Pulitzer-Preis für Klimareportage über das Sonnblick-Observatorium
Im Herbst 2019 stießen die US-Kollegen auf die seit 1886 bestehende Messreihe des Sonnblick-Observatoriums der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Es zählt mittlerweile zu den bedeutendsten Gipfelobservatorien der Erde. Die Journalisten kontaktierten Elke Ludewig, die Leiterin des Sonnblick-Observatoriums. Nach einem intensiven Informationsaustausch per Telefon und Mail gab es eine virtuelle Führung per Computer.
Der so entstandene Artikel floss in eine Klimawandelserie mit dem Titel: „2 °C: Beyond the Limit“ ein, die jetzt mit dem Pulitzer-Preis für Hintergrundberichterstattung ausgezeichnet wurde.
Der KURIER hat zwar keinen Preis gewonnen, durfte das Sonnblick-Observatorium im Frühsommer 2016 dafür aber in der Realität besuchen. Hier finden Sie die Klimareportage zum Nachlesen:
KURIER-Klimareportage
Minus 1 Grad. Es schneit. Nebelschwaden verhüllen die Hochgebirgszüge rundum. Elke Ludewig kommt eben auf 3106 m Höhe an. Vor drei Monaten ist sie auch in ihrem neuen Job angekommen. Die Meteorologin und Klimaforscherin wurde zur Chefin des Sonnblick-Observatoriums bestellt. Mit 29.
„Ich war schon als kleines Kind wahnsinnig zielstrebig und fasziniert von Wolken und Meteorologie.“ Wenn Ludewig über ihren ungewöhnlichen Karrieresprung spricht, klingt alles ganz einfach. Schon früh hat sie das Buch „Der Sonnblick ruft“ gelesen und erreichte mit sechs Jahren (zielstrebig!) zum ersten Mal den Gipfel ihres Schicksalsberges – zu Fuß, nicht wie heute; da fährt sie meist mit der Materialseilbahn hinauf.
Schnelle Wetterwechsel
Unüberhörbar ist das deutsche Idiom, wenn sie erzählt. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Gut, der Vater ist Norddeutscher, doch die Mutter stammt aus dem Pongau, und der Großvater nahm Klein-Elke schon früh zum Wandern mit. „Die Berge mit ihrem schnellen Wetterwechsel haben mich fasziniert“, erzählt sie, während sie durch ihr Reich führt, das der KURIER als erstes Medium seit sechs Jahren betreten darf.
Eigentlich ist es das Reich von Ludwig Rasser und Matthias Daxbacher. Die beiden Wetterdiensttechniker leben im Observatorium – drei Schlafzimmer, WC, Aufenthaltsraum, Kletterwand, Rudergerät und Küche mit dem obligatorischen nackten Kalender-Girl inklusive. 14 Tage durchgehend haben die beiden Dienst, während die Chefin ein Mal in der Woche vorbeikommt, nach dem Rechten schaut, nachfragt, ob der Filtertausch geklappt hat und wie es um die Seilbahn bestellt ist.
Fantastischer Ort
Abseits ihrer Besuche soll Ludewig den in vielerlei Hinsicht herausragenden Forschungsstandort international und interdisziplinär vernetzen. „Es ist ein fantastisches Observatorium, solche Möglichkeiten hat man auch international nirgendwo. Hier oben gibt es kaum menschlichen Einfluss. Es sei denn, Bergwanderer kommen vorbei und rauchen.“ Sie lacht und zeigt ihren Besuchern eine der beiden Mess-Terrassen auf dem Dach des Observatoriums. „Wenn das Fenster zur Küche geöffnet wird, geht der Alarm los.“ Dämpfe und Gerüche vom Sonntagsschnitzel könnten die Messwerte des sonst unberührten, hochalpinen Raumes verfälschen. So wissen die Wissenschaftler, dass der seltsame Wert in ihren Aufzeichnung von der Knödelsuppe stammt, die Ludwig und Matthias der Chefin serviert haben.
