Insektensterben: Für dicke Brummer wird die Luft dünn
Zwischen den Bäumen kreucht und fleucht es. Am Waldrand flattern Wildbienen und Falter von Blüte zu Blüte und übertragen Pollen, wo die Windbestäubung auslässt. In den Baumkronen sammeln Ameisen Honigtau, den Blattläuse ausscheiden. Im Laub jagen Käfer, Raupen wiederum machen Vögel satt. Springschwänze bauen moderndes Holz ab. Mikroorganismen wandeln deren Kot in Bodennährstoffe um.
Jedes Insekt im Ökosystem Wald hat seine Funktion. Doch das Gleichgewicht ist in Gefahr, die Zahl an Arten und Individuen nimmt ab. Eine Studie aus Deutschland zeigte kürzlich, dass der Verlust an Käfern, Wanzen & Co. größer ist als bisher angenommen – und welche Ursachen dafür mitverantwortlich sind. Heimische Experten gehen davon aus, dass die Ergebnisse aus dem Nachbarland ebenso auf Österreich zutreffen.
Deutliches Ergebnis
Biodiversität
Rund 75.000 Spezies, darunter 3.100 Pflanzen- und 54.000 Tierarten, wurden bisher in Österreich erfasst. Der Wald – er bedeckt knapp die Hälfte des Landes – beherbergt rund zwei Drittel davon.
Baumbestand
Laubholzarten nehmen in heimischen Wäldern zu, das fördert die Biodiversität und rüstet für den Klimawandel. Der Anteil an Fichten liegt bei 46 Prozent. Das weist der österreichische Waldbericht 2023 aus.
345 Insektenarten von ca. 40.000, die zwischen Boden und Neusiedler See vor- kommen, gibt es laut Umweltbundesamt nur in Österreich.
"Wir hätten nicht gedacht, dass die Rückgänge auch im Wald so deutlich sind“, zieht Studienerstautor Michael Staab von der TU Darmstadt aktuell Bilanz. Mit der Arbeitsgruppe Ökologische Netzwerke hatte der Biologe zwischen 2008 und 2017 1.805 Insektenarten an 140 Standorten untersucht. Denn während das Insektensterben in offenen Landschaften inklusive Ursachen bereits gut dokumentiert ist, fehlten für den Forst gesicherte Daten. Nun steht auch für den Wald fest: Über den Beobachtungszeitraum ging die Anzahl der Tierchen bei mehr als 60 Prozent der Arten zurück. Verlierer waren v.a. dicke Brummer, häufig vorkommende Spezies sowie Räuber und Totholzzersetzer. Manche Pflanzenfresser dagegen konnten sogar zulegen. Die Entwicklungen hingen mit den Baumbeständen zusammen und der Intensität der Nutzung.
Je weniger der Mensch in die Natur eingreift, desto besser für die Insekten – so zum Beispiel für den Kleinen Fuchs.
"In der Geschichte der Erde hat es schon mehrere Massensterben gegeben", sagt der Ökologe Franz Essl von der Universität Wien: "Doch anders als bei den Dinosauriern, wo es eine kosmische Katastrophe gab, und den anderen planetaren Störungen, ist es jetzt einzig und allein der Mensch, der für das gerade stattfindende sechste Massensterben der Erdgeschichte die Ursache ist."
Bezogen auf die Sechsfüßer hielten internationale Forscher nach jahrelanger Arbeit jetzt in einer Sonderausgabe von Biology Letters fest: "Aufgrund der nun vorliegenden Ergebnisse können wir nicht nur sagen, dass die Landnutzung, der Klimawandel und die Verbreitung von invasiven Arten die Haupttreiber für das weltweite Insektensterben sind, sondern dass es außerdem viele Wechselwirkungen zwischen diesen Treibern gibt."
Was die Experten noch beobachteten: Allerweltsarten konnten sich ausbreiten, Spezialisten verschwanden.
