Fortan berichtete meine Zunft, in den ersten Jahren im Wochentakt. Ein paar Jahre später war auch ich mittendrin – Mumien und die dazu gehörige Forschung hatten mich ohnedies bereits als Kind fasziniert. Dank einer Freundschaft zum Ötziforscher Horst Seidler war ich zeitweise sogar vorne dran. Am 26. Juli 2001 dann mein erstes Eismann-Cover. „Forschungs-Krimi: Ötzi starb mit Pfeil im Rücken“ titelte der KURIER damals.
In Wahrheit gibt es in der mittlerweile 30-jährigen Forschungsgeschichte rund um den Mann aus dem Eis nur zwei so richtig spektakuläre, schlagzeilenträchtige Momente: Den Tag seiner Entdeckung und eben jenen, als die Forscher in Ötzis Rücken eine Pfeilspitze entdeckten.
Sofort setzten die Spekulationen ein: Hatte sich am Similaun vor 5.000 Jahren ein Wilderer-Drama à la Anzengruber abgespielt? Wurde Ötzi gar von einem eifersüchtigen Nebenbuhler auf den Gletscher gejagt und hinterrücks erschossen? Oder war er Opfer eines Jagdunfalls?
Mörderjagd
Was lag näher, als zum 25. Jahrestag seiner Entdeckung eine „CSI Ötzi“ ins Leben zu rufen: Die Archäologen zogen die Kriminalpolizei München hinzu, die sich wiederum der hippen Methoden des Profilings bediente. Die Kriminalisten verhörten die Ötzi-Forscher regelrecht: Welche Verletzungsmuster zeigen sich am Mann aus dem Eis? War die damalige Gesellschaft aggressiv, das Morden an der Tagesordnung oder ein Tabubruch?
Der renommierte deutschen Profiler Alexander Horn erzählte damals im KURIER, dass die Verletzungen aussagekräftig seien. „Der Schuss mit dem Pfeil wurde aus größerer Distanz abgefeuert und traf ihn von hinten. Das deutet auf Heimtücke hin. Ötzi war unvorbereitet.“ Weil er aber oben am Berg angekommen – 30 Minuten vor seinem Tod – seelenruhig ein opulentes Mahl eingenommen hatte, glaubte Horn keinesfalls, dass der Eismann auf der Flucht gewesen war. Der Täter sei ihm gefolgt, um ihn aus sicherer Entfernung mit einem Schuss zu umzubringen – „ein klassisches Tötungsdelikt mit einem persönlichen Motiv“.
Forschungsmotor
Immer waren es Forscher, die mit kreativen Ansätzen den Wissenschaftskrimi vorantrieben. Als es zum 20. Jahrestag gelang, Ötzis Genom zu entschlüsseln, nahm die Totenschau richtig Fahrt auf. Wer nun meint, die detaillierte Erforschung einer mehr als 5.000 Jahre alten Leiche sei Selbstzweck, irrt: Durch die Entschlüsselung des Eismann-Genoms seien unzählige Türen aufgegangen, sagte einst sein Leibarzt Eduard Egarter Vigl. Operationsbesteck aus Titan wurde entwickelt, um Proben ohne Kontaminierung entnehmen zu können. Das ist heute Standard. Auch Verfahren zur 3-D-Rekonstruktion, die jetzt in der Medizin gang und gäbe sind, wurden zuerst für Ötzi entwickelt. Sogar, ob die Anlagen für heute weitverbreitete Zivilisationskrankheiten – Diabetes, Herzerkrankungen, Arteriosklerose – bereits in der Steinzeit gelegt waren, sollen Ötzis Gene verraten. Und die Strategien zu ihrer Bekämpfung sowieso.
Unbestritten ist, dass österreichische Forscher erst durch diesen Jahrhundert-Fund die Chance erhielten, sich international zu beweisen.
Mittlerweile ist es ruhiger um Frozen Fritz geworden: 2019 eine Untersuchung zum Moos, das er dabei hatte, 2020 eine über die Bogensehne aus seinem Köcher, die älteste weltweit. Und der 30. Jahrestag? Unspektakulär: Das Ötzimuseum zeigt ab November eine Ausstellung zu steinzeitlicher Migration.
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