Diese Erkenntnisse könnten 2023 wichtig werden
In der Covid-19-Pandemie hat die mRNA-Technologie erstmals gezeigt, was künftig möglich sein könnte. Jetzt prophezeit das Wissenschaftsmagazin Nature in seinem Jahresausblick, dass neue mRNA-Impfstoffe zu den wichtigsten wissenschaftlichen Ereignissen 2023 zählen werden. Laut dem Journal wird das Pharmaunternehmen BioNTech voraussichtlich Anfang des Jahres erste Versuche am Menschen für mRNA-Impfstoffe gegen Malaria, Tuberkulose und Genitalherpes einleiten.
Das neue Jahr könnte zumindest in den USA auch die erste Zulassung einer auf der Genschere CRISPR basierenden Therapie bringen: Nach vielversprechenden Ergebnissen klinischer Studien könnten Stammzellen von Patienten mit der CRISPR-Cas9-Technologie verändert werden, um zwei genetische Blutkrankheiten (Beta-Thalassämie und Sichelzellenanämie) zu behandeln.
Bereits mit seinen ersten Bildern hat das "James Webb Space Telescope" als größtes und leistungsfähigstes Weltraumteleskop für Begeisterung gesorgt und wird auch 2023 neue Einsichten in das Universum liefern. Das wird auch vom Vera C. Rubin Observatory in Chile erwartet, dessen erste Bilder im Juli erwartet werden. Das von der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation LSST Corporation betriebene Teleskop kann dank eines großen Bildwinkels den gesamten Südhimmel in nur drei Nächten scannen.
Im neuen Jahr soll mit dem Qitai Radio Telescope (QTT) in China auch das größte lenkbare Teleskop der Welt in Betrieb gehen. Ein Schüsseldurchmesser von 110 Metern ermöglicht ihm, jederzeit 75 Prozent der Sterne am Himmel im Frequenzbereich von 300 MHz bis 117 GHz zu beobachten.
Energiekrise erreicht Forschung
Angesichts der Energiekrise und des hohen Stromverbrauchs der Teilchenbeschleuniger sollen an der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) bei Genf (Schweiz) deren Betriebszeiten gekürzt werden. Dadurch werden auch weniger Daten für die Suche nach einer Physik jenseits des derzeit gültigen Standardmodells der Elementarteilchenphysik produziert.
Genau diesem Ziel hat sich auch das Jiangmen Underground Neutrino Observatory in Südchina verschrieben. Dort werden mit einem 700 Meter unter der Erde befindlichen Detektor ab 2023 Neutrinos präzise vermessen. In der Nähe von Lund (Schweden) sollen an der Europäischen Spallationsquelle ESS 2023 die ersten Forscher ihre Arbeit aufnehmen.
An der zweiten großen multinationalen Neutronenquelle in Europa - neben dem Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble - werden mit Hilfe eines linearen Protonenbeschleunigers intensive Neutronenstrahlen erzeugt, um die Struktur von Materialien zu untersuchen.
Und Österreich?
Spannend wird es für Österreichs Forschungsgemeinde 2023 in der Exzellenzinitiative "excellent=austria", wo die ersten Entscheidungen für zwei Förderschienen fallen: Am 9. März gibt der Wissenschaftsfonds FWF bekannt, welche wissenschaftlichen Konsortien zum "Cluster of Excellence" werden.
Elf sind noch im Rennen, eine Jury wird vier bis sechs davon auswählen, die mit jeweils bis zu 70 Mio. Euro für zehn Jahre die mit Abstand höchste Forschungsförderung Österreichs erhalten. Im Dezember entscheidet sich dann, welche kleinen Forscherteams mit ihren völlig neuen Ideen, die etablierte Denkansätze aufbrechen, im Förderprogramm "Emerging Fields" eine Förderung von bis zu sechs Mio. Euro für fünf Jahre erhalten. Insgesamt stehen dafür 24 Mio. Euro zur Verfügung.
Während es für die Exzellenzinitiative viel Geld gibt, muss der FWF im neuen Jahr an anderer Stelle sparen. Weil die Förderagentur den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in laufenden FWF-Projekten mehr Mittel für die stark steigenden Lohnkosten zur Verfügung stellen wird, gibt es rund 15 Mio. Euro weniger für die Bewilligung neuer Projekte. Zudem wird das "1000-Ideen-Programm" komplett ausgesetzt.
