10x Wiener Design: Eine Tour mit Lilli Hollein

Die Lobmeyr-Werkstätte – ein Highlight des Rundgangs
Zehn Jahre Vienna Design Week, zehn Orte: Zum Jubiläum des Festivals besucht Direktorin und Mitbegründerin Lilli Hollein Plätze, die besonders inspirierend, überraschend und prägend waren. Und erklärt, welche Erkenntnisse sie in dieser Zeit gesammelt hat.

Als Tulga Bayerle, Thomas Geisler und Lilli Hollein 2006 die "Neigungsgruppe Design" gründeten, legten sie den Grundstein für Österreichs größtes Designfestival. Mit Ausstellungen, Führungen, Workshops und Projekten wurde das kreative Potenzial der Bundeshauptstadt einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, zudem wurden internationale Gestalter mit heimischen Produktionsunternehmen vernetzt. Im Vorjahr zählte die Veranstaltung über 36.000 Besucher. Bevor die zehnte Ausgabe am 30. September startet, hat sich Lilli Hollein Zeit für den KURIER genommen, um Orte, Entdeckungen und Erkenntnisse Revue passieren zu lassen. Ein Retourgang.

#1: Stand 129

10x Wiener Design: Eine Tour mit Lilli Hollein
Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week 2016 am 16.09.2016

Die Reise beginnt am bereits hellwachen Viktor-Adler-Markt. Lilli Hollein bahnt sich ihren Weg durch die Menge, vorbei an Taschen, Gewürzen und Obst. „Favoriten war schon ein Erlebnis“, erzählt sie über den Schwerpunkt-Bezirk des Vorjahres. Inmitten des Markttreibens befindet sich der „Stand 129“, in dem die Hilfsorganisation Caritas Wien ein vielfältiges Kulturangebot vermittelt. „Hier fanden Workshops statt, es wurde gekocht – insgesamt Social Design im besten Sinn.“ Der Stand ist heute ein Fixpunkt – und trägt mit seinem gelben Anstrich noch Spuren des Festivals.

„Bei einem Design-Festival denken viele: Hier kann ich mich neu einrichten, schöne Dinge sehen. Wir sind aber keine Messe. Es gibt auch herausfordernde Inhalte und Diskurse, die das Publikum immer stärker in Anspruch nimmt. Es mag auf hohem Niveau unterhalten werden. Das ist beruhigend und erfreulich. Design betrifft nicht nur Fachleute, sondern alle.“

Dass man mitten auf einem Markt auf solch eine Einrichtung stoßt, ist ganz nach dem Geschmack der Kuratorin. Mögen viele unter dem Begriff "Design" Möbel oder Produkte verstehen, versucht die Veranstaltung aufzuzeigen, dass die Bandbreite um einiges größer ist.

"Letztes Jahr beschäftigte sich ein Programmpunkt mit Kochen, dieses Jahr mit Industrie und Mobilität. Design ist im Alltag verhaftet, ein Teil des täglichen Lebens.“

Dass bei der Vienna Design Week nicht nur Branchenleute und Gestalter aufeinander treffen, sondern auch Grätzelbewohner und Touristen plötzlich mit Projekten konfrontiert werden, die sie aus eigenem Antrieb vielleicht nie kennenlernen würden, macht dieses Veranstaltung so besonders.

#2: Palais Schwarzenberg

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Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week 2016 am 16.09.2016

Die nächste Station hat für die Kuratorin einen besonderen Stellenwert, ist sie doch seit Jahren hermetisch abgeriegelt. „Es gab nur ein kosmisches Fenster – 2014 wurde das Palais für uns geöffnet.“ Im Seitentrakt war die Zentrale untergebracht, in den Prunkräumen fand die Eröffnung statt. „Emotional besetzte Orte wie diesen einem Publikum zugänglich zu machen, wo man Erinnerungen auffrischen und sich daran laben kann, macht große Freude.“ Ein Glücksfall war auch die Entdeckung der für zerstört geglaubten Bar von Hermann Czech: „Gestalterische Eleganz pur.“

„Wenn es in Summe eine Mischung aus ‚Wow‘ und Irritation ist, ist es genau das, was wir mit dem Festival erzählen möchten.“

#3: WerK Nussbaumer

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Bildunterschrift

Am Rand des siebenten Bezirks gelegen, gehen Katja und Werner Nussbaumer seit über 25 Jahren ihrer Berufung nach: spektakuläre Möbel bauen. 2014 zogen sie mit einem fahrenden Karussell mitsamt ihren Entwürfen durch die Stadt, 2012 hießen sie Besucher in ihrem Atelier willkommen. Hollein: „Wenn du einmal in dieser wunderschönen Werkstatt bist, kommst du nicht mehr so schnell heraus. Dass es Handwerk mitten im Zentrum gibt, ist auch etwas, was Wien ausmacht.“

#4: Marinelligasse 3

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Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week 2016 am 16.09.2016

Jedes Jahr begibt sich das Team auf Suche nach interessanten Ateliers, Werkstätten und leerstehenden Immobilien.

