronten und Oberlichtöffnungen auf der Dachhaut sorgen für ein helles Ambiente. Oder beim „Seehaus“ am Attersee, bei dem verschiebbare raumhohe Verglasungen die pittoreske Aussicht zur Geltung bringen.

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"Als Architekt ist man Konstrukteur von Atmosphären“, sagt er. Dies zeigt sich auch beim Dachgeschoß eines Hauses im Wiener Cottageviertel, das Ende der 20er-Jahre von einem Cousin Josef Hofmanns geplant wurde: Die minimalistische Gestaltung überlässt dem Blick über die Stadt die Show und ermöglicht den Bewohnern den notwendigen Freiraum. Ein schmaler Grat zwischen Purismus und Kühle: Schließlich zählt, dass sich die Menschen wohlfühlen.


Moderne Klassik

„Moderne Klassik“, mit dieser Bezeichnung fühlt Aichinger seinen Ansatz treffend beschrieben. Die von ihm und seinem Team geplanten Bauwerke sollen keine Jahreszahlen, sondern Bestand haben. Und Grenzen überschreiten. Nicht nur sprichwörtlich. Das als „Bergwerk“ benannte Bauvorhaben in Zillingdorf erstreckt sich über die Landesgrenze von Niederösterreich und Burgenland. Dementsprechend musste die Garage im Burgenland, das Haus nach niederösterreichische Bauordnung eingereicht werden. „Da hat man gespürt, was Föderalismus in Österreich heißt.“

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Was Architektur leisten kann? „Ich glaube schon, dass man über sie Werte vermitteln und in einer unruhigen Welt Sicherheit geben kann.“ Werte wie Nachhaltigkeit, Verlässlichkeit und Sparsamkeit. Materialien, die sorgsam ausgewählt werden. Stein, Aluminium, Glas, „die Werkzeuge der Moderne“. Überschaubare, dafür gute Zutaten. Lieber ein kleines Stück reifen Camembert als eine Portion langweiligen Gouda. „Mit wenig ein glückliches Auslangen finden.“ Wie die Bergbauern.

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Der Werdegang von Dominik Aichinger war familiär vorgezeichnet, immerhin übt er den Beruf in vierter Generation aus. Nach der HTL für Hochbau in Salzburg begann der Oberösterreicher sein Studium in Graz. Bereits währenddessen machte er sich selbstständig: „Ich war der jüngste Architekt Österreichs.“

1993 zog es ihn nach Wien, wo er ein Jahr später das Büro in der Breite Gasse im siebenten Bezirk gründete. Mit sechs Mitarbeitern und zwei der Bauaufsicht begleitet er von der Planung bis zur Innenraumgestaltung und dem Kostencontrolling den ganzen Bauprozess. www.aichinger.at

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