Wie es finanziell weitergeht, wird im kommenden Jahr für die zentralen Forschungsförderagenturen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen entschieden: Nachdem die Bundesregierung kurz vor Weihnachten den neuen "Pakt für Forschung, Technologie und Innovation" (FTI-Pakt) für die Jahre 2024 bis 2026 verabschiedet hat, geht es 2023 um die Verteilung des 5,05 Mrd. Euro großen Kuchens für diesen Zeitraum.
Folgende Institutionen müssen dafür im neuen Jahr ihre Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen mit den jeweils zuständigen Ressorts verhandeln: Austrian Institute of Technology (AIT), Institute of Science and Technology (IST) Austria, Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Silicon Austria Labs (SAL), Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG), GeoSphere Austria (GSA), Austria Wirtschaftsservice (aws), Christian Doppler Forschungsgesellschaft (CDG), Wissenschaftsfonds (FWF), Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD).
Wissenschafsskepsis bekämpfen
Mit dem in den vergangenen Jahren virulenter gewordenen Thema der "Wissenschaftsskepsis" beschäftigen sich im kommenden Jahr mehrere Akteure: Im Auftrag des Bildungsministeriums führt zum Beispiel das Institut für Höhere Studien (IHS) bis August eine Ursachenstudie zum Thema "Wissenschafts- und Demokratieskepsis" durch. Ein Zwischenbericht soll bereits Anfang des neuen Jahres vorliegen, wie es kürzlich aus dem Ministerium hieß, das für 2023 mehrere Initiativen zur Wissenschafts- und Demokratievermittlung in Aussicht gestellt hat.
Die UN-Generalversammlung hat das Jahr 2023 zum "Internationalen Jahr der Hirse" (IYM 2023) erklärt. In Österreich wird dieses Getreide auf nicht einmal einem Prozent der gesamten Anbaufläche (2021: Rispenhirse: 7.400 Hektar, Sorghum: 4.400 Hektar) kultiviert. Doch weltweit spielt Hirse eine bedeutende Rolle, kann sie doch auf trockenen Böden mit minimalem Aufwand angebaut werden und ist gegenüber Klimaveränderungen widerstandsfähig.
Die Welternährungsorganisation FAO sieht sie daher als ideale Lösung für jene Länder an, die ihre Abhängigkeit von Getreideeinfuhren verringern wollen. Mit dem IYM2023 soll das Bewusstsein für die ernährungsphysiologischen und gesundheitlichen Vorteile von Hirse sowie ihre Eignung für den Anbau unter widrigen und sich ändernden klimatischen Bedingungen gehoben werden.
In Linz geht das neue "Institute of Digital Sciences Austria" (IDSA) an den Start. Für diese neue Technische Universität Linz muss zunächst einmal der Gründungspräsident bestellt werden, erwartet wird dies für Jänner. Ab Herbst 2023 soll das IDSA dann schrittweise den operativen Betrieb aufnehmen, der Gründungspräsident bzw. die Gründungspräsidentin gemeinsam mit dem Gründungskonvent u.a. die vorläufigen Curricula erarbeiten und Professoren bestellen. Im Studienjahr 2023/24 sollen dann erste Doktoranden zugelassen werden.
Konferenzen
Im Juni ist die offizielle Eröffnung eines neuen Wasserbaulabors der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien geplant. Am Brigittenauer Sporn, zwischen Donau und Donaukanal, sollen in einer riesigen Halle Flüsse maßstab- und naturgetreu nachgebaut und mit weltweit einzigartigen Durchflüssen von bis zu zehn Kubikmeter pro Sekunde Fragen zu Hochwasserschutz, Ökologie, Sohleintiefung, Wasserkraft und -straße untersucht werden.
- Das neue Labor wird wohl auch eine Attraktion für die rund 1.200 internationalen Expertinnen und Experten sein, die von 21. bis 25. August zur zur "Vienna Water Conferences 2023" kommen, zu welcher der Weltkongress der International Association for Hydro-Environment Engineering and Research", die "World's Large River Conference" und die "Danube Conference" kombiniert wurden.
