Fleischesser gegen Vegetarier: Warum Essgewohnheiten derart emotionalisieren

Auf der einen Seite Wiener Schnitzel aus Erbsenprotein und eine Stadt in den Niederlanden (Haarlem), die Fleischwerbung verbieten will. Auf der anderen Seite Männer, die sich männlicher fühlen, wenn sie Fleisch essen (ergab eine Studie in den USA) und vermehrte Klimaschelte für alle Fleischtiger.
Zweifelsohne: Der Kulturkampf zwischen jenen, die sich ihren Braten keinesfalls vom Teller nehmen lassen wollen und den Besser-Essern (zumindest aus Sicht der Umweltschützer) scheint voll entbrannt. Wobei es an dieser Stelle kein Abwägen zwischen Fleischeslust und Fruchtfleischeslust geben soll. Vielmehr wollte der KURIER herausfinden, warum die Frage Fleischfresser vs. Vegetarier derart emotionalisiert. Die Tierethikerin Judith Benz-Schwarzburg von der Veterinärmedizinischen Universität Wien kennt die Antwort.
KURIER: Warum wird jedes Gespräch über Essgewohnheiten heutzutage zur Grundsatzdiskussion?
Judith Benz-Schwarzburg: Wir leben in einer Zeit, in der jeder wissen kann, dass auch die Tiere, die wir gerne essen, wie Schweine oder Kühe, hochintelligente und hochsoziale Tiere sind, die eigentlich viele Jahre in großen Gemeinschaften leben würden. Weil die meisten Menschen Tiere lieben, gleichzeitig aber auch Fleisch mögen – sich also im sogenannten Meat-Paradox befinden –, brauchen sie Rechtfertigungsnarrative. Wir reden es uns schön. Dazu gibt es einen spannenden Versuch von Brock Bastian, einem australischen Wissenschafter. Probanden bekamen Bilder von Tieren gezeigt und mussten sie in essbar oder nicht essbar einteilen. Dann wurde nach den kognitiven Fähigkeiten und der Leidensfähigkeit gefragt. Und da zeigt sich ganz deutlich, dass Tiere, die wir als essbar einstufen, ganz niedrig auf der Skala der kognitiven Fähigkeiten und der Leidensfähigkeit rangieren. Wir reden sie uns also dumm und behaupten, dass die eh nicht leiden. Tiere, die wir als nicht essbar einstufen – vor allem die Haustiere und Schimpansen – gelten dagegen als leidensfähig und klug. Beides ist wissenschaftlich überhaupt nicht erklärbar.
Gleichzeitig sind wir alle so sozialisiert, dass Fleischkonsum einfach zum Genuss dazu gehört?
In unserer Großmutter-Generation hat Fleisch das gute Essen repräsentiert. Wenn ich – als vegetarische Enkelin – dann nur die Kartoffeln essen wollte, erntete ich völliges Unverständnis, wie man das Beste weglassen kann. Fleischessen ist ganz stark mit vielen kulturellen Annahmen verbunden. Unter anderem mit: Der echte Mann isst Fleisch. Fleisch essen ist also ein extrem sexualisiertes Thema. Man findet im Internet Fotos von gegrilltem Hühnchen mit Bikinizone und von Schweinchen-Aufstellern vor der Metzgerei in Röckchen, High Heels und mit Lippenstift. Auch in Werbekampagnen tauchten immer wieder nackte Frauen auf, die ein rohes Stück Fleisch präsentieren. Die Reduzierung der Frau und des Tieres auf das Fleisch läuft parallel.
Ist das der Grund, warum die Diskussion rund um Vegetarismus derart emotionalisiert ist? Weil es unterschwellig als Kastration empfunden wird?
Ja, davon bin ich überzeugt. Die Diskussion ist sehr aufgeladen. Das ist der Grund für die Aggression von gewissen Teilnehmern an der Debatte, die massiv auf dem Recht des Jägers beharren, dass sie ihr Fleisch essen dürfen. Und das geht einher mit einer Strategie des Lächerlichmachens der anderen als Weichlinge und Anti-Genussmenschen.
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