Higgs-Boson: Physiker sind dem "Gottesteilchen" weiter auf der Spur
In Genf warten Physiker gerade gespannt darauf, dass der Teilchenbeschleuniger (LHC) nach gut drei Jahren Wartungszeit wieder auf Hochtouren kommt. Wenn die nötige Kollisionsenergie um den 5. Juli herum erreicht ist, werden in dem gigantischen unterirdischen Ring wieder Protonen in entgegengesetzter Richtung eingeschossen und mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinandergejagt.
Die Weltsensation vom 4. Juli 2012
Bei den Kollisionen können seltene Produktions- und Zerfallsprozesse beobachtet werden, die vor genau zehn Jahren eine Weltsensation hervorgebracht haben: die europäische Organisation für Kernforschung (Cern) in Genf teilte am 4. Juli 2012 mit, dass das Higgs-Boson gefunden war. Das Teilchen bestätigt die Existenz des sogenannten Higgs-Feldes, das den Elementarteilchen ihre Masse verleiht.
Während die Fachleute in Genf sich von der neuen, der dritten Teststrecke jede Menge neue Erkenntnisse für die Teilchenphysik erhoffen, kommt von Kollegen aus den USA eine kalte Dusche: Vom „Alptraum, nichts mehr zu finden“, schreibt das Fachmagazin Science. Der Nachweis des Higgs-Bosons war eines der Hauptziele, warum der Teilchenbeschleuniger in Genf gebaut wurde. Ist dessen Mission damit erfüllt? Was, wenn es nichts mehr zu entdecken gäbe?
„Sie stehen vor einer Wüste"
Schwingt da Neid mit auf der anderen Seite des Atlantiks, wo es auch einen Teilchenbeschleuniger gibt, das Higgs-Boson aber nicht entdeckt wurde? „Sie stehen (am Cern) vor einer Wüste, und sie wissen nicht, wie groß sie ist“, zitiert das Magazin den Physiker Marvin Marshak von der Universität Minnesota.
Der Cern-Teilchenphysiker Michael Dührssen-Debling sieht das anders. „Das Higgs Boson passt zwar wunderschön in die Theorie, aber da es so anders ist als alles andere was wir kennen, gibt es noch kein fundamentales Verständnis darüber, warum es so ist wie es ist“, sagt der gebürtige Darmstädter der Deutschen Presse-Agentur.
Spannend sei herauszufinden, wie stark es sich an die bekannten Materieteilchen koppelt, oder welche Wechselwirkung zwei Higgs-Bosonen miteinander hätten. Weil zwei Higgs-Bosonen gleichzeitig zu beobachten höchst selten ist, müssten noch mehr Protonenkollisionen erzeugt werden.
Nicht nur ein Heureka-Moment
Dührssen-Debling war vor zehn Jahren dabei, als am Cern endlich die Daten geliefert wurden, auf die die Fachwelt fast 50 Jahren gewartet hatte. Physiker, darunter Peter Higgs, hatten das Higgs-Boson theoretisch schon in den 1960er-Jahren vorausgesagt (dafür gab es 2013 den Physik-Nobelpreis), aber der Nachweis fehlte lange Zeit.
Wie aufregend war also die Entdeckung damals am Cern? „Es gab damals nicht den einen Heureka-Moment“, berichtet Dührssen-Debling. Heureka, altgriechisch für „Ich hab's gefunden“, soll Archimedes vor mehr als 2000 Jahren gerufen haben, als er in der Badewanne plötzlich eine bahnbrechende Entdeckung machte. In Genf ahnten Teilchenphysiker schon über Monate, dass sie einer Sensation auf der Spur waren. Allerdings erzeugen die Milliarden Protonen-Kollisionen pro Sekunde Unmengen von Daten, die erst am Computer ausgewertet werden müssen.
Vielversprechende Signale
„Man hat in den Daten erst einige vielversprechende Signale gesehen, dann wieder welche, die sich als statistische Fluktuationen herausstellten“, sagt Dührssen-Debling über die aufregenden Monate vor dem Juli 2012. „Als wir dann ein deutliches Signal gesehen haben“ - hier beschreibt Dührssen-Debling mit der Hand eine riesige Kurve - „da war natürlich große Aufregung“.
Aber Physiker müssen es sehr genau wissen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine Fehlinterpretation handelt, soll bei weniger als 1 zu 3,5 Millionen liegen. Als sie sich dieser Zahl annäherten, machten sie die Weltsensation am 4. Juli 2012 publik.
„Gottesteilchen“ wie Promis in einer Bar
Teilchenphysiker rümpfen zwar die Nase, aber außerhalb der Fachwelt wird das Higgs-Boson gerne als „Gottesteilchen“ bezeichnet. Der Name rührt daher, dass viele Teilchen ohne das Higgs-Feld keine fundamentale Masse hätten, ihnen damit grundlegende Eigenschaften fehlen würden und im Universum nichts so wäre wie es ist.
Der Physiker David Miller fand dafür ein anschauliches Bild: Auf einer Party stehen viele Menschen, sie symbolisieren das Higgs-Feld. Wenn ein Promi hereinkommt, um zur Bar zu gehen, schafft er die ersten Schritte beschwingt, aber dann scharren sich immer mehr Menschen um ihn und er kommt langsamer voran - so, wie Elementarteilchen in einem Higgs-Feld Masse bekommen.
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