- Nach den pandemiebedingten Pausen wird Wien wieder seiner Rolle als Kongressstadt gerecht: Anlässlich der Entdeckung von Franz-Josef-Land im Rahmen der Österreichisch-Ungarischen Nordpolarexpedition (Payer-Weyprecht-Expedition) vor 150 Jahren, am 30. August 1873, findet vom 17. bis 24. Februar die weltweit größte jährliche Konferenz zur Arktisforschung statt, die Arctic Science Summit Week. Organisiert wird sie vom Österreichischen Institut für Polarforschung (Austrian Polar Research Institute, APRI).
Ihren Blick weit in Richtung Norden schärfen Wissenschafter des APRI und u.a. der Universität Graz im September weiter: Dann soll eine neue Forschungsstation auf Grönland - eine Erweiterung der bereits bestehenden Sermilik-Station - ihren Betrieb aufnehmen. Hier handelt es sich um eine Kooperation mit der Universität Kopenhagen. Laut Angaben der Uni Graz ist der Bau in der Nähe des Ortes Tasiilaq im Südosten der größten Insel der Erde mittlerweile nahezu fertiggestellt. Die Wissenschafter werden dort vor allem Klimadaten erheben.
- Das tun auch viele Teilnehmer der von 23. bis 28. April wieder in Wien stattfindenden Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU), zu der wieder mehr als 10.000 Wissenschafter aus aller Welt zur erwartet werden. International wird sich auch die Aufmerksamkeit vieler Forscherinnen und Forscher auf die am 30. November beginnende UN-Klimaschutzkonferenz (COP28) richten. Sie steigt in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) und ist bis 12. Dezember angesetzt. Im Zentrum der Verhandlungen wird dann voraussichtlich auch die Ausgestaltung eines Ausgleichsfonds für die vom Klimawandel stark betroffenen Länder des globalen Südens stehen.
Jahrestage
Auch wenn 2023 ein herausragender Jahresregent fehlt, kann das neue Jahr zahlreiche runde Jahrestage bieten:
- Am 19. Juni 1623, also vor 400 Jahren, wurde der französischer Mathematiker, Physiker und christliche Philosoph Blaise Pascal geboren. Er konstruierte Rechenmaschinen und untersuchte die Abhängigkeit des Luftdrucks von der Höhe. Nach ihm sind die physikalische Einheit des Drucks und eine Programmiersprache benannt.
- Am 16. Juni 1723, also vor 300 Jahren, wurde der schottische Philosoph und Aufklärer Adam Smith geboren. Mit seinem opus magnum “Der Wohlstand der Nationen„ (1776) begründete er die klassische Nationalökonomie.
- Der britische Naturforscher Alfred Russel Wallace wurde vor 200 Jahren, am 8. Jänner 1823 geboren. Er entwickelte unabhängig von Charles Darwin Ideen zur Evolutionstheorie.
- Vor 100 Jahren, am 10. Februar 1923, starb Wilhelm Conrad Röntgen. Der deutsche Physiker hat 1895 die von ihm so genannten “X-Strahlen„ entdeckt. Diese wurden im Deutschen nach ihm benannt, im Englischen heißen sie immer noch “x-rays„. 1901 wurde er dafür mit dem ersten Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
- Walter Kohn wurde vor 100 Jahren, am 9. März 1923 in Wien geboren. Als Kind von den Nazis aus Österreich vertrieben, wurde er in den USA Physiker und 1998 für seine Arbeiten zur Dichtefunktionaltheorie mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Er starb 2016.
- Auch die “Mutter der Pille„, wie er sich selbst bezeichnet hatte, der Chemiker Carl Djerassi, wurde vor 100 Jahren, am 29. Oktober 1923, geboren. Der in Wien geborene US-Chemiker und Schriftsteller hatte Anfang der 1950er-Jahre die erste “Antibabypille„ entwickelt. Er starb 2015.
- Für Kunsthistoriker ist 2023 ein willkommener Anlass, auf das Schaffen von Johann Bernhard Fischer von Erlach, einem der bedeutendsten Barockarchitekten Mitteleuropas, zurückzublicken. Der am 20. Juli 1656 in Graz geborene und am 5. April 1723 in Wien Verstorbene hat seine Handschrift in zahlreichen Bauten hinterlassen. Unter dem schlichten Titel “Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656-1723)„ haben die beiden ÖAW-Forscher Herbert Karner und Werner Telesko sowie Uni Wien-Rektor Sebastian Schütze bereits einen Prachtband zum 300. Todestag herausgegeben.
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