"Die größten Entdeckungen habe ich in den entlegensten Ecken der Stadt, in den Hinterhöfen gemacht. Das ist ein wesentlicher Faktor: Auf Schauplätze nicht nur hinzuweisen, sondern auch jene zu öffnen, die sonst kaum zugänglich sind. Vor allem auch rauere Orte, deren Schönheit man sich erarbeiten muss.“

2011 stieß man auf das ehemalige Direktionsgebäude der Nordwestbahn und Mietshaus, das vom Architekten Alois Simona stammt. „Man glaubt es kaum, aber hinter den Rollbalken befindet sich eine schöne, Werkhalle, die wir als Ausstellungsraum nutzen konnten.“ In diese ruhige Ecke der Leopoldstadt pilgerten am Eröffnungsabend zahlreiche Menschen – für manche Anrainer zu viele. „Plötzlich kam eine Ladung Wasser von oben, die mich erwischt hat. Das merkt man sich.“

#5: Marktlücke (Café Sonja)

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Dass Projekte nachhaltige Effekte haben, unterstreicht das temporäre „Café Sonja“ im 2. Bezirk. Die Designer PostlerFerguson kamen mit Schichtholzplatten im Gepäck aus London, um in einem verlassenen Tschocherl ein Pop-up-Café einzurichten. "Die einzige Order, die wir bekamen, war, alles schwarz zu streichen: Wand, Boden, Decke." Mit Steckmöbeln eingerichtet und gut besucht, habe man schnell gemerkt, dass Potenzial vorhanden ist. Una Abrahams "Das Engel" zog ein, heute macht Sebastian Neuschler mit seinem Restaurant "Marktlücke" erfolgreich von dem Lokal Gebrauch. Dass verlorengeglaubte Orte durch Initiativen wie diese reaktiviert werden, ist ein nicht unwesentlicher Faktor für die Entwicklung einer Stadt. "Ich finde es schön, dass man an solche Plätze jetzt wieder zurückkehren kann", erzählt Hollein.

#6: Walking Chair

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Durch die Fensterfronten machen die farbenfrohen Entwürfe bereits aufmerksam, dass in der gediegenen Rasumofskygasse im Dritten Spannendes passiert. Das Studio von Karl Emilio Pircher und Fidel Peugeot, das sich Produktdesign, Architektur und Grafik widmet und mit einer eigenen Galerie aufwartet, ist stets für Überraschungen gut. „Dass man über solche Orte stolpern kann, ist eine besondere Form der Designvermittlung, die ich sehr schätze.“

Nicht zuletzt der Kreativbranche ist es zu verdanken, dass die vor Jahrzehnten noch als grau und fad verschriene Bundeshauptstadt seine Außenwahrnehmung positiv ändern konnte.

„Vor zehn Jahren war Wien ein Geheimtipp. Heute verehren hippe, internationale Magazine die Stadt. Die Vienna Design Week konnte wohl ein bisschen dazu beitragen, dass sie zeitgenössischer wird – daran müssen wir unbedingt weiterarbeiten. Die Tendenz, in einer gewissen Vergangenheitsverliebtheit zu leben, ist immer noch sehr groß.“

#7: J. & L. Lobmeyr

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Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week 2016 am 16.09.2016

Der nächste Halt führt an eine verwunschene Ecke. „Vielen ist gar nicht bekannt, dass mitten im Botschaftsviertel des dritten Bezirks eine Lusterwerkstatt ist.“ Rund um den Innenhof befinden sich Ateliers, in denen das Traditionsunternehmen Glas in schmucke Formen bringt. „Wenn ich meinen Job aufgebe, fange ich hier an.“ Dass Handwerk eine zentrale Rolle im Festival einnehmen wird, stand gleich fest.

