Wie Neid die Gesellschaft spaltet

Wie Neid die Gesellschaft spaltet
Das haben Forscher jetzt in einer spieltheoretischen Studie analysiert: Der Treiber ist neben Neid Wettbewerb.

Können Klassenunterschiede unabhängig von Geburt und Bildung? Dieser Frage ist Claudius Gros vom Institut für Theoretische Physik der Goethe-Universität in Frankfurt/Main in einer spieltheoretischen Studie nachgegangen. Und stellte fest, dass das urmenschliche Bedürfnis, sich mit anderen zu vergleichen, der ursächliche Grund für das Entstehen sozialer Schichten sein kann.

Es ist allgemein anerkannt, dass Unterschiede in Herkunft und Bildung Klassenunterschiede zementieren. Weniger klar ist hingegen, wann und unter welchen Umstände eine anfänglich homogene soziale Gruppe auseinandergetrieben und aufgespalten wird.

Unterschiede berechnen

Gros hat diese Fragestellung mit spieltheoretischen Methoden mathematisch-präzise untersucht. „Dabei werden Gesellschaften von Agenten – also handelnden Individuen – simuliert, die ihren eigenen Erfolg nach vorgegebenen Regeln individuell optimieren. Ich wollte in erster Linie herausfinden, ob sich soziale Unterschiede selbstständig auch dann herausbilden, wenn niemand von vornherein im Vorteil ist, d. h., wenn alle handelnden Personen über die gleichen Fähigkeiten und Möglichkeiten verfügen“, erklärt der Physiker.

Die Untersuchung basiert auf der Annahme, dass es in jeder Gesellschaft Dinge gibt, die begehrt, aber knapp sind – Arbeitsplätze etwa, soziale Kontakte und Machtpositionen. Wenn die Topstelle schon vergeben ist und man deshalb den zweitbesten Job annehmen muss, dann führt das zu Ungleichheiten – jedoch noch nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft.

Mit Hilfe mathematischer Berechnungen konnte Gros nun zeigen, dass Neid, der dem Bedürfnis entspringt, sich mit anderen zu vergleichen, das individuelle Verhalten und damit die Strategien der Agenten charakteristisch verändert. Als Folge des veränderten Verhaltens entstehen dann zwei strikt voneinander getrennte soziale Klassen.

Stichwort Spieltheorie

Die Spieltheorie stellt für die Studie von Gros die mathematischen Werkzeuge zur Verfügung, die notwendig sind, um Entscheidungssituationen mit mehreren Beteiligten zu modellieren. Besonders aufschlussreich sind im Allgemeinen Konstellationen, bei denen sich die Entscheidungstrategien der einzelnen Akteure wechselseitig beeinflussen.

Der Erfolg des Einzelnen hängt dann nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von dem anderer ab, was typisch sowohl für den ökonomischen wie für den sozialen Kontext ist. Die Spieltheorie ist daher fest in der Ökonomie verankert.

er stabile Zustand wird durch das „Nash-Gleichgewicht“ beschrieben, ein Konzept, das John Forbes Nash 1950 in seiner Dissertation am Beispiel von Pokerspielern entwickelt hat. Es besagt, dass es im Gleichgewicht für keinen Spieler vorteilhaft ist, seine Strategie zu ändern, wenn die anderen Spieler ihre Strategien beibehalten. Nur, wenn es sich potentiell auszahlt, probiert das Individuum neue Verhaltensmuster aus.

Da diese Ursachenkette auch für evolutionäre Prozesse zutrifft, greifen u. a. auch die Evolutions- und Verhaltenswissenschaften regelmäßig auf spieltheoretische Modelle zurück, zum Beispiel bei der Erforschung von tierischen Verhaltensweisen, wie der Wahl der Vogelflugrouten oder dem Kampf um Nistplätze.

Neidgesellschaft

Auch in einer neidinduzierten Klassengesellschaft lohnt es sich für den Einzelnen nicht, seine Strategie zu ändern, so Gros, sie ist also Nash-stabil. In der gespaltenen Neidgesellschaft gibt es einen markanten Einkommensunterschied zwischen der oberen und der unteren Klasse, der für alle Mitglieder der jeweiligen sozialen Schicht derselbe ist.

Typisch für die Mitglieder der unteren Klasse ist nach Gros, dass sie ihre Zeit auf eine Reihe unterschiedlicher Tätigkeiten verteilten, was man spieltheoretisch als eine „gemischte Strategie“ bezeichnet. Mitglieder der oberen Klasse konzentrierten sich indes auf eine einzige Aufgabe, d. h., sie verfolgen eine „reine Strategie“. Auffallend ist auch, dass die obere Klasse zwischen unterschiedlichen Optionen wählen kann, während der unteren Klasse nur eine einzige gemischte Strategie zur Verfügung steht. „Die obere Klasse ist daher individualistisch, während Agenten in der unteren Klasse sozusagen in der Masse aufgehen“, resümiert der Physiker.

Nicht die Herkunft entscheidet

Im Modell von Claudius Gros ist es Zufall, ob ein Agent am Ende in der oberen oder in der unteren Klasse landet. Nicht die Herkunft entscheidet, sondern die Wettbewerbsdynamik.

Für seine Studie hat Gros ein neues spieltheoretisches Modell entwickelt, das „Shopping Trouble Modell“, und eine exakte analytische Lösung ausgearbeitet. Daraus leitet er ab, dass eine neidinduzierte Klassengesellschaft Eigenschaften hat, die in der Theorie komplexer Systeme als universell bezeichnet werden.

Folge: Die Klassengesellschaft bis zu einem gewissen Grad der politischen Kontrolle entzieht. Politische Entscheidungsträger verlieren einen Teil ihrer Kontrollmöglichkeiten, wenn sich die Gesellschaft spontan in soziale Schichten aufteilt.

Zudem zeigt Gros‘ Modell, dass sich Neid umso stärker auswirkt, je stärker der Wettbewerb um begrenzte Ressourcen ist. „Diese spieltheoretischen Erkenntnisse könnten für die heutigen Gesellschaften von zentraler Bedeutung sein. Selbst eine ‚ideale Gesellschaft‘ ist dauerhaft nicht stabil zu halten – was letztlich auch das Streben nach einer kommunistischen Gesellschaft unrealistisch erscheinen lässt“, sagt der Wissenschafter.

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