15 Jahre Kult
Ein Besuch reicht nicht wirklich aus. Man muss schon mehrmals vorbeischauen, um überhaupt ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Dinge im Ramsch & Rosen in der Wiener Neubaugasse feilgeboten werden. Teetassen, Zinnfiguren, Lampenschirme, Koffer, Cocktailgläser, Schachteln, Schmuck, Karaffen, Porzellanfiguren etc. – doch die Auflistung der Dinge könnte ganze Bände füllen. Hier landet fast alles, was bei einer Wohnungsauflösung keine Abnehmer findet – Schönes und Scheußliches. Im Inneren herrscht geordnetes Chaos. Die Ausstellungsfläche ist das Geschäft. Jeder Zentimeter des sechzehn Quadratmeter großen Shops wird genutzt, um Kaufobjekte zu platzieren. Möbelexperte Christof Stein gründete vor 15 Jahren das Geschäft, um kitschigen und scheinbar unnützen Überresten eine Plattform zu bieten. Das Verkaufsteam bilden wechselnde Studenten. Derzeit kümmern sich Franz, Astrid, Claudia und Olivia um den Verkauf. IMMO hat das sympathische Quartett in Wien-Neubau getroffen und mit Ihnen über den ganz normalen Wahnsinn im Verkaufsalltag gesprochen:
Was sind die typischen Skurrilitäten im Ramsch-&-Rosen-Alltag?
Claudia: Ab und zu werden wir verflucht. Das ist sicherlich gewöhnungsbedürftig, aber sonst läuft hier alles ganz normal.
Astrid: Die alte Dame mit den schwarzen Zähnen?
Claudia: Ja. Sie war wieder da.
Astrid: Zwischen netten, jungen und lieben Kunden kommt ab und an auch mal jemand wirklich Verrückter rein. Das Geschäft zieht eben auch Wahnsinnige an, aber das sind wirklich nur Ausnahmen.
Die Preispolitik wird autonom vom jeweiligen Verkäufer bestimmt. Wie genau funktioniert dieses System?
Astrid: Autonom ist vielleicht etwas überspitzt formuliert. Wir verbringen hier sehr viel Zeit miteinander und es gibt schon so eine indirekte Absprache. Außer, es handelt sich um spezielle Hässlichkeiten, die der eine vielleicht schneller loswerden möchte als der andere.
Wie zum Beispiel?
Astrid: Naja ich glaube, bei niemandem kauft man so billig Bleikristall wie bei unserem Franz.
Claudia: Ja, und bei mir ist es Zinn.
Astrid: Es geht natürlich auch umgekehrt. Ich liebe zum Beispiel scheußliche Figuren und kann es nicht ertragen, wenn diese zu günstig verkauft werden.
Olivia: Es kommt aber auch auf die Person an. Sympathie spielt auch eine Rolle.
Astrid: Und jeder von uns hat eine eigene Dekorationsphilosophie.
Franz: Ja, stimmt. Astrid gestaltet etwa wahnsinnig oft autistische Farbarrangements.
Astrid: Franz inszeniert komplett abstrakte und witzige Szenerien in der Auslage.
Wie findet man sich hier inmitten von so vielen Dingen zurecht und wie behält man den Überblick?
Franz: Es schaut vielleicht nicht so aus, aber alles hat seinen Platz.
Astrid: Wir sind Chaoten und das Geschäft ist unser geordnetes Chaos.
Gibt es Kunden, die gezielt nach bestimmten Klassikern Ausschau halten?
Franz: Es kommt ganz darauf an. Sammler oder Stammkunden kennen den Laden und die wissen meist ganz genau, was sie wollen.
Astrid: Oder es schauen Künstler vorbei, die sich hier Inspiration holen, und auch Theaterrequisiteure. Es ist eine bunt gemischte Käuferschicht.
War der Laden jemals leergekauft?
Franz: Nein, die Sachen stehen hier nicht so lange, denn es kommt regelmäßig Nachschub und wir haben keine Lagermöglichkeiten. Wenn etwas schon wirklich länger steht, dann wird es unter dem Preis verkauft, damit es rauskommt.
Was bedeutet länger?
Claudia: In der Regel bleiben die Dinge ein bis zwei Wochen. Ab der dritten Woche nervt ein Gegenstand. Da ist es dann höchste Zeit, ihn loszuwerden, und wir machen einen Ladenhüter-Rabatt.
