Insektensterben: Für dicke Brummer wird die Luft dünn

Insektensterben: Für dicke Brummer wird die Luft dünn
Erstmals weist eine Langzeitstudie das Insektensterben im Wald nach. Es fällt viel deutlicher aus als bisher angenommen.

Zwischen den Bäumen kreucht und fleucht es. Am Waldrand flattern Wildbienen und Falter von Blüte zu Blüte und übertragen Pollen, wo die Windbestäubung auslässt. In den Baumkronen sammeln Ameisen Honigtau, den Blattläuse ausscheiden. Im Laub jagen Käfer, Raupen wiederum machen Vögel satt. Springschwänze bauen moderndes Holz ab. Mikroorganismen wandeln deren Kot in Bodennährstoffe um.

Jedes Insekt im Ökosystem Wald hat seine Funktion. Doch das Gleichgewicht ist in Gefahr, die Zahl an Arten und Individuen nimmt ab. Eine Studie aus Deutschland zeigte kürzlich, dass der Verlust an Käfern, Wanzen & Co. größer ist als bisher angenommen – und welche Ursachen dafür mitverantwortlich sind. Heimische Experten gehen davon aus, dass die Ergebnisse aus dem Nachbarland ebenso auf Österreich zutreffen.

Deutliches Ergebnis

"Wir hätten nicht gedacht, dass die Rückgänge auch im Wald so deutlich sind“, zieht Studienerstautor Michael Staab von der TU Darmstadt aktuell Bilanz. Mit der Arbeitsgruppe Ökologische Netzwerke hatte der Biologe zwischen 2008 und 2017 1.805 Insektenarten an 140 Standorten untersucht. Denn während das Insektensterben in offenen Landschaften inklusive Ursachen bereits gut dokumentiert ist, fehlten für den Forst gesicherte Daten. Nun steht auch für den Wald fest: Über den Beobachtungszeitraum ging die Anzahl der Tierchen bei mehr als 60 Prozent der Arten zurück. Verlierer waren v.a. dicke Brummer, häufig vorkommende Spezies sowie Räuber und Totholzzersetzer. Manche Pflanzenfresser dagegen konnten sogar zulegen. Die Entwicklungen hingen mit den Baumbeständen zusammen und der Intensität der Nutzung.

Insektensterben: Für dicke Brummer wird die Luft dünn

Je weniger der Mensch in die Natur eingreift, desto besser für die Insekten – so zum Beispiel für den Kleinen Fuchs.

"Es ist wie in der Landwirtschaft: Wo der Mensch am intensivsten eingreift, sind die meisten Insekten betroffen", sagt Forstentomologe Martin Schebeck von der BOKU Wien. Von Fichten und Kiefern, die in Wirtschaftswäldern oft dominieren, profitieren die wenigsten Kerbtiere. Wird Totholz rasch weggeräumt, bleiben die Bewohner auf der Strecke. In langsam gewachsenen Wäldern mit jungen und alten Bäumen, mit dünnen und dicken Stämmen, mit dichten Laubkronen und lichtem Nadelgehölz hingegen finden nicht nur Generalisten einen Lebensraum. Auch die Größe des Waldes beeinflusst die Überlebenschancen.

"Es wirkt unheimlich lange nach, wenn der Mensch im Wald eingreift", sagt Zoologe Harald Krenn von der Uni Wien und beschreibt den Zeitfaktor am Beispiel der Eiche. Der Laubbaum blüht mit circa 60 Jahren das erste Mal; mit etwa 100 ist er erwachsen. Dann bietet er noch 600 Jahre lang Nahrung und Unterschlupf für seine tierischen Fans. Wird er gefällt, richtet nicht zuletzt der Harvester Schaden am Standort an. Die schweren Maschinen hinterlassen tiefe Spuren, der verdichtete Boden zerstört den "Regenwald des kleinen Mannes" unter der Erde.

Bekanntes Phänomen

"Seit Menschen die Welt erobern, leiden die großen Arten zuerst", erklärt Krenn ein "charakteristisches Phänomen", das auch die deutsche Studie bestätigt: Die spezialisierten Fleischfresser mit längeren Lebenszyklen konnten sich weniger gut an die Veränderungen im Wald anpassen als die kleineren Pflanzenfresser mit Appetit auf unterschiedliches Grünzeug und rasanter Reproduktion. Tierchen mit Schädlingscharakter – wie dem Borkenkäfer – kann der Stress im Ökosystem nützen.

Insgesamt fürchtet Staab: Das Insektensterben "wird sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf alle Organismen in unseren Wäldern haben, da sich Nahrungsnetze zu verschieben drohen". Mit den österreichischen Kollegen ist er einig, was das Insektensterben im Wald abschwächen könnte. Schebeck bringt es auf den Punkt: "Natürliche Prozesse und die Nutzung müssen in Einklang stehen."

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