Ernst Kaltenbrunner, Alois Brunner, Odilo Globocnik, Amon Göth, Arthur Seyß-Inquart, August Eigruber, Heinrich Gross und und und. Dass Österreicher prominent und zahlreich an NS-Verbrechen beteiligt waren, hat die Forschung hinlänglich belegt. Über die Frage des österreichischen Anteils an den NS-Verbrechen herrschen aber heftig divergierende Auffassungen.
So richtete Simon Wiesenthal im Jahr 1966 angesichts der schleppenden und zögerlichen Verfolgung von NS-Verbrechen durch die österreichische Justiz ein Memorandum an die Bundesregierung. Und wies darin auf die besondere Beteiligung von Österreichern an nationalsozialistischen Verbrechen hin. Weiters führte er aus, „dass die österreichische Bevölkerung im Großdeutschen Reich nur 8,5 Prozent ausmachte, der Prozentsatz der Täter aus Österreich aber bedeutend höher“ läge. Er könne mit zahlreichen Beweisen die These belegen, dass „die Österreicher während der NS-Zeit am Tod von etwa drei Millionen Juden schuldig waren". Wiesenthal hat die Aussage des öfteren widerholt.
Lange hat das niemand einem Faktencheck unterzogen. Jetzt aber hat der Zeithistoriker Kurt Bauer die geschichtspolitisch durchaus umstrittenen Behauptung, Österreich habe während des Nationalsozialismus verhältnismäßig mehr NS-Täter als Deutschland hervorgebrach, überprüft. Die Antworten, die er in seiner jüngsten Studie gefunden hat, fallen differenziert aus: Nein, ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Österreichern an den NS-Tätern ist nicht nachweisbar. Die „Täterthese“ ist für ihn ebenso wie die wissenschaftlich längst widerlegte „Opferthese“ nicht haltbar.
Zahlen
Bauer hat seit 2019 für die Universität Graz in Kooperation mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung am Projekt mit dem Titel „Wie hoch war der Anteil von Österreichern an den nationalsozialistischen Tätern?“ geforscht und auch die Herkunft der NSDAP-Mitglieder, der SS-Leute sowie des Personals in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern untersucht. Sein Fazit: Trotz einiger statistischer Schwankungen entspricht die Zahl der beteiligten Österreicher in etwa dem „ostmärkischen“ Bevölkerungsanteil im Großdeutschen Reich von knapp neun Prozent. Von den Höheren SS- und Polizeiführern waren zwar fast 15 Prozent aus Österreich, der Anteil am KZ-Personal lag dafür deutlich unter dem Durchschnitt. „Österreicher waren also nicht stärker an Nazi-Massenverbrechen beteiligt als Deutsche“, so Bauer. „Wie die offizielle Opferthese ist auch die inoffizielle Täterthese ein Geschichtsmythos.“
Grundsätzlich machten die Ostmärkerinnen und Ostmärker etwa 8,8 Prozent der Bevölkerung des Deutschen Reichs aus, ähnlich hoch war auch der Anteil bei den NSDAP-Mitgliedern.
Bisher wurde gerne kolportiert, dass etwa 40 Prozent der Besatzung der nationalsozialistischen Vernichtungslager und 14 Prozent sämtlicher SS-Leute Österreicher gewesen seien. Das entbehre, laut Bauer, einer faktischen Grundlage.
In den meisten der 20 von Historiker Bauer analysierten Tätergruppen liegt der österreichische Anteil knapp unter den 8,8 Prozent. Deutlich höher ist er nur im KZ Mauthausen (15,9 Prozent des Personals), den Höheren SS- und Polizeiführern (14,9 Prozent) und den Medizinerinnen und Medizinern in Konzentrationslagern (11,2 Prozent Österreicher).
Historiker Bauer will seine 270 Seiten starke Studie aber keinesfalls als Reinwaschung verstanden wissen: Die Schuld, die die österreichische Gesellschaft in dieser Zeit auf sich geladen hat, bleibe aufrecht.
Wobei wir es in einem Punkt auf unrühmlich hohe Zahlen bringen: NS-Täter wurden in Österreich mit wesentlich weniger Nachdruck verfolgt als in Deutschland. Bauer: „Uns ist es zu lange gelungen, die Mitverantwortung und Schuld zu externalisieren. Es bleibt also beim moralischen Auftrag, diese dunklen Jahre weiter aufzuarbeiten“, fordert der Historiker.
Hinweis: Die Ergebnisse der Untersuchung werden morgen, 27. Jänner, anlässlich des Holocaust-Gedenktags veröffentlicht.
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