Bauhaus Jubiläum: 100 Jahre Stil mit Stahl
Wir schreiben das Jahr 1919 und das heißt: Raus mit den funkelnden Lustern und Perserteppichen. Weg mit opulenten Girlanden, Barockspiegeln und Stuck an den Decken. Stattdessen ziehen Freischwinger aus Stahlrohr, Leuchten aus Metall, und wenn überhaupt, nur wenige Farbakzente in den Wohnraum ein.
Die Bauhaus-Lehre räumte vor 100 Jahren mit den bisherigen Ansätzen der europäischen Kunstschulen auf – und sie teilweise sogar aus. Bis die bestehenden Gegenstände auf das Notwendigste – und damit ihren rationalen Nutzen – reduziert waren.
Doch woher kam diese Entwicklung?
„Die Gründung des Bauhauses war eine Reaktion auf die neue gesellschaftliche Situation in der Weimarer Republik nach dem Ende des Krieges und der Monarchie“, erklärt Matthias Boeckl, Professor für Architekturgeschichte an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Die Reformideen des Bauhauses haben sich aber nicht nur aus der Vergangenheit, sondern auch aus den Lebensumständen der Menschen ergeben. Zentrales Thema war die Industrialisierung.
„Diese Phase bestimmte Materialien, wie das Stahlrohr, und veränderte den Zugang zur künstlerischen Produktionsarbeit“, erklärt Boeckl. Das ist auch im „Programm des staatlichen Bauhauses in Weimar“ von Bauhaus-Gründungsdirektor Walter Gropius von 1919 zu lesen.
Darin plädiert er für die „Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen“ und bezeichnet Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk als „unablöslichen Bestandteile einer neuen Baukunst“.
Wiener Secession war Vorläufer
Dieser Gedanke tauchte laut Matthias Boeckl in Weimar 1919 aber nicht zum ersten Mal auf: „Um 1900 waren in Wien die profiliertesten Avantgardisten der Wiener Secession tätig.“ Sie waren – wie die Lehrenden des Bauhauses – auf der Suche nach der „verloren gegangenen Einheit der Künste“.
Die Überlegungen führten zu einem neuen Lehransatz: Mit der Gründung der Bauhaus-Universität wurde eine Weberei und Kunstgewerbeschule sowie Werkstätten für Bildhauerei und Malerei eröffnet. 1920 kamen auch Töpferei und Buchbinderei hinzu.
Somit stand jedem Studenten eine ganzheitliche Ausbildung der Künste offen. Studierende und Lehrende arbeiteten gemeinsam an der Entwicklung neuer Möbel und Wohnkonzepte.
In die Werkstatt statt ins Museum
Der Zusammenschluss der Kunsthandwerke zeigt den experimentellen Ansatz, dem die Bauhaus-Lehre mit dem sogenannten „bottom-up“-Prinzip folgte. Sie bewegt sich vom kleinen in das nächsthöhere System. Der Weg führt vom Möbel zur Einrichtung, weiter zum gesamten Bau bis hin zu einer komplexen Umweltgestaltung.
Das war ein komplett neuer Zugang. Bisher wurden Schüler nicht in die Werkstätte, sondern ins Museum geschickt, um alte Formen zu studieren. „Das Bauhaus hingegen forderte die Orientierung am realen Leben und den Bedürfnissen des modernen Menschen“, so Boeckl.
Um diese Ansprüche zu erfüllen, waren Materialkenntnisse, reduzierte Formgebung und sogar die Abkehr von historischen Ornamenten nötig. Zudem ging es um technoide und geometrische Gestaltung.
Alte Entwürfe in neuer Machart
Dieser Ansatz hat auch 100 Jahre später nicht an Reiz verloren – diese Erfahrung machte auch Christian Drescher, Geschäftsführer des deutschen Möbelherstellers Tecta. Sein Onkel und Geschäftspartner Axel Bruchhäuser entdeckte die Faszination für das Bauhaus-Design Anfang der 1970er Jahre.
Damals lernte er die Familien von Bauhaus Größen wie Walter Gropius, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe kennen. Gemeinsam erarbeiteten sie neue Projekten aus den bereits eingestaubten Entwürfen. „Die klaren Formen waren damals wie heute von zeitloser Moderne“, erklärt Drescher.
Vernickelt statt verchromt
Bei Tecta werden die Re-Editionen nach wie vor mit den Fertigungstechniken von vor 100 Jahren hergestellt. So wird Stahl vernickelt und nicht – wie es heute der gängige Arbeitsschritt wäre – verchromt. Dieses Detail ist deshalb so wichtig, weil kein anderes Material das Bauhaus besser verkörpert, als Stahlrohr – es symbolisierte Fortschritt und Innovation.
Stahl symbilisiert Zukunft
Obwohl Stahl bereits als Industriematerial bekannt war, wurde es im Möbelbau bis dato nicht eingesetzt. „Stahl war revolutionär, weil es damals das einzige Material war, das über die notwendige Elastizität verfügte, um einen Sessel ohne Hinterbeine zu konstruieren“, weiß Boeckl.
Nur so konnte das wohl berühmteste Möbel des Bauhauses entstehen: Der Freischwinger. Architekt Mart Stam hat den Sessel 1927 entworfen und in verschiedenen Variationen weiterentwickelt.
Zu den bekanntesten zählen die Entwürfe von Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer. Aber auch andere Bauhaus-Entwürfe, wie der Direktorensessel F 51, die Pendellampe HMB25 oder der Barcelona Chair haben bis heute Kultstatus erreicht.
Ende und Neuanfang
1933 musste das Bauhaus, das von Weimar bereits nach Dessau und weiter nach Berlin gezogen war, schließen. „Die Arbeiten wurden als ,entartete Kunst’ bezeichnet. Sie waren kulturpolitisch quasi der natürliche Feind des Nationalsozialismus“, so Boeckl.
Das war allerdings auch ein Mitgrund für den Erfolg des Bauhauses ab 1945. Obwohl die damaligen Lehrer ausgewandert waren, konnte an den Hype vor 1933 angeknüpft werden. Einerseits gaben die früheren Studenten ihr Wissen weiter. Andererseits wurden die ikonischen Möbel wieder produziert.
Zum hundertjährigen Jubiläum lässt auch Tecta das Stahlrohr noch einmal hochleben. „Wir haben mit Gestaltern gearbeitet, die ihre Interpretation der klassischen Designs zeigen“, erzählt Drescher. Die Vorgabe: Derselbe Wagemut, Enthusiasmus wie damals. „Das Beleben der Bauhaus-Denke tut uns schließlich allen gut.“
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