Architektur kann tanzen

Vom Plan auf die Fassade: Rasterstruktur des Gebäudes "Office Off" mit Schwimmbad für die Arbeitspause
Das Wiener Architekturbüro heri&salli entwirft Räume der besonderen Art: Ein Büro als Landschaft, minimalistische Gästezimmer mit Geschichte oder ein Bad als Spiegelbild der Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht dabei stets der Mensch. Ein Besuch bei Heribert Wolfmayr und Josef Saller.

Ein Büro in einem Altbau, sechster Wiener Gemeindebezirk. Weiße Flügeltüren, knarrender Boden. "Bitte nicht berühren" steht auf dem Zettel unterhalb der Modelle, die im Besprechungsraum auf das Schaffen von heri&salli hinweisen. "Bitte nicht berühren", das gilt nur für das Angreifen der fragilen Miniaturen. Die Architektur des Duos soll nämlich vor allem eines: bitte berühren. "Wenn ich an einem Gebäude vorbeigehe und ich nehme es nicht wahr, dann ist es keine gute Architektur. Gute Architektur erzählt etwas, sie weckt Emotionen und darf nicht egal sein", sagt Heribert Wolfmayr. "Ich muss eine Beziehung zum Gebäude aufbauen können. Wenn sich Menschen unsere Räume zu ihren eigenen machen, sie sich aneignen und nutzen, dann haben wir unser Ziel erfüllt", fügt Josef Saller hinzu. Der 42-jährige Oberösterreicher Wolfmayr und der 44-jährige Salzburger Saller ergänzen einander nicht nur im Gespräch, sondern auch in ihrer Arbeit. Mit einer exponierten Formensprache und Liebe zur Reflexion denken sie Bürogebäude, Wohnhäuser und andere Räume neu, wobei stets der Mensch im Mittelpunkt steht. "Wir sind oft mit der Frage konfrontiert, ob wir Kunst oder Architektur machen. Kunstwerke, die nur angeschaut werden, machen uns aber unzufrieden. Erst wenn der Mensch dazukommt, funktioniert es. Und bei Architektur geht es immer um Menschen", sagt Wolfmayr.

Ein Büro mit Platz für Freizeiteinrichtungen.

Unter diesem Aspekt wurde etwa das Bürogebäude "Office Off" für eine burgenländische Fassadentechnikfirma konzipiert, bei dem von Anfang an die Frage im Mittelpunkt stand, "ob man darin arbeiten oder eher leben will. Deswegen haben wir stark über Freizeitbeschäftigungen und Aufenthaltsqualitäten diskutiert", erklärt Saller. Private Bedürfnisse der Mitarbeiter wurden durch ein Schwimmbad, ein Fitnesscenter oder eine Kletterwand in den Bürobau integriert. Optisch sieht das Gebäude mit seiner dreidimensionalen Rasterstruktur wie das Grundstück aus, auf dem es geplant wurde – es führt praktisch die Landschaft fort. "Es geht in unserer Arbeit sicher um Begeisterung. Begeisterung zur Architektur und zum Raum, etwas von diesem zu wollen, sich auf die Spuren zu begeben und zu erforschen", sagt Wolfmayr.

Gäste Zimmer in der Essig Brauerei.

Architektur kann tanzen
Augenscheinlich wurde diese Devise bei der Konzeption der Wiener Gäste Zimmer. Hiefür wurden Zimmer-Kuchl-Kabinett-Wohnungen in Erwin Gegenbauers Wiener Essig Brauerei im 10. Bezirk entkernt, abgeschliffen und auf das Wesentliche reduziert. "Wir haben versucht, gewisse Atmosphären zu erzeugen. Die Zimmer sollen einen Einblick in Gegenbauers Mikrokosmos ermöglichen, seinen Betrieb spüren und seine Einstellungen zu Raum und Handwerk begreifbar werden lassen", sagt Saller. Die Wiener Gäste Zimmer warten im Schlafbereich lediglich mit einem Möbelstück aus sibirischer Lärche auf, das Schlafstelle, Schreibtisch, Kasten oder Ablage zu gleichen Teilen verkörpert. Ziegel, Decken und Böden sind freigelegt, um die Geschichte des 1899 erbauten Hauses zu zeigen. Kabel, Rohre und Ketten hängen von der Decke und werden nicht hinter Verkleidungen versteckt. "Wir wollten nichts verschleiern, sondern zeigen, was in den Abläufen eines Raumes für Wahrheiten stecken", sagt Saller. Atmosphärisch ebenso einzigartig ist das Badezimmer Bodypuzzle, welches das Büro in einem Appartement eingerichtet hat. Zahlreiche Spiegel und Beleuchtungsflächen machen den menschlichen Körper zum Puzzle. Dieses wird tagtäglich durch Rasieren, oder Schminken zusammengesetzt, um der Öffentlichkeit ein ideales Äußeres zu präsentieren.

