„Manche Gletscherzungen zerfallen regelrecht“

„Manche Gletscherzungen zerfallen regelrecht“
Die Gletscher-Verluste haben nicht nur zugenommen, die Verteilung über die Gesamtfläche hat sich auch verändert, haben österreichische Forscher ermittelt.

Es knirscht gewaltig in Österreichs Alpen, es tropft, knackt und kracht: Die Erderwärmung lässt das Gletschereis schmelzen - soweit so bekannt. Doch jeder Gletscher schrumpft anders. Nur einige winzige Exemplare sind noch im Gleichgewicht und wachsen im Winter beinahe so viel, wie sie im Sommer schrumpfen, weil sie etwa von Lawinen mit Schnee gespeist werden, berichten Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Jetzt haben sie mit „Machine Learning“-Algorithmen untersucht, wie sich der Gletscherschwund über die vergangenen Jahrzehnte verändert hat. Das Ergebnis wurde im britischen Journal of Glaciology publiziert.

Anhand von Höhenmodellen aller Gletscher der Ötztaler Alpen, der Stubaier Alpen und dem österreichischen Anteil der Silvretta haben die Wissenschafter sogenannte Verteilungskurven der Höhenänderung erstellt.

Die Kurven geben Auskunft darüber, ob ein Gletscher über seine gesamte Fläche gleichmäßig Eis verliert, ob die Verluste stark unregelmäßig sind oder, ob es Bereiche mit positiver Höhenänderung, also Eiszunahme, gibt. Danach wurden für jeden Gletscher in drei Perioden erstellt: 1969 bis 1997, 1997 bis 2006 und 2006 bis 2017/18.

Typische Muster

Dabei benutzen die Forscher einen Algorithmus, der auf Self-Organizing Maps zurückgreift, also eine Form von Machine Learning als statistische Clustering Methode, um jede Verteilungskurve – und damit jeden Gletscher in jeder Zeitperiode – einer Gruppe möglichst ähnlicher Kurven zuzuordnen.

Dazu Lea Hartl, die Erstautorin der Studie: „Wir versuchen mit unserer Methode und der Gruppierung nach Mustern in der Höhenänderung eine Brücke zu schlagen zwischen regionalen Studien, in denen Besonderheiten einzelner Gletscher in den Hintergrund treten, und Case Studies, die zwar einen bestimmten Gletscher genau untersuchen, aber den regionalen Trend nicht gut sehen.“

Mit dem Ergebnis: „Die Verluste haben nicht nur zugenommen, die Verteilung über die Gletscherfläche hat sich auch verändert: In der ersten Zeitperiode waren die Verluste oft noch gleichmäßiger über die Gletscherflächen verteilt, da die Fließbewegung des Eises von oben nach unten das Abschmelzen an den Zungen zumindest teilweise ausgleichen konnte. Das ist immer weniger der Fall. Manche Gletscherzungen zerfallen regelrecht, während die Verluste weiter oben vergleichsweise geringer sind“, erklärt Hartl.

Nicht alle schmelzen im selben Tempo

Immer mehr Seitenarme würden zudem die Verbindung zu den Hauptzungen verlieren. Gletschertore und andere unterspülte Bereiche stürzen ein. Manche der ehemaligen Eisriesen hat die Erwärmung derart aus dem Gleichgewicht gebracht, dass sie im Sommer viel mehr Eis verlieren, als sie im Winter dazu gewinnen.

Die Gletscher schmelzen besonders schnell. Bei fast allen Gletschern in Vorarlberg und Tirol hat dieses Ungleichgewicht in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen.

„Nur einige wenige, sehr kleine Gletscher, die kaum mehr als solche zu erkennen sind, haben sich wieder etwas mehr einem Gleichgewicht angenähert“, schreiben die Forscher. Das wären aber Ausnahmefälle durch günstige lokale Gegebenheiten, wenn sie zum Beispiel oft durch Lawinen genährt werden.

Gletscher hinken Klima hinterher

Die Ergebnisse reihen sich in das globale Gesamtbild der weltweit rapiden Gletscherveränderungen ein, das kürzlich auch der Bericht des Weltklimarates gezeichnet hat.

„Auch falls die Erwärmung zeitnah gestoppt wird, werden die Gletscher noch einige Zeit weiter schmelzen. Sie hinken dem Klima immer etwas hinterher und reagieren mit Verzögerung auf klimatische Veränderungen, ein neues Gleichgewicht kann sich also, wenn überhaupt, nur verzögert einstellen“, sagt Hartl.

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