Die will das Potenzial der Station in luftiger Höhe nutzen und internationale Projekte forcieren und sich um EU-Forschungsgelder bemühen. Schon jetzt scheint es hier für jede Strahlung, jeden Partikel, jeden Regentropfen, jeden Schadstoffe ein eigenes Messgerät zu geben – länglich, kugelförmig, aus Glas, Metall oder Kunststoff; Schwämme, Filter, Röhren. Mitbringsel in der Luft nach nuklearen Unfällen werden so aufgespürt, Gletscher und Permafrost analysiert, Sahara-Staub gemessen und Eisnasen beobachtet, die sich je nach Windrichtung biegen. Die Boku etwa hat eine Wolkenkamera und macht UV-Messungen.
Seit 1886 ist praktisch kein Tag ohne meteorologische Aufzeichnung vergangen. Den Grundstein dafür legte der damalige Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Vor 130 Jahren ließ Julius Hann auf 3106 Meter am Alpenhauptkamm hoch über Rauris in nahezu freier Atmosphäre das Sonnblick-Observatorium errichten. Das Ziel: die Erforschung der höheren Luftschichten.
Seit damals war das Observatorium in einzigartiger Position nur an vier Tagen nicht betreut. Das war kurz nach Ende des 1. Weltkriegs. Heute gehört der „Sonnblick“ zum kleinen, elitären Kreis der 40 globalen GAW-Stationen. Das Global Atmosphere Watch Programm der Weltmeteorologischen Organisation überwacht die chemische Zusammensetzung und die physikalischen Eigenschaften der Atmosphäre.
Um die 40 Projekte laufen hier. Umweltbundesamt, TU Wien, das Helmholz Zentrum München, die Universitäten Heidelberg oder Wien haben ihre Zelte aufgeschlagen. Das ist natürlich symbolisch gemeint. Die Arbeit machen Ludwig und Matthias. Ersterer seit mittlerweile 36 Jahren. Die beiden passen auf, dass alle Geräte durchgehend und richtig messen, verschicken Proben an die Forscher im Tal und achten darauf, keinen Lagerkoller zu bekommen.
Zur Person
Mit Lagerkoller hat auch Ludewig Erfahrung: Ihre Chef-Sporen hat sich die junge Wissenschaftlerin, die gerne Ski fährt, Saxofon und Klavier spielt und die Salzburger Festspiele mag, von Dezember 2014 bis Jänner 2016 nämlich in einem noch extremeren Arbeitsumfeld verdient. In der Antarktis leitete sie das meteorologische Observatorium der renommierten deutschen Neumayer-Polarforschungsstation. „Die Antarktis – eine faszinierende Zeit, 20 bis 40 Grad unter null sind dort normal.“ Dazu kommen stürmische Windböen und das Zusammenleben auf engstem Raum. „Da muss man sehr viel Toleranz haben. Das meiste schafft man nur, weil man weiß, dass man nur ein Jahr dort bleiben wird.“ Aber: „Ich mach alles mit Leidenschaft, auch das Forschen.“
In der Heimat forschen
Nach der Antarktis hat Ludewig überlegt, wie es weitergehen soll. „Und da ist mir der Sonnblick in die Hände gefallen.“ Ganz so einfach war es natürlich nicht, denn die junge Meteorologin hat sich unter 15 Mitbewerbern um den Sonnblick-Job durchgesetzt, weil sie „in den unterschiedlichsten meteorologischen Themenbereichen auf sehr hohem Niveau gearbeitet hat“, lobt der Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), Michael Staudinger. „Ich habe zuvor nie gedacht, dass ich hier in dieser Gegend forschen und arbeiten werde können. In der Heimat.“ Plötzlich klingt Ludewig ganz bescheiden und glücklich.
Zusammenarbeiten
Wie es weitergehen soll? „Ich bin ganz offen, wünsche mir aber, dass alle Forscher hier – egal, ob Glaziologen, Meteorologen oder Biologen – zusammenarbeiten.“ Und vielleicht neue Forschungsfelder entdecken. „Die Biosphäre ist im Moment noch etwas schwach“, erzählt sie. „Wir haben – unglaublich, aber wahr – ein Fledermaus-Projekt hier. Man glaubt, gar nicht, wie viele Fledermäuse über den Sonnblick fliegen – in dieser Höhe.“
Eindeutig: Elke Ludewig ist gerne auf dem Berg. „Ich mag es, den Überblick zu haben. Außerdem wird dann so vieles unwichtig – der Konsumwahn etwa.“
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