Wie Österreich Brasilien entdeckte, erforschte - und plünderte
Spätestens als Dom Pedro, der portugiesische Kronprinz, seiner Zukünftigen, der Erzherzogin Leopoldine von Österreich, eine mit riesigen brasilianischen Diamanten besetzte Miniatur überreichen ließ, war es um das Herz von Kanzler Metternich geschehen. Ungefähr so erzählt es Claudia Lehner-Jobst. Für ihre neue Ausstellung Leopoldina. Furchtlos nach Rio hat sich die wissenschaftliche Direktorin des Porzellanmuseums im Augarten intensiv mit der Kindheit der vergessenen Erzherzogin und ihrer Reise in die neue Heimat Brasilien beschäftigt: „Man wusste damals also zumindest ungefähr, was das Land zu bieten hatte.“
Damals war vor 200 Jahren, als die Beziehungsgeschichte Österreichs mit Brasilien begann. Und der widmet sich die neue Sonderausstellung, die ab 8. Juni (bis 23. April 2023) in Naturhistorischen Museum Wien (NHM) zu sehen ist. Der Schauplatz liegt nicht von ungefähr dort: „Brasilien spielt für das Naturhistorische Museum eine besondere Rolle“, sagt die Generaldirektorin Katrin Vohland.
Wie das kam, lesen Sie hier:
„Man beschloss also 1817, die Lage zu sondieren“, weiß der Wissenschaftshistoriker des Naturhistorischen Museums Wien, Martin Krenn: Die Hochzeit der Habsburger-Prinzessin mit dem Bragança-Spross, der nicht nur in Portugal, sondern auch in Brasilien Thronfolger war, hatte enorme Bedeutung für Österreich.
Sonntagskind: Erzherzogin Leopoldine, genannt „Poldl“ (o. li.), wurde am Sonntag, 22. Jänner 1797, geboren. Sie war die Tochter von Kaiser Franz II./ I. und Marie Therese von Neapel-Sizilien. Ihre Lieblingsschwester hieß Marie Louise und wurde nach dem verlorenen Krieg gegen die Franzosen mit dem „Ungeheuer Napoleon“ verheiratet, was Leopoldine in eine innere Krise warf.
Kaiserin von Brasilien: Sie selbst heiratet auf Bestreben von Metternich den portugiesischen Kronprinzen Dom Pedro (o. re.). Da seine Familie vor der französischen Besatzung nach Brasilien geflohen war, reist „Poldl“ 1817 nach Rio zu dem ihr unbekannten Gatten.
Die Ehe der Habsburgerin ist mehr als unglücklich. Der vermeintliche Märchenprinz mit südländischem Temperament entpuppt sich als ungebildeter Rüpel mit Hang zu Flittchen und Brutalität. Trotzdem gebiert sie in sieben Jahren sieben Kinder. Die achte Schwangerschaft endet mit einer Fehlgeburt – und ihrem Tod 1826.
Dazwischen verhilft sie mit viel diplomatischem Geschick und dank ihres Status als Habsburgerin und Kaisertochter dem von Revolutionären gebeutelten Brasilien zur Anerkennung als selbstständiges Kaiserreich. Vor genau 200 Jahren unterschreibt sie die Unabhängigkeitserklärung.
Bis heute gilt das Gelb der Flagge Brasiliens als Huldigung an die Habsburger Prinzessin Leopoldina, und eine der berühmten Samba-Schulen in Rio heißt „Imperatriz Leopoldinense“.
„Wir sehen das klare Kalkül Metternichs, eine Erweiterung der österreichischen Einflusszone zu erreichen – in einer Region, in der man bisher nicht wirklich Fuß hatte fassen können“, sagt Krenn. „Metternich war sich sehr wohl der ,merkantilen Möglichkeiten‘, wie er es selbst nannte, dieses riesigen Landes bewusst.“ Das Motto lautete: Wissenschaftliche Erschließung mit dem Hintergedanken, neue Handelspartner, Rohstoffe und Absatzmärkte zu erschließen.
Wirtschaftlich Verwertbares war gefragt
Also heftete sich eine Expedition auf die Fersen der Erherzogin: Zwei österreichische Fregatten segelten nach Rio de Janeiro und Staatskanzler Metternich holte sich Alexander von Humboldt als Konsulenten für die große Expedition. Bei ihm erkundigte er sich, welche Tiere und Pflanzen man denn aus dem fernen Brasilien mitbringen solle. Wirtschaftlich Verwertbares war gefragt – Heilpflanzen, rasch wachsendes Holz, Zucker, aber auch Gold und Bodenschätze. Österreich, die hinterher hinkende Möchtegern-Kolonialmacht, wollte profitieren. „Das bedeutet nicht, dass die Forscher – übrigens eine durchaus namhafte Truppe – den Auftrag hatte, überall die österreichische Fahne in den brasilianischen Boden zu rammen und so eine Kolonie zu begründen“, erklärt Krenn.
Österreichs Expedition ins Herz von Brasilien: Von 1817 bis 1836 erkundete Johann Natterer (o.li.) als erster europäischer Forscher das Innere von Brasilien. Im Auftrag des Hofnaturalien-Kabinetts Wien erkundete er die exotische, unbekannte Tierwelt und begründete mit den Objekten, die er nach Hause schickte eine Sammlung, von der das Naturhistorische Museum bis heute profitiert.
