Frauen sind die Besten
Am Morgen – vor unserem Besuch – hatte Dürrschmid Tester hier, die eine Weinverkostung abhielten, erzählt er. „Die besten Leute für das jeweilige Produkt.“ Allgemein könne man sagen, dass Frauen den besseren Geschmacksinn haben. „Die besten 20, 30 sind allesamt Frauen, dann kommen erst die besten Männer“, klärt Dürrschmid auf und lacht. „Darum sind oft viele Frauen hier.“ Sein Test-Pool besteht hauptsächlich aus Studenten – „die sind in der Hochblüte der geschmacklichen Fähigkeiten. Und verfügbar“. Anders als Berufstätige haben sie leichter Zeit, wenn der Geschmacksforscher ruft.
Dürrschmid platziert die schwarzen Weingläser auf dem Tablett mit den Zahlen – jedes Glas auf eine Zahl – und schenkt die verschiedenen Weine ein.
Das schwarze Glas verhindert, dass die Tester abgelenkt werden – nur Geruch und Geschmack sollen bewertet werden. Heute steht ein Beliebtheitstest an, erklärt er. Bedeutet? „Wie gut den Testern der Wein zusagt. So werden die sensorischen Eigenschaften eines Weins heraus gearbeitet, die wichtig für die Beliebtheit sind.“ Das sei hochinteressant für Winzer: „Wenn sie wissen, dass ein großer Teil der Konsumenten einen bestimmten Süß-Grad beim Wein schätzt, können sie bei der Produktion an den Rädchen drehen und sensorische Profile erstellen, die genau den Wünschen ihrer Zielgruppe entsprechen.“
Orale Fixierung
Wobei: In seinem Labor werde „quer durch den Gemüse- und Produktgarten verkostet“, sagt der Geschmacksforscher. „Ich hatte immer eine starke Beziehung zu Lebensmitteln, zum Essen und Kosten“, ergänzt er. „Ich habe den Verdacht, dass man so geboren wird – orale Fixierung.“ Lacht. „Ich glaube, dass es so was wie eine sensorische Intelligenz gibt.“
An diesem Punkt lernen wir, dass die Vorliebe für Süßes eindeutig angeboren ist. „Genauso wie die Aversion gegen bitter und sauer.“
Mit Geschmackserziehung lässt sich aber viel ändern: „Man hat festgestellt, dass Neugeborene Anisgeruch mögen, wenn die Mutter in der Schwangerschaft Anis-Kekse gegessen hat. ,Liking by Tasting’ ist die goldene Regel“, sagt er, um gleich nochmal zu verblüffen: „Übrigens enthält Muttermilch Glutamat.“ Ja, jenes Glutamat, das zum Synonym für industriell Produziertes wurde, was aber so nicht stimmt. Dürrschmid: „Es ist einfach Umami, der Geschmack für Aminosäuren. Die italienische Küche ist deshalb so erfolgreich, weil sie lauter glutamatreiche Rohstoffe verwendet: Reife Tomaten, Parmesan, Pilz, Schinken, ... das alles auf einer Pizza ist eine Umami-Bombe.“
Apropos verblüffen
Auch der Darm kann schmecken: „Wir haben Rezeptoren im Nasen-, Mund-, Lungen- und Verdauungsbereich. Es gibt Geruchsrezeptoren auf der Zunge und Geschmacksrezeptoren in der Nase. Es ist ein einziges Durcheinander“, erklärt Dürrschmid und fordert zum Test auf: Nase zuhalten, gleichzeitig das weiße Pulver kosten, das er in einer neutralen Schale reicht. „Süß, oder? Jetzt die Nase öffnen“, ordnet er an. Blitzartig erfüllt Vanille die Mundhöhle, und wir erfahren, dass es nicht nur Nasenlöcher nach vorne, sondern auch nach hinten in die Mundhöhle gibt. „Das wird retronasales Riechen genannt. Die Nasenlöcher nach hinten riechen das Aroma im Mund. Schaltet man sie aus, nimmt man nur noch die Grundgeschmacksarten wahr.“
Was besonders für Kaffee-Liebhaber eine Tragödie wäre: „Der ist ohne retronasales Riechen nur eine bittere, wässrige Lösung.“
Buchtipp: Klaus Dürschmid: Zungenbekenntnisse. Warum der Wein im Urlaub besser schmeckt und andere Fakten und Wunder aus der Welt der Sinne. Brandstätter Verlag. 22 €.
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