„Es gibt tatsächlich zahlreiche derartige Höhlensiedlungen, nicht nur in der Region um Midyat, sondern auch 600 Kilometer weiter westlich in Kappadokien“, weiß Johannes Preiser-Kapeller vom Institut für Mittelalterforschung/Abteilung Byzanzforschung der Akademie der Wissenschaften. „In dieser Region kennt man sicher mehr als 40 solcher Höhlensiedlungen. Erste Besiedelungen lassen sich bis zur Bronzezeit zurück verfolgen. Es bot sich aufgrund der Geologie an, Höhlen in das weiche Vulkangestein der Gegend zu schlagen und weit nach unten vorzustoßen.“
Özkonak dürfte die größte unterirdische Stadt in Kappadokien sein und hatte in ihrer Blütezeit etwa 60.000 Einwohner. Ähnlich viele, wie ihre Entdecker es jetzt für Matiate annehmen. „Derartige Schätzungen sind mit Vorsicht zu genießen“, sagt der Historiker. „Selbst in Özkonak, das schon lange erforscht wird, ist die Dimension unsicher.“
Dass hier ein großes Höhlensystem entdeckt wurde, wundert ihn aber nicht: Der alte Name Matiate wird von einigen mit „Berg der Höhlen“ übersetzt.
Grenz- und Konfliktregion
Das heutige Midyat liegt in der Grenzregion Türkei – Syrien – Irak. „Eine nicht wirklich ruhige Gegend“, kommentiert Preiser-Kapeller. „Und das war auch vor 2.000 Jahren nicht anders.“ Erst lag man im Grenzgebiet zwischen dem Römischen und dem Perser-Reich, dann zwischen Byzantinischem Reich und Arabischem Kalifat. Immer wieder war die Gegend eine Kriegsregion, in der die Menschen für Wochen und Monate in Verstecke abtauchen mussten.
Die Höhlen wurden nachweislich bereits 1.500 Jahre vor dem Christentum benutzt. Dass die Ausgräber in Midyat behaupten, in der unterirdischen Stadt hätten sich Christen versteckt, kommentiert Preiser-Kapeller trocken: „Kann sein, muss nicht.“
Fest steht: „Im 2. und 3. Jahrhundert begann man sie auszubauen – für mehrere Tausend Menschen. Und ab dem 3. Jahrhundert kann man in den Höhlen tatsächlich eine christliche Nutzung nachweisen. Ob die Leute sich, wie in den römischen Katakomben, versteckt haben, lässt sich aber nicht sagen.“ Sicher scheint, dass die Siedlungen in der Zeit, als es keine Christenverfolgungen mehr gab, stark ausgebaut wurden. „Man wollte sich vor anderen Angreifern schützen.“ Zuerst – vom 3. bis zum 7. Jahrhundert – vor den Persern. Dann – vom 7. bis zum 11. Jahrhundert – vor den Arabern.
„Es gibt Parallelbeispiele aus Kappadokien, wo man über die gut erforschten, unterirdischen Siedlungen schon viel mehr weiß“, sagt der Mittelalter-Experte.“
Bis zu 100 Meter tief boten die Tunnel und Höhlen Platz für zwölf Stockwerke. Belüftungsschächte erlaubten es, Feuer zu machen. Preiser-Kapeller: „Die Menschen haben dort eine riesige Infrastruktur aufgebaut. Sogar das Vieh nahmen sie mit hinunter. Nicht, um sich kurzfristig vor Christenverfolgung zu schützen. Das waren über Generationen hinweg Zufluchtsorte bei den immer wiederkehrenden Angriffen in einer jahrhundertelang umkämpften Grenzregion.“
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