Wozu die Nasca-Linien dienten

Wozu die Nasca-Linien dienten
Eines der größten Rätsel der Archäologie scheint gelöst: Die Scharrbilder sind Folge des Klimawandels.

Wir schreiben das 1. Jahrtausend n. Chr.: Von den Pampas im Süden Perus aus können die Menschen die fernen Berge flirren sehen. So heiß und trocken ist es zuvor nie gewesen. Die Verzweiflung ist groß, und darum packen die Nasca wieder einmal ihre Trommeln, Panflöten und Trompeten aus, tragen Fahnenmasten vor sich her, tanzen und singen. Ihnen voran schreitet der Priester. Er hat sich mit Meskalin in einen heiligen Rausch versetzt und opfert den Göttern Feldfrüchte, Muscheln und andere Symbole für Wasser. Überall auf den Hochebenen über den Dörfern kann man an diesem Tag Prozessionen sehen, die Menschen gehen entlang der Konturen des Kolibris, des Affen, der Spinne, des Reihers und der Echse, die von Hohepriestern in die Landschaft gezeichnet worden waren. Und sie alle flehen um Regen.

Rituale gegen Dürre

So oder so ähnlich könnte es gewesen sein, glauben Archäologen nun. In einem Punkt aber sind sie sich ganz sicher: "Wir denken, dass die großen Wüstenflächen von den Menschen genutzt wurden, um gleichzeitig auf verschiedenen Geoglyphen (Erdgravuren) Rituale durchzuführen. Der Hintergrund ist der Klimawandel", sagt Markus Reindel im Interview mit dem KURIER. Der Archäologe des Deutschen Archäologischen Instituts erforscht seit 1997 die berühmten Scharrbilder am Rande der Atacamawüste und präsentiert im Rahmen der neuen Ausstellung Nasca. Peru – Auf Spurensuche in der Wüste im Rietberg-Museum in Zürich seine Erkenntnisse.

Astronomischer Kalender, Landkarten, Stammeszeichen, Startplätze für Heißluftballons oder Landeplätze für Außerirdische – mehr als ein Dutzend Theorien, wozu Geoglyphen dienten, wurden bisher vorgebracht. Eines der Probleme sei gewesen, dass "die Leute immer nur auf die Bodenzeichnungen geschaut haben", sagt Reindel. "Wenn wir etwas über die Geoglyphen erfahren wollen, müssen wir viel mehr auf die Menschen schauen, die sie gefertigt haben" – und auf ihre Umwelt. Also hat Reindel historische Klimaanalysen mit einbezogen und festgestellt, dass das westliche Vorland der Anden im 1. Jahrtausend n. Chr. zu jenem extrem trockenen Raum wurde, der er heute ist. Das könnte der Grund gewesen sein, aus den Bodenzeichnungen riesige Bühnen zu machen, von denen aus höhere Mächte um Beistand gebeten wurden.

Dass die Linien regelmäßig begangen wurden, konnten die Wissenschafter mit Hilfe geomantischer Untersuchungen nachweisen – der Boden dort ist durch unzählige Fußtritte extrem verdichtet. Auch Keramikreste neben den Prozessionswegen stützen Riedels Theorie: Sie scheinen bei Opferritualen zerstört worden zu sein. "Und die Darstellung auf einer der Scherben zeigt etwas, das eine Prozession sein könnte."

Riedel und sein Team haben aber noch viel mehr getan: Sie begannen Nasca-Siedlungen in der Region auszugraben, um die Lebensweise der Menschen zu erforschen. Und sie haben 200 Kilometer nordwestlich das Volk der Paracas als Vorgängerkultur der Nasca ausgemacht: "Auch die Paracas haben sich bereits mit Scharrbildern verewigt. Aus diesen haben sich die berühmten Nasca-Bilder entwickelt", sagt Riedel.

Versteckte Erdgravuren

Der Wissenschaftler hat sich 40 km nördlich von Nasca die Region Palpa als Forschungsgebiet ausgesucht: "Da findet man die gleichen Geoglyphen, riesige Felder, und niemand hat sich um die gekümmert. Nicht mal die Einheimischen wussten, dass auf den Hochflächen direkt über ihren Dörfern auch Geoglyphen waren", erzählt er und bestätigt, dass die Forscher etwa 1000 Scharrbilder auf 90 km² ausgemacht haben. " Die Fläche von Nasca ist noch größer, da kann man locker noch mal 2000 dazurechnen. Und das sind nur Teilbereiche – die Geoglyphen erstrecken sich also über ein viel größeres Gebiet als bisher angenommen. Das haben wir erst in den vergangen Jahren durch Satellitenbilder herausbekommen. Ich würde sagen: Es sind mindesten 5000."

Und das bedeutet: Da gibt es auch weiterhin noch viel zu erforschen.

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