Heimische Forscher mit Sensationsfund in Ephesos

Wir schreiben das Jahr 614 n. Chr.. Vielleicht aber auch 615. In den Garküchen und Tavernen am Domitiansplatz – so etwas wie der Stephansplatz von Ephesos – herrscht reges Treiben. Da werden in Schüsseln Herzmuschel oder Austern kredenzt, in Amphoren eingesalzene Makrelen feilgeboten und in kleinen Läden Andenken an Pilger verscherbelt. Ephesos steht in voller Blüte.
Doch dann endet alles – „total abrupt und dramatisch“, sagt Sabine Ladstätter. Die Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW (Österreichischen Akademie der Wissenschaften) leitet seit 2009 die Ausgrabungen in Ephesos und wollte heuer gemeinsam mit ihrem Team herausfinden, warum die Metropole im 7. Jahrhundert sprunghaft kleiner wurde: Man zog sich auf die Hafengegend zurück und der Lebensstandard sank deutlich, so viel war bekannt.
Das, was die österreichischen Archäologen bei ihrer aktuellen Grabung zwischen Juli und Oktober herausgefunden haben, entlockt Ladstätter allerdings Worte wie „einzigartig“, „Archäologen im Glück“ oder „es ist mein 37. Grabungsjahr, aber bisher habe ich noch nie auch nur annähernd so etwas gesehen“.
„So etwas“ war eine mächtige Brandschicht, unter der das Leben des 7. Jahrhunderts quasi versiegelt und für die Nachwelt erhalten geblieben ist. Die Forscher schreiben: „Damit ist der Fund – wenn auch zeithistorisch völlig anders einzuordnen – vergleichbar mit der archäologischen Stätte von Pompeji.“

Praktisch unversehrte 1.400 Jahre alte Fundstücke
Was war geschehen
„In der Spätantike werden die großen Plätze überall aufgegeben und mit Werkstätten und Geschäften überbaut. Daher wollten wir herausfinden, ob das in Ephesos auch so war“, erzählt Ladstätter im Interview mit dem KURIER.
Also drangen die Forscher ab Juli direkt anschließend an das politische Zentrum der römischen Stadt, der Oberen Agora, in die Tiefe vor.

„Ein, zwei Meter“, erzählt Ladstätter, „und dann stießen wir auf eine massive, bis zu einem halben Meter tiefe Brandschicht. Und darunter lag der gesamte Hausrat, so erhalten, wie er damals gewesen war“: Geschirr, das in die Tausende Stücke geht, darunter im Ganzen erhaltene Schüsseln mit Resten von Meeresfrüchten, Amphoren gefüllt mit eingesalzenen Makrelen, Kerne von Pfirsichen, Mandeln und Oliven, verkohlte Erbsen und Hülsenfrüchte, vier Goldmünzen (Solidi) sowie mehrere achtlos zurück gelassene Geschäftskassen mit mehr als 700 Kupfermünzen.

Der gesamte Hausrat, so erhalten, wie er damals gewesen war
Bei den ausgegrabenen Räumen handelt es sich um eine Garküche, einen Lagerraum, eine Taverne, ein Geschäft für Lampen und christliche Pilgerandenken sowie eine Werkstätte mit angeschlossenem Verkaufsraum.

Was uns komplett überrascht hat, war der Erhaltungszustand.
Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts
„Wir haben in Ephesos schon viele Werkstätten und Tavernen ausgegraben, aber das war eine Riesenüberraschung“, so Ladstätter weiter. Die Entdeckung beweise nun, dass die Perser Ephesos belagert und wahrscheinlich erobert haben.
Dazu muss man wissen, dass spätantike Quellen von persischen Sasaniden berichten, die meuchelnd, brandschatzend und plündernd die Küste entlang zogen. „Sie wollten das Byzantinische Reich und Ephesos - einen der wichtigsten Häfen - ins Wanken bringen. Für die Perser war es daher ungemein wichtig, die Stadt zu zerstören“, erklärt die Wissenschafterin. Allein der endgültige archäologische Beweis dafür fehlte. Bisher.
Jetzt hat das Team in der Brandschicht Beile, Äxte, Pfeil- und Lanzenspitzen entdeckt. „Das legt nahe, dass es sich um ein kriegerisches Ereignis gehandelt hat“, sagt der Archäologe Helmut Schwaiger.

Archäologe Schwaiger tippt auf ein kriegerisches Ereignis
Ladstätter vermutet, dass die Menschen, so sie den Überfall überlebt haben, versklavt und fortgeschafft wurden. Denn ansonsten hätten sie nach dem Brand wohl versucht, ihr wertvolles Hab und Gut aus der Asche zu bergen. Schwaiger: "Schließlich haben wir sehr wertvolle Bronzegefäße gefunden.“ Auch Münzen, die wohl in Truhen gelagert worden waren, die verbrannten, sind unter den Fundstücken.
Apropos Münzen
Den genauen Tag der Zerstörung wird man wohl nicht mehr feststellen können, aber die Auswertung der vorgefundenen Früchte wird zumindest die Jahreszeit klären, hofft Ladstätter. Beim Jahr ist sie sich sicher: Die Perser kamen in einer Nacht in den Jahren 614 oder 615 n. Chr.. Das belegen drei Geschäftskassen mit insgesamt 2.000 Münzen aus der Asche. Keine wurde nach 615 geprägt.

Eine von tausenden entdeckten Münzen
Lukasgrab, Marienkirche, Johannesbasilika, Siebenschläferhöhle: Ephesos war ein frühes christliches Pilgerzentrum. Menschen aus dem ganzen Mittelmeerraum kamen hierher. „In der Spätantike führte der Prozessionsweg über die Kuretenstraße“, erzählt die Archäologin Sabine Ladstätter. „Neben den Türen der Läden standen große Körbe, vollgefüllt mit Pilgerfläschchen, die den vorbei ziehenden Pilgern angeboten wurden. So wie die Weihwasser-Fläschchen in Mariazell.“

Die Pilgerfläschchen wurden um den Hals getragen
Woher man das so genau weiß? "Wir haben die Geschäfte gefunden, in denen die drei Zentimeter hohen Tonfläschchen verkauft wurden. Sie dürften in Körben vor der Ladentür den Pilgern zum Kauf angeboten worden sein“, sagt Helmut Schwaiger. „An einer Stelle haben wir 700 Stück auf den Quadratmeter entdeckt.“
Über den Inhalt kann er vorerst nur Vermutungen anstellen: „Da müssen wir erst Rückstandsanalysen machen.“ Möglicherweise sei der Staub, der sich auf den Gebeinen des in Ephesos begrabenen Apostesl Johannes ansammelte, aufgefangen und in den Fläschchen verkauft worden.
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