Am Ende der Eiszeit erlebte Europa einen Bevölkerungsaustausch. Die heimischen Jäger und Sammler verschwanden und machten Zuwanderern aus dem Süden Platz.
Ja, Österreicher waren auch dabei – bei der größten jemals erstellten Genanalyse europäischer Jäger und Sammler, die unsere Abstammungsgeschichte neu schreibt: Zum einen die berühmten „Wachtberg-Zwillinge“, die 2005 in Krems entdeckt worden waren, zum anderen ein prähistorischer Fund aus Wöllersdorf. „Dieser Mann lebte vor etwa 9.000 Jahren und trägt den typischen europäischen Genpool, der in uns Europäern überlebt hat“, erzählt Cosimo Posth. Er sollte es wissen, ist er doch Anthropologe an der Universität Tübingen und einer der Hauptautoren einer Nature-Studie, die jetzt den Ursprung der Europäer klären konnte.
Die Untersuchung hatte es in sich: Sechs Jahre Arbeit, 356 prähistorische Individuen aus unterschiedlichen Kulturen, darunter neue Genomdatensätze von 116 Individuen aus 14 europäischen und zentralasiatischen Ländern sowie 125 Forscher aus 13 Ländern, die gegraben, gesucht, im Labor geforscht und am Computer verglichen haben.
Um zu verstehen, was sie gemacht haben, müssen wir uns in die letzte Eiszeit zurück begeben: Bisher galt als gesichert, dass der Homo sapiens das große Frieren auf der iberischen Halbinsel und in Süditalien überlebte. Als es dann langsam wieder wärmer wurde, eroberte er vom Süden Europas aus den ganzen Kontinent. Dachte man zumindest. Posth: „Mit unseren Daten können wir nun erstmals untermauern, dass das zwar für Südwesteuropa stimmt, nicht aber für Süditalien“.
Dort gab es einen regelrechten Bevölkerungsaustausch.
Die in Zentral- und Südeuropa lebenden Jäger und Sammler der sogenannten Gravettien-Kultur sind nach dem Kältemaximum genetisch nicht mehr nachweisbar und gelten damit als ausgestorben. Stattdessen ließen sich Menschen mit einem neuen Genpool nieder.
Blaue Augen, dunkle Haut
Über die Zuwanderer wissen Posth und seine Kollegen aber einiges. Woher? „Hunderte Zähne und Knochen und jeder erzählt seine eigene Geschichte. Gemeinsam ergeben sie ein neues Gesamtbild“, sagt er lapidar und erzählt die Geschichte eines Paares, das mit seinem Hund vor etwa 14.000 Jahren im deutschen Oberkassel bestattet wurde. „Die beiden besitzen einen neuen bis dahin in Europa unbekannten Genpool. Sie sind die Ersten mit blauen Augen und dunkler Haut in Mitteleuropa.“ Aus dem Erbgut konnten Posth und sein Team ableiten, dass das Paar mit der ersten Erwärmung nach der Eiszeit aus Südeuropa über die Alpen kam.“
Die Anthropologen haben auch eine Vermutung, was passiert sein könnte – klimatische Veränderungen, auf die Menschen durch Wanderung reagierten: „Damals erwärmte sich das Klima in kurzer Zeit deutlich und Wälder breiteten sich in ganz Europa aus. Möglicherweise war dies für die Menschen aus dem Süden Anlass, ihren Lebensraum auszuweiten. Die früheren Bewohner hingegen könnten mit dem Schwund ihres Lebensraumes, der Mammutsteppe, verdrängt worden sein“, sagt Johannes Krause, Seniorautor der Studie vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Was mit der ersten Gruppe von Homo sapiens, die in Europa siedelte, passiert ist, können die Wissenschafter nicht sagen. Nur so viel: „Jedenfalls sind sie nicht mehr da.“
Klimagewinner
Dafür können die Wissenschafter über die Herkunft der Klimagewinner einiges sagen: „Wie wir sehen konnten, unterscheiden sie sich genetisch stark von den vorherigen Bewohnern der italienischen Halbinsel“, sagt Mitautorin He Yu. Die Forscher vermuten, dass sie vom Balkan nach Norditalien einwanderten. Anhand der analysierten Genome lässt sich auch nachvollziehen, dass die Nachfahren dieser frühen Einwohner der italienischen Halbinsel dann vor etwa 14.000 Jahren über ganz Europa verbreiteten waren.
„Wir sehen nicht nur, dass es damals einen Bevölkerungsaustausch gab, sondern auch, dass die Population ganz homogen ist. Sie sind sich, genetisch gesprochen, superähnlich“, ergänzt Posth.
Das bedeutet: Die Migranten besiedeln ganz Europa, ohne sich mit der lokalen Population zu vermischen. Auch danach halten sich andere genetische Einflüsse in Grenzen.
von Cosimo Posth
Anthropologe
Erst vor 8.000 Jahren vermischten sich die europäischen Jäger und Sammler wieder mit Zuwanderern. In dieser Zeit breiteten sich Ackerbau und sesshafte Lebensweise von Anatolien nach Europa aus. Krause: „Möglicherweise löste die Einwanderung der frühen Bauern einen endgültigen Rückzug der Jäger und Sammler an den nördlichen Rand Europas aus – und gleichzeitig begann eine genetische Vermischung zwischen beiden Gruppen, die fast 3.000 Jahre andauerte“.
Cosimo Posth hat aus seiner Arbeit jedenfalls viel gelernt, sagt er: „Es gab in Europa viele Kulturen und plötzlich waren sie nicht mehr da. Gleichzeitig sehen wir, dass neue Kulturen geboren werden. Und das ist schön.“
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