Im Jahr 1867 führten sich die Gemeinderäte wie Hund und Katz auf. Grund: Wien und 14 angrenzende Gemeinden wollten eine Hundesteuer einführen. Befürworter und Gegner gerieten prompt aneinander. Erstere hofften, das Heer der Hunde so dezimieren zu können, denn „man kann mit einer Dame gar nicht mehr in ein Gasthaus gehen, ohne daß eine Menge Hunde kommen und die Haxen in die Höh’ heben“, schreibt das Wiener Tagblatt. Ja, die Donaumetropole hatte – wie übrigens andere europäische Städte auch – ein Hundeproblem, und kämpfte gegen die „zeitweilig ausbrechende Wuthkrankeit“, wie die Tollwut damals genannt wurde.
Die Misere hatte bereits viel früher begonnen: Mit der industriellen Revolution kamen immer mehr Landbewohner in die rasch wachsenden Städte. Und alle brachten ihre Tiere mit. Bald bevölkerten Küken, Kaninchen, Tauben und sogar Schweine Arbeiterwohnungen und Kleingärten. Für die tierische Invasion in den Häusern gab es pragmatische Gründe. Arme Tagelöhner und kleine Beamte setzten aus finanziellen Gründen auf die Kleintierzucht.
„Das Phänomen der massenhaften Haustierhaltung kam also mit den wachsenden Städten auf“, weiß Aline Steinbrecher. Die Historikerin von der Uni Zürich hat die Mensch-Hund-Beziehung erforscht und stellt klar, dass die Tierliebe natürlich nicht erst im 18. Jahrhundert aufkam.
„Auch im Mittelalter kennen wir Beispiele von Menschen, die den Tod ihrer Hunde betrauerten. Da war schon eine enge emotionale Bindung da. Aber das waren Einzelbeziehungen – einzelne Menschen zu einzelnen Tieren“. Jetzt wandelte sich das Schoßhund-Phänomen der Eliten zum Massenphänomen des aufstrebenden Bürgertums.
„Da spielte auch die Aufklärung hinein“, sagt die Historikerin. „Für die Aufklärer hatte der Hund eine wichtige Funktion als Erziehungsmedium. Über Hunde konnte man das richtige Verhalten auch Menschen näherbringen.“ Und so verändert sich die Stellung der Tiere. „Sie wurden Partner des Menschen, Familienmitglieder, mit denen man Freizeit verbringen, und die man lieb haben konnte. Vom Nutztier zum Lusttier, könnte man sagen.“
Bürger braucht Hund
Steinbrecher weiter: „Zum bürgerlichen gehobenen Lebensstil gehörte vor allem der Hund einfach dazu – egal, ob in Paris, in London oder Wien. Er ist im 18. Jahrhundert das absolut dominante Haustier in den Städten. Steuerlisten kann man entnehmen, dass in Wien Anfang des 19. Jahrhunderts die Hundehaltung boomte“. Zeitungen schreiben über viele Jahrzehnte, dass 30.000 Hunde die aufstrebende Metropole bevölkerten. „Manch einer der Städter hatte 30 bis 40 Hunde. Die Katze kommt erst später auf und läuft dem Hund Ende des 19. Jahrhunderts den Rang ab. Davor waren auch Frettchen und Kanarienvögel beliebter.“
Tollwut wurde zum Problem
Nie zuvor hatten in den Städten also so viele Tiere auf Tuchfühlung mit Menschen gelebt. Hunde ließ man frei streunen, wie es am Land auch üblich war. Und genau da liegt der Hund begraben: Die Tollwut – eine tödliche Viruserkrankung – grassierte. „Trotz der kalten Jahreszeit mehren sich die Fälle von Hundswuth in Besorgnis erregender Weise. So versetzte vorgestern ein Neufoundlander die Bewohner vor der Nußdorfer Linie in nicht geringe Angst. Der nach allen Anzeichen mit der Wuth behaftete Hund hat nicht weniger als fünf andere Hunde, ein Pferd, und auch den Hausbesitzer A. gebissen“, vermeldete die Morgen-Post am 5. Februar 1868.
Die Stadt reagierte mit der eingangs erwähnten Hundesteuer, was vielen auch wieder nicht recht war. An 1. Jänner 1869 beschwerte sich dieselbe Zeitung: „Unseren Hunden droht nach Einführung der Hundesteuer ein böses Schicksal. Ein trauriges Bild ihrer Zukunft haben sie an ihren Brüdern in Frankfurt am Main. Dort wurden im Laufe der verflossenen Woche im Hinblick auf die vom 1. Januar ab erhöhte Hundesteuer etwa 60 Hunde todtgeschossen, während eine noch größere Anzahl ertränkt wurde“.
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