"Es ist wie in der Landwirtschaft: Wo der Mensch am intensivsten eingreift, sind die meisten Insekten betroffen", sagt Forstentomologe Martin Schebeck von der BOKU Wien. Von Fichten und Kiefern, die in Wirtschaftswäldern oft dominieren, profitieren die wenigsten Kerbtiere. Wird Totholz rasch weggeräumt, bleiben die Bewohner auf der Strecke. In langsam gewachsenen Wäldern mit jungen und alten Bäumen, mit dünnen und dicken Stämmen, mit dichten Laubkronen und lichtem Nadelgehölz hingegen finden nicht nur Generalisten einen Lebensraum. Auch die Größe des Waldes beeinflusst die Überlebenschancen.
"Es wirkt unheimlich lange nach, wenn der Mensch im Wald eingreift", sagt Zoologe Harald Krenn von der Uni Wien und beschreibt den Zeitfaktor am Beispiel der Eiche. Der Laubbaum blüht mit circa 60 Jahren das erste Mal; mit etwa 100 ist er erwachsen. Dann bietet er noch 600 Jahre lang Nahrung und Unterschlupf für seine tierischen Fans. Wird er gefällt, richtet nicht zuletzt der Harvester Schaden am Standort an. Die schweren Maschinen hinterlassen tiefe Spuren, der verdichtete Boden zerstört den "Regenwald des kleinen Mannes" unter der Erde.
Bekanntes Phänomen
"Seit Menschen die Welt erobern, leiden die großen Arten zuerst", erklärt Krenn ein "charakteristisches Phänomen", das auch die deutsche Studie bestätigt: Die spezialisierten Fleischfresser mit längeren Lebenszyklen konnten sich weniger gut an die Veränderungen im Wald anpassen als die kleineren Pflanzenfresser mit Appetit auf unterschiedliches Grünzeug und rasanter Reproduktion. Tierchen mit Schädlingscharakter – wie dem Borkenkäfer – kann der Stress im Ökosystem nützen.
"Die Situation der Insekten in Österreich ist stabil. Sowohl die Anzahl an Spezies, als auch die der Individuen ist bei den untersuchten Arten in den vergangenen dreißig Jahren gleich geblieben." Diese Ergebnisse präsentierte das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft Anfang dieses Jahres.
"Das Insektensterben ist nicht abgesagt, es ist eine Entwicklung, die schon vor 100 Jahren begonnen hat, und sich jetzt verlangsamt", ergänzt Thomas Zuna-Kratky. Der wissenschaftliche Leiter der Studie hat die Sechsfüßer genau unter die Lupe genommen und festgestellt: Ein Viertel der ursprünglichen Insektenarten wurde im Untersuchungszeitraum durch neue ersetzt. Vor allem wärmeliebende Tierchen profitierten, der Klimawandel macht es möglich. Spezialisten im Gebirge etwa zählten ebenso zu den Verlierern wie Insekten mit Vorliebe für nährstoffarme Böden.
"Wir haben Maßnahmen formuliert, wie die Vielfalt in der Gesamtheit in Österreich erhalten werden kann", betont der Landschaftsökologe von der Uni Wien. Allem voran nennt er extensiv genutztes Grünland. Ein sparsamer Einsatz von Dünger und seltenes Mähen erleichtern den Gliederfüßern das Überleben. Zudem begünstigen "Sonderstrukturen" wie renaturierte Bäche, Wanderkorridore oder Obstbäume die Biodiversität zwischen Boden- und Neusiedler See.
"Die Landwirtschaft hat große Verantwortung und es tut sich viel", sagt der Insektenkundler: "Wir sollten die Extensivierung weiter fördern." Das gilt im Übrigen auch für den Garten.
Insgesamt fürchtet Staab: Das Insektensterben "wird sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf alle Organismen in unseren Wäldern haben, da sich Nahrungsnetze zu verschieben drohen". Mit den österreichischen Kollegen ist er einig, was das Insektensterben im Wald abschwächen könnte. Schebeck bringt es auf den Punkt: "Natürliche Prozesse und die Nutzung müssen in Einklang stehen."
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