„Was bisher seiner ,Feder‘ entfloss, ist von bleibendem Wert“
Im letzten Gespräch mit dem KURIER räsonierte Manfried Rauchensteiner vor gut einem Jahr darüber, dass er plötzlich mehr Zeit habe, als er ursprünglich annahm. „Und was macht man mit Zeit? Man schaut, dass man etwas einigermaßen Sinnvolles tut“. Im nördlichsten Niederösterreich – eingesperrt, wie viele andere – beschloss er, „das zum Thema zu machen, was uns gerade beschäftigt“. Rauchensteiner – bekannter und renommierter Historiker – kontaktierte führende Intellektuelle unterschiedlicher Disziplinen. Gemeinsam thematisierten sie in dem Essayband Corona und die Welt von gestern die Veränderungen, mit denen uns Corona konfrontiert.
Hellhörig wurde Historiker Rauchensteiner, der auch eine sehr umfangreiche Arbeit über den Ersten Weltkrieg inklusive der folgenden Pandemie verfasst hat und daher mit der Spanischen Grippe vertraut ist, als in der aktuellen Diskussion immer wieder Worte fielen, bei denen er dachte: „Das kenne ich doch.“ Sehnsucht nach der Normalität. Permanenter Ausnahmezustand. Anpassungskrise. „Es stellte sich heraus, dass wir im Grunde genommen in vielfacher Weise mit identen Problemen kämpfen“, analysiert Rauchensteiner damals.
„Historisches Fieber“ – eine nicht enden wollende Neugier – treibe Rauchensteiner an, schreiben die Historiker Verena Moritz und Hannes Leidinger in einer Würdigung anlässlich seines heutigen 80. Geburtstags. Er sei als Lehrer und Autor „ein Brückenbauer zwischen den Generationen der Geschichtsinteressierten und GeschichtsarbeiterInnen“.
Zur Person
Manfried Rauchensteiner, 1942 in Kärnten geboren, studierte in Graz Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Wien. 1966 wurde er wissenschaftlicher Beamter im Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, 1992 schließlich Direktor des Hauses.
„Manfried Rauchensteiner, Museumdirektor, Lehrer an Akademien und Universitäten und vieles mehr, hat trotz seiner unzähligen und zeitraubenden Aufgaben ein erstaunliches Oeuvre geschaffen“, kommentieren die Kollegen Moritz und Leidinger. „Seine voluminösen Studien etwa zum Krieg in Österreich 1945 oder zum Untergang der Donaumonarchie sind Standardliteratur. Der Tod des Doppeladlers, seine profunde Veröffentlichung zur Donaumonarchie von 1914 bis 1918, ist aus dieser Motivation heraus gründlich überarbeitet und ergänzt worden. Auf hunderten zusätzlichen Seiten zeigt sich seine Fähigkeit und Bereitschaft, neue Forschungsergebnisse und Forschergenerationen zu berücksichtigen.“
Zu den Büchern
Egal, ob Die Besatzungszeit in Österreich, Die Große Koalition in Österreich oder Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie – Rauchensteiner hat sie/ihn erforscht und zwischen zwei Buchdeckel gepackt. Seine Historikerkollegen dazu: „Er bleibt unermüdlich, zeigt, was die Besten ihres Faches antreibt – das unentwegte Fragen und Forschen, die mühevolle Bereitschaft, gesammelte Materialien zu analysieren, Ergebnisse zu strukturieren und diese trotz wissenschaftlicher Vertiefung auch einer breiteren Leserschaft näherzubringen. Demgemäß hat er seine Schilderung der Jahre 1914 bis 1918 gewissermaßen weitergeschrieben und eine neue große Narration der beiden österreichischen Republiken und der dunklen Kapitel des Nationalsozialismus unter dem Titel Unter Beobachtung zum Papier gebracht. Es sind Grundlagenwerke entstanden, die sich zugleich als Einführungslektüre für jene junge Menschen eignen, die sich dem Geschichtsstudium ernsthaft zuwenden.“
Die Zwischenbilanz von Moritz und Leidinger zum 80. Geburtstag: „Was bisher seiner ,Feder‘ entfloss, ist von bleibendem Wert.“
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