Der Raum wird zum Spiegelbild der Gesellschaft.

Ob wie in diesem Fall mit der Spachteltechnik Pandomo oder mit anderen Herangehensweisen und Materialien gearbeitet wird, ergibt sich meist im Laufe des jeweiligen Projektes, eine Präferenz für bestimmte Baustoffe gibt es nicht. Was allerdings häufig zu Beginn feststeht, ist der Name. "Der Titel muss für sich selbst stehen – wenn man ihn liest, muss man sich darunter etwas vorstellen können", sagt Wolfmayr.

Architektur kann tanzen
MIES Festival 2013
Beispiele liefern Wortkreationen wie Flederhaus, ein flexibel auf- und abbaubares Holzhaus mit Hängematten, oder Land Schaf(f)t Zaun, eine futuristische Konstruktion in Anlehnung an den klassischen Jägerzaun, die als Abgrenzung für ein Privathaus fungiert. Die sprachliche Auseinandersetzung führt oft auch zu einem Überdenken von klassischen Bauelementen, wie das Projekt Treppentanz zeigt. "Eine Treppe ist eine Verbindung von A nach B. Sie schaut immer gleich aus, niemand macht sich mehr Gedanken darüber. Wir haben versucht, gewisse Grenzen der Baunormen auszuloten und gefragt, ob Architektur für uns tanzen kann", erzählt Saller. Augenscheinlich kann sie das, wie die leichtfüßigen Formen und beweglichen Konzepte zeigen.

Es sind heri&salli, die mit der Architektur tanzen.

Architektur kann tanzen
Werknutzungsbewilligung für das Architekturbüro heri&salli A - 1060 Wien
Auch wenn sie nicht immer einer Meinung sind, finden sie für jedes Projekt einen gemeinsamen Gedanken, hinter dem sie zu hundert Prozent stehen. Gerade das Erörtern und Diskutieren verbindet die Architekten, sodass "Heri" ohne "Salli" – aus den Spitznamen ergab sich der Büroname – für beide nicht mehr vorstellbar ist: "Erst, wenn einer von uns unter der Erde liegt, muss es sein." Während vom gleichlautenden Film, den sie sich erst nach der Bürogründung angesehen haben, vor allem Meg Ryans Orgasmusszene in Erinnerung bleibt, setzen sie auf architektonische Höhepunkte. Und diese sind, so viel kann gesagt werden, nicht vorgetäuscht.
Architektur kann tanzen
Heribert Wolfmayr (links) und Josef Saller (rechts) gründeten 2004 das Architekturbüro heri&salli in Wien. Die Wurzeln der Zusammenarbeit reichen jedoch bis in die 1990er-Jahre zurück, in denen beide Architektur in Graz studiert haben. Ein Kollege von ihnen konstatierte eine ähnliche Arbeitsweise und initiierte ein Kennenlernen. Nach einer kurzen Vorstellung an der Bar eröffnete Saller das Gespräch: „Ich habe eine Kugel im Auto, machen wir was damit.“ Aus der Kugel entstand 1999 die Installation „Mukii & Wuki“, zahlreiche temporäre Interventionen folgten. Nach Tätigkeiten in Architekturbüros (unter anderem bei Coop Himmelb(l)au), machten sie sich vor elf Jahren selbstständig. Schritt für Schritt wurden die Aufträge größer, zahlreiche Preise – vom Salzburger Holzbaupreis 2003 bis zum Österreichischen Bauherrenpreis 2014 – folgten. Der Ruf des Duos, das auch an heimischen Universitäten lehrte, reicht bis weit über die Landesgrenzen hinaus.
www.heriundsalli.com

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