Fataler Irrtum: Warum Schildkröten und Fische Plastik fressen

Meeresschildkröten kämpfen ums Überleben.
Studie: Der täuschende Geruch von Mikroorganismen auf dem Plastik zieht Meereslebewesen an.

Weltweit fressen Schildkröten und andere Meereslebewesen Plastikmüll – und sterben daran. Der Grund dafür könnte der spezielle Geruch des Plastiks im Meer sein. Dies berichtet jedenfalls der Meeresbiologe Joseph Pfaller von der University of Florida in Gainesville im Fachblatt Current Biology. Sein Team und er haben ermittelt, dass die anziehenden Gerüche von Mikroorganismen stammen, die sich im Müll gebildet haben und als sogenannter Biofilm den Eigengeruch von Plastik übertünchen.

Fatale Fehleinschätzung

„Wir gehen schon seit längerer Zeit davon aus, dass die Meereslebewesen nicht nur vom Aussehen, sondern auch vom Geruch von Plastikmüll angezogen werden“, erklärt dazu der Meeresbiologe und Zoologe Gerhard Herndl von der Universität Wien.

Immer wieder sterben Schildkröten an gefressenem Plastik, oder sie verheddern sich im Müll, der im Meer treibt. Lange Zeit gingen die Forscher davon aus, dass die Tiere das Plastik wegen des Aussehens mit Beutetieren verwechseln – zum Beispiel Plastiksackerln mit Quallen.

Die US-Forscher setzten bei ihrer Studie in Florida 15 junge, in Gefangenschaft aufgezogene Unechte Karettschildkröten (lateinisch Caretta caretta) auf unterschiedliche Gerüche an. Sie beobachteten dann detektivisch ihr Verhalten.

Die Gerüche haben sie durch ein Rohr über ein kleines Becken eingeleitet. Das anziehende Aroma bestand aus dem Duft von Fisch und Garnelen sowie aus dem Geruch von Plastik, an dem sich Mikroben, Algen, Pflanzen und Kleintiere abgelagert hatten. Zur direkten Kontrolle haben die Biologen Gerüche von entionisiertem Wasser und sauberem Plastik verwendet.

Das Verhalten der Schildkröten war laut Ausführungen von Joseph Pfaller bezeichnend: Im Vergleich zu den Kontrollgerüchen hielten sie ihre Nasen mehr als drei Mal länger aus dem Wasser, sobald die Forscher den Geruch von Essen oder von Plastik mit Ablagerungen über das Wasser geleitet haben. Studienleiter Pfaller zeigt sich in seinem Forschungsbericht überrascht, „dass die Schildkröten auf Gerüche aus Plastik mit den Biofilm-Ablagerungen mit der gleichen Intensität reagiert haben wie auf ihr natürliches Futter“.

Auch Speisefische

Für den Wiener Meeresbiologen Gerhard Herndl kommen die Ergebnisse nicht weiter überraschend: „Das sind globale Phänomene, die sich auch vor unserer Haustür, etwa im Mittelmeer zeigen.“ Herndl leitet eine internationale Forschungsplattform, die sich mit den Auswirkungen von Plastikmüll auf Mensch und Umwelt befasst. Auch die Wiener Wissenschaftler sind den Plastik-Irrtum auf der Spur: „Wir haben in unserer Forschungsstation in Rovinj ähnliche Beobachtungen gemacht.“

Für Menschen, die gerne Fisch essen, womöglich auch deshalb, weil ihnen Fisch von der Ernährungswissenschaft als eine gesunde Alternative zum Fleisch empfohlen wurde, hat Gerhard Herndl keine gute Nachrichten: „Auch beliebte Speisefische wie Seebrasse und Wolfsbarsch fühlen sich vom Plastik angezogen. Das bedeutet, dass wir dieses Plastik bei Verzehr von Fisch aufnehmen.“

Der US-Forscher Joseph Pfaller stellt in Aussicht, dass zukünftige Studien herausfinden müssten, welche konkrete Arten von Biofilm auf dem Plastik die Meereslebewesen auf die falsche Fährte führen.

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