Der Fassadenleser erklärt Wien
Für den Gentleman im dunkelblauen Trenchcoat ist der Wiener Gürtel mehr als nur Verkehrshölle und soziale Brennzone, die von einer seltsamen U-Bahn durchzogen wird, in der man nur ganz selten Menschen lächeln sieht.
Der Gürtel ist für
Klaus-Jürgen Bauer eine unendliche Geschichte, ein Art Fortsetzungsroman - ohne Aussicht auf Ende. Jedes Haus, jede Fassade erzählt dem Eisenstädter Architekten und Architekturkritiker eine Geschichte. Das Haus an der Kreuzung mit der Nussdorfer Straße wurde etwa in der Gründerzeit errichtet, vielleicht für einen Fleischhauer oder auch einen Universitätsprofessor, jedenfalls von einem Bürger, der genügend Gerstl auf der Kante hatte, um sich auf dem damals von Otto Wagner mit geplanten Prachtboulevard ein privates Domizil einzurichten.
Ein paar Häuser weiter ein Relikt aus dem Roten Wien. Teil des am Ende erfolgreichen Versuchs der Sozialdemokratie, in der Zwischenkriegszeit in die bürgerliche Phalanx einzubrechen und auch in Döbling stimmenstärkste Partei zu werden.
Der Volksbildner
Es ist eine Gunst der Stunde, den fundierten Ausführungen des Haus-Historikers folgen zu dürfen. Klaus-Jürgen Bauer hat an der renommierten Bauhaus-Universität in Weimar unterrichtet. Seit mehr als zehn Jahren leitet er nun schon in Eisenstadt ein gut ausgelastetes Planungsbüro, er ist dort auch deshalb erfolgreich, weil er früh erkannt hat, dass das Burgenland auch ein Ziel-1-Gebiet für Architekten ist.
Das Vornehme an dem ruhigen, eloquenten Experten ist auch: Er will die Geschichten, die ihm scheinbar sehr leichtfüßig über den Weg laufen, nicht für sich behalten. Vor allem interessierten Laien, die bisher keinen Zugang zu den Diskursen in Architektenkreisen fanden, will er beim Lesen von
Häuserzeilen helfen. Bauer reiht sich damit in die Reihe moderner Volksbildner ein, die ihr Expertenwissen im Rahmen der neuen i-Akademie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Fragen ist bei seinen Touren nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Auf dem Weg durch die Stadt oder auch übers Land geben die Fragen der Teilnehmer den Weg vor.
Alles Fassade!
Möglich, dass man an einem neuen Haus am Döblinger Gürtel länger verharrt. Weil plötzlich ganz offensichtlich wird: Wie sehr der Bauherr nur den Euro im Auge und nie die Ästhetik im Sinn hatte; und wie dann ein armer Architektenkollege mit dem billigsten aller Gestaltungsmittel, der Fassadenfarbe, zu retten versuchte, was ästhetisch eigentlich gar nicht mehr zu retten war. Eine Vielzahl von Bäumen und dazu auch einige Grünstreifen entlang der stark befahrenen Straße sind dagegen stille Zeugen von Wagners Mastermind-Idee eines zweiten Wiener Prachtrings.
Am kommenden Sonntag will Architekt Bauer mit einer Gruppe der i-Akademie hier wieder um die Häuser ziehen. Wer da keine Zeit findet, hat die Möglichkeit, seine feinsinnigen Betrachtungen zur österreichischen Architektur im Blog Im Journal der Orte nachzulesen.
www.bauer-arch.at
i-Akademie: Die nächsten Seminare
Fassadenlesen
Mit Klaus-Jürgen Bauer. Treffpunkt ist am Sonntag, 6. 11., um 13 Uhr im Café Blaustern, 1190
Wien, Döblinger Gürtel 2. Kostenbeitrag: 18 Euro.
Srapbooking
Mit Alexandra Vögeli. Am Samstag, ab 13.30 Uhr vier Stunden lang. In 1070 Wien, Westbahnstraße 38. Kostenbeitrag: 55 Euro.
Naturkosmetik
Mit Klara Nomi. Am Freitag, 25. 11., ab 17 Uhr. Kostenbeitrag: 55 Euro.
Anmeldung
Ist bei allen Seminaren erforderlich, unter: www.i-akademie.at
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