Astrid: Ausnahme ist der Neubaugassen-Flohmarkt. Hier wird das gesamte Geschäft ausgeräumt und es wird versucht, wirklich alles rauszuverkaufen.
Ramsch & Rosen ist ...?
Olivia: Zeitlos.
Franz: Ein Stück Freiheit in einer Welt, wo der Zeitgeist eigentlich ein anderer ist. Ein Freiraum, der sich keiner Mode unterwirft.
Astrid: Spaß und Individualität.
Claudia: Ein Altwarentandler im Hier und Jetzt.
Wie kam es zur Geschäftsgründung?
Nach einem „Pop-up-Store“ an nobler Adresse in der Herrengasse für vier Monate mit richtigem Ramsch haben wir an der Idee Gefallen gefunden. Daraufhin haben wir ein fixes Geschäft an einem ähnlich frequentierten Platz gesucht, um all das zu verkaufen, was andere normalerweise wegschmeißen. Wir nennen es auch Nahversorger für Alltagshilfen, also eine Art Trödlerladen wie vor hundert Jahren. Der Grundgedanke ist: Aufmerksamkeit zu erregen, was unsere Wegwerfgesellschaft anbelangt, und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu liefern. Wir haben die Firma Vienna Hut König mit allen Markenrechten gekauft; damit konnten wir den niedrigen Mietzins erhalten, um uns dort einigermaßen spielen zu können.
Wie genau funktioniert der Shop? Betrieben wird das Geschäft von wechselnden Studenten, die alles in Eigenregie machen. Das heißt: Die Geschäftseinrichtung, die Gestaltung, die Musik, die Diensteinteilung und, was am Allerlustigsten ist, die Preisgestaltung. Dies geschieht alles in Eigenverantwortung, eine wunderbare Übung, um eine Art Selbstausbildung zu machen. Ungläubig werden wir immer gefragt, wie so etwas funktionieren kann, aber einmal losgelassen finden die Studenten das Projekt als Selbstverwirklichung wunderbar. Hat Ramsch & Rosen eine spezielle Zielgruppe? Es gibt Fünfjährige, die bei uns schon am liebsten mithelfen wollen und bunte Spielsachen finden, bis zu den Neunzigjährigen, die bei uns immer ein offenes Ohr finden, um Tagesprobleme zu besprechen. Gerade die älteren Semester bringen uns Einpackpapier und gesammelte Tragetaschen, backen für uns Kuchen und freuen sich, jemanden zum Plaudern zu haben. Dazwischen gibt es Sammler und Händler, Wohnungseinsteiger, Bastler und Künstler aller Altersgruppen. Wie entstand die Idee zum Nachlass-Hopping? Für meine Tochter und deren Freunde, damals alle Wohnungseinsteiger, habe ich den Versuch gestartet, all das umzuverteilen, was noch funktioniert, aber im Ramsch keinen Platz hat, wie Elektrogeräte, Fernseher, Stereoanlage, Staubsauger, Gebrauchsgeschirr, etc. Es hat ihnen so viel Spaß gemacht, dass sie darüber auf Facebook berichteten. Ab der zweiten Wohnung kamen über hundert Leute. Mittlerweile ist es eine riesige Gemeinschaft geworden, die nach Europa ausstrahlt. Für die Administration wird nun eine Gebühr von 10 bis 20 Euro veranschlagt, die sich nach der Anzahl der Personen und Größe der Wohnung berechnet. Dann ist alles Weitere zur freien Entnahme, bis nichts Brauchbares mehr vorhanden ist. Und wichtig! Wenn jemand nichts findet, wird ihm sein Eintritt rückerstattet. Alles dies findet selbstverständlich immer in Absprache mit den Erben oder der Abgeberfamilie statt. Was wünschten Sie sich für die nächsten 15 Jahre? Wir wollen in Zukunft weiter Nachhaltigkeit zum Thema machen, mit dem Finger kritisch auf die Wegwerfgesellschaft zeigen, um mit unseren Aktionen die Umwelt, das soziale Miteinander und das Bewusstsein zu stärken. Damit wollen wir die Welt ein Stück besser machen. Infos zu Ramsch & Rosen unter: www.lichterloh.com
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