Der Papst – das war Pius IX., „der im Laufe seines Pontifikats einen Horror gegen liberale Positionen entwickelte“, erzählt Thomas Prügl. Der Professor für Kirchengeschichte an der Universität Wien weiß über Pius zu berichten: „Er hat sehr verheißungsvoll gestartet, war Reformen gegenüber aufgeschlossen. Bis 1848/49 die Revolution dazwischen kam und der Ministerpräsident des Kirchenstaates erschossen wurde.“ Der Papst musste aus seinem Reich flüchten – eine Schmach, die er sein Leben lang nicht vergessen sollte. „Und das hat ein völliges Umdenken bei ihm verursacht. Danach hat er alles Revolutionäre, Neue als bedrohlich gesehen. Ein strikt antimoderner Kirchenkurs war die Konsequenz.
Außerdem sei die Kirche damals weltanschaulich in der Defensive gewesen. Prügl: „Erstmals kamen atheistische Philosophien auf – Strömungen, die Religion dezidiert kritisch sahen. Das war ein Angriff auf das Deutungsmonopol und den Wahrheitsanspruch der Kirche – und das ging überhaupt nicht.“
Ganz zu schweigen von den neuen politischen Formen, die im 19. Jahrhundert aufkamen: Parteien? Parlamente? Liberalismus? Weltanschauliche Mehrheiten, die über Regierungen entscheiden. Was soll das? „Man hat der alten Zeit nachgetrauert, in der eine Koalition von Thron und Altar bestanden hat. Alle Reformen, die in die Moderne wiesen, sind als Angriff auf ein christliches Weltbild gesehen und verdammt worden“, analysiert der Kirchenhistoriker.
Zwei Dokumente
Vor diesem Hintergrund hat das Konzil zwei Dokumente verabschiedet. Das erste war unumstritten und befasste sich mit dem Verhältnis von Glaube und Wissen – man postulierte „einen Glauben, der nach Erkennen und Verstehen sucht“, sagt Prügl.
Das zweite Dokument war heiß umstritten: Schon vor dem Konzil spitzte sich die Lage zu, als publik wurde, dass die Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen verkündet werden sollte, notfalls durch Akklamation, also ohne förmliche Abstimmung. Vor allem aus Deutschland, Österreich Ungarn, aber auch aus Frankreich und Amerika kam Widerstand.
Steht nicht in der Bibel
Prügl: „Diese Minderheit war vehement gegen die Unfehlbarkeit als Dogma. Die meist deutschsprachigen Bischöfe argumentierten: ,Das steht nicht in der Bibel!’“ Die hauptsächlich romanischen hielten dagegen, dass man das Dogma jetzt brauche, weil der Papst für die Katholiken eine Instanz sein müsse, die in dieser unüberschaubaren, sich unendlich schnell entwickelnden Zeit sagen kann, was falsch und was richtig ist. Die Hoffnung war, dass das Dogma ein stabilisierender Faktor sein könnte – „eine Richtschnur, was der Katholik glauben muss, da sich wissenschaftlich, philosophisch und politisch so viel tut“, sagt der Kirchenhistoriker.
Im Juli 1870 starteten die Gegner einen letzten Versuch, den Beschluss zu verhindern – 57 Kardinäle reisten vorzeitig ab. „Das beeindruckte weder den Papst noch die anderen Bischöfe – das Kalkül ging nicht auf“, sagt Prügl. Am 18. Juli wurde über die Konstitution „Pastor aeternus“ abgestimmt – begleitet von einem schrecklichen Unwetter , das die Basilika mitten im Juli in Dunkelheit hüllte. Kardinäle und Bischöfe waren durchnässt, der Boden der Aula lehmverschmiert.
Nur einmal
Trotzdem wurde der Papst wurde mit nur zwei Gegenstimmen unfehlbar. „Der Widerstand führte aber dazu, dass die Unfehlbarkeit auf Ausnahmefälle begrenzt wurde. Und die Geschichte gab dem recht: Seit 1870 haben die Päpste nur ein einziges Mal von der Unfehlbarkeit Gebrauch gemacht – 1950, als Pius XII. das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel als eine Glaubenswahrheit dogmatisiert hat“, erzählt der Konzilsexperte. Und weiter: „Dem aktuellen Papst ist es noch nicht im entferntesten eingefallen, von dieser Kompetenz Gebrauch zu machen.“
Das sei bei Johannes Paul II. anders gewesen. „Der hat ernsthaft überlegt, ob er die Unmöglichkeit des Priestertums der Frau nicht als Dogma verankern soll. Viele haben ihm abgeraten, auch Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI.“
P.S. Eine kleinere Zahl von Katholiken aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unter Führung des angesehene Theologe und Kirchenhistorikers Ignaz von Döllinger weigerte sich, die Feststellungen von „Pastor aeternus“ zu akzeptieren und wurde daraufhin von der römisch-katholischen Kirche exkommuniziert. Diese Exkommunikation haben Döllinger und seine Gefährten als unrechtmäßig angesehen und gründeten daraufhin die Christkatholische bzw. Altkatholische Kirche.
P.P.S. Dem Konzilsentscheid folgte außerdem der Exodus zahlreicher Intellektueller.
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