"Von Beginn an haben wir uns damit beschäftigt – und sind dafür belächelt worden. Nun scheint es ein globales Interesse dafür zu geben, eine Art Rückbesinnung. Unser Zugang war dabei nie eine Verherrlichung der Tradition, sondern altes Wissen mit neuen Zugängen zu vereinen. Deshalb bringen wir im Rahmen der 'Passionswege' jährlich Designer mit Wiener Produktionsunternehmen zusammen, um Experimente zu ermöglichen.“

J. & L. Lobmeyr war von dem Format gleich begeistert und ist seitdem jährlich dabei, wie Inhaber Leonid Rath erzählt: "Es ist eine wahnsinnige Inspiration. Die Designer sind in der Welt unterwegs, denken über Funktionen, Techniken und Formen nach. Wenn sie ins unsere Werkstatt kommen, entdecken sie Perspektiven, auf die wir gar nicht kommen würden."

#8: Hofmobiliendepot

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Das Museum im 7. Bezirk erzählt nicht nur eine österreichische Möbelgeschichte, sondern auch eine der Vienna Design Week. 2007 beschäftigten sich zehn Gestalter mit der Sammlung, dieses Jahr treffen sie wieder zusammen. Entstanden ist daraus die Schau "Re-Design10", die von Walking Chair (siehe oben) arrangiert wurde. Die Objektpaare werden diesmal direkt neben den historischen Exponanten ausgestellt. „Eine Inspirationsquelle. Alleine, dass die Sissi-Filme zum Teil mit Originalen von hier ausgestattet wurden, ist eine schöne Anekdote“, sagt Hollein.

#9: St.-Elisabeth-Platz

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Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week 2016 am 16.09.2016

„Ich kenne den Platz seit meiner Kindheit“, erzählt Hollein, während sie darüber schlendert. Als 2013 Wieden zum Fokusbezirk gekürt wurde, bekam auch das Grätzel seine Attraktion: die „Construisine“ – eine offene Küche und Werkstatt, die gemeinsam genutzt wurde. Das Konzept ging auf: „Ich war erstaunt, welche Begegnungen hier entstanden sind.“

„Die spezielle Atmosphäre des Festivals entsteht eben auch dadurch, dass wir neue Wege ermöglichen und Menschen zusammenbringen. Dadurch kommt es zu ganz anderen Gesprächen.“

#10: Bothe & Ehrmann

10x Wiener Design: Eine Tour mit Lilli Hollein

Den Abschluss der Tour bildet ein Blick in die nahe Zukunft: In den ehemaligen Schauräumen der Kunsttischlerei befindet sich die heurige Festivalzentrale in Margareten. „Ein sehr atmosphärischer Ort, der wie für uns geschaffen scheint.“ Wo einst Stilmöbel der Monarchie zu sehen waren, darf ab 30. September zehn Tage lang Wiener Design anno 2016 hochleben lassen.

Tour: Wiens fünfter Bezirk steht 2016 im Blickpunkt. Einige Projekte sind im Rahmen einer Führung („Tour 2“) kennenzulernen. 3.10. 11–13 Uhr sowie 14.30–16.30 Uhr und 4.10. 11–13 Uhr, € 15,–, Tickets online auf www.viennadesignweek.at, Treffpunkt Margaretenplatz, 5. Bezirk

Gastland Tschechien: Einen Überblick über das Schaffen zeitgenössischer Studios ist im Rahmen der Ausstellung „Generation“ zu sehen. Täglich im Eventzeitraum von 11–20 Uhr, Festivalzentrale, Schlossgasse 14, 5. Bezirk

Stadtarbeit: „Transmigration“ treibt die positive Integration von Migranten voran – vom Möbel-Workshop (2.10. von 16–19 Uhr) bis zur Fototour (4. 10. von 17–19 Uhr). Diehlgasse 51, 5. Bezirk

Vortrag: Der Forscher Hubert Klumpner über alternative Architektur- und Designkonzepte, die einen städtebaulichen Wandel herbeiführen. 7. 10. um18 Uhr, Schlossgasse 14, 5. Bezirk

Installation: Die Berliner Architekten Kuehn Malvezzi kreieren aus Möbeln „City Rooms“. Im Eventzeitraum von Mo–Fr 10-18 Uhr, Sa. 10-16 Uhr. Vitra, Schottenring 12, 1. Bezirk

Alle Termine und Informationen auf www.viennadesignweek.at

Über die Suche nach geeigneten Festival-Locations „Im Lauf der Zeit entwickelt man nochmals einen anderen Blick. Die größten Entdeckungen habe ich in den entlegensten Ecken der Stadt, in den Hinterhöfen gemacht. Das ist ein wesentlicher Faktor: Auf Schauplätze nicht nur hinzuweisen, sondern auch jene zu öffnen, die sonst kaum zugänglich sind. Vor allem auch rauere Orte, deren Schönheit man sich erarbeiten muss.“

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