Das Brasilianum entsteht
Kistenweise schafften die Forscher in Rio auch exotische Tiere und Mineralien für die Naturaliensammlungen an Bord. In Wien war in der Hofburg für die zahllosen Objekte bald kein Platz mehr. Kurzerhand errichtete man ein „Brasilianisches Museum“ in der Johannesgasse im 1. Wiener Gemeindebezirk. "Das Brasilianum" wurde rasch zu einer Hauptattraktion in Wien, bestand aber nur bis 1836. Danach wurden die Objekte in die Naturalienkabinette zurückgebracht, wo ein Teil 1848 beim Brand der Hofburg vernichtet wurde. Heute sind die unversehrt gebliebenen Objekte teils im Weltmuseum und teils im NHM, das damit die älteste und eine der größten Sammlungen brasilianischer Tiere und Pflanzen besitzt.
Die österreichische Expedition nach Brasilien sei auch international gesehen bedeutsam, sagt Wissenschaftshistoriker Krenn. „Sie dauerte enorm lange mit entsprechender Ausbeute: Es gibt massenhaft Objekte, die da nach Österreich kamen.“
Mehr als 150.000, um genau zu sein. Expeditionsleiter Johann Natterer sandte im Lauf der Jahre eine Unzahl von Objekten und Präparaten nach Wien: allein über 1.000 Säugetiere, mehr als 12.000 Vögel und fast 33.000 Insekten. Dazu kamen an Naturobjekten noch Fische, Amphibien, Krebstiere, Muscheln und Schnecken, Würmer, Eier, Samen, Mineralien etc.
Wer heute die exotischen Vögel des NHM bewundert, kann fast sicher sein, dass sie von Johann Natterer, dem Expeditionsleiter, der 18 Jahre in Brasilien hängen blieb, präpariert worden sind.
Der Botaniker Heinrich Schott wiederum verpackte Pflanzen aufwändig und brachte sie nach Wien – so viele, dass eigens zwei Glashäuser für sie gebaut werden mussten. Manch eine der Arten ist heute in ihrer Heimat ausgestorben und nur noch in Schönbrunn vorhanden.
Leopoldine, ab 1822 Kaiserin von Brasilien, wiederum nahm viele der Objekte selbst in Augenschein, ehe sie in die alte Heimat geschickt wurden. „Der Jaguar, der in der Ausstellung hängt, ist eine Einsendung der Erzherzogin“, erzählt Martin Krenn. Kein Wunder, Leopoldine war familiär vorbelastet, die hochgebildete und sprachgewandte Habsburgerin interessierte sich für Naturwissenschaften und war gut ausgebildet: der Vater sprach von ihr als „meine Hofmineralogin“.
Die Provenienzforschung, also "die Aufklärung der genauen Herkunfts- und Erwerbsumstände", stellt heute eine große Herausforderung für das NHM Wien dar. „Wir versuchen derzeit die Erwerbsumstände bestmöglich zu recherchieren, stehen aber ganz am Anfang“, gesteht Wissenschaftshistoriker Krenn.
Auch andere kritische Themen werden in der neuen Ausstellung zumindest angerissen: Sklavenhandel und Kolonialismus etwa. Nach der Eroberung Brasiliens durch die Portugiesen führte der Reichtum an Naturschätzen mehrere Jahrhunderte lang zu extremer Ausbeutung – ohne Rücksicht auf die Natur und die indigene Bevölkerung des Landes. Der Run auf das begehrte Brasilholz hatte bereits im 16. Jahrhundert die Vernichtung großer Waldgebiete zur Folge.
Schwierige Beziehungen
Der Anbau von Zuckerrohr, Baumwolle, Tabak und Kaffee, aber auch die Gewinnung von Gold, basierten bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Sklaverei. Auch das ist ein Teil dieser imposanten, fruchtbaren, wie schwierigen Beziehungsgeschichte.
Heute treibt die Sojaproduktion und die damit verbundene Vernichtung des Regenwaldes den Klimawandel.
So gesehen sollte in der neuen Schau die Reichhaltigkeit des Landes abgebildet werden. „Aber auch die Bedrohungen der unterschiedlichen Lebensräume“, sagt Sabine Eggers von der Anthropologischen Abteilung des NHM und selbst Brasilianerin. Besonders wichtig sein es aber, den Menschen zu zeigen, wie die Situation heute ist. „Und was das für die ganze Welt bedeutet. Denn die Abholzung des Regenwaldes ist nur eines der Probleme. Jede Region hat ihre eigenen“.
Als Leopoldina vor gut 200 Jahren an der Mata Atlantica (deutsch: atlantischer Wald) landete, sah sie nur undurchdringliches Grün. „Davon ist sehr, sehr wenig übrig geblieben“, sagt Eggers. "Genau an dieser Küste liegen heute die größten Städte; Sao Paulo zum Beispiel, wo ich herkomme. Das bedroht nicht nur die Biodiversität an Land, auch die Meerestiere sterben aus.“
So gesehen spiegeln sich im ersten Blick der österreichischen Erzherzogin auf ihre neue Heimat die Herausforderungen der Gegenwart.
Info:
Die neue Sonderausstellung „Brasilien. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“ ist vom 8. Juni 2022 bis 23. April 2023 in den vier Kabinetten und zwei Sonderausstellungssälen im NHM Wien zu sehen.
"Leopoldina. Furchtlos nach Rio“ im Porzellanmuseums im Augarten, 28. Juni 2022 bis 23. Oktober 2022.
„Naturwunder einer Neuen Welt: Brasilien in Schönbrunn“, Großes Palmenhaus im Schlosspark Schönbrunn, 25. Juni 2022 bis 11. September 2022.
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