Der Erfolg des Genetikers führt auch die Meinung vieler Österreicher, dass Wissenschaft in ihrem Leben nicht wichtig sei, ad absurdum. (Anmerkung: Im Eurobarometer, einer EU-weiten Umfrage zu verschiedenen Themen, fielen die heimischen Bürger durch besondere Wissenschaftsskepsis auf.) Die heuer von den beiden wichtigsten Wissenschaftsmagazinen ausgezeichneten Leistungen lesen sich jedenfalls wie ein Querschnitt durch all das, was uns 2022 beschäftigen hat:
Da ist zum einen die Verabschiedung eines bahnbrechenden Klimagesetzes (Science), zum anderen der chinesische Forscher Yunlong Cao, der entscheidend dabei geholfen habe, die Veränderungen des Erregers SARS-CoV-2 besser zu verstehen (Nature). Weiters auf der Nature-Top-Ten-Liste: Die Wissenschafterin Lisa McCorkell, die selbst an Long Covid leidet und die Erforschung dieses Zustandes vorangetrieben hat; Dimie Ogoina von der Niger Delta University in Nigeria, die wichtige Informationen lieferte, mit denen dem Mpox-Ausbruch (Affenpocken) entgegengewirkt werden konnte; und der Chirurg Muhammad Mohiuddin, der mit seinem Team ein genetisch verändertes Schweineherz einem Menschen eingepflanzt hatte. Science würdigt außerdem die Identifizierung des Virus, das Multiple Sklerose verursachen könnte, und Fortschritte bei einem RSV-Impfstoff.
Bei jeder der wissenschaftlichen Erkenntnisse verbietet sich die Frage nach dem unmittelbaren Nutzen für den Einzelnen.
And the Winner is: James Webb
Ein wenig anders verhält es sich da schon beim absoluten Favoriten auf den Titel Wissenschaftsdurchbruch 2022. Hier sind sich Science und Nature nämlich einig: Das James-Webb-Teleskop soll es sein.
Bereits wenige Tage nach der Inbetriebnahme Ende Juni 2022 entdeckten die Forscher so Tausende neue Galaxien, die weiter entfernt und älter sind als alle bisher dokumentierten. Einige davon sind vielleicht mehr als 150 Millionen Jahre älter als die ältesten von Hubble identifizierten. Darüber hinaus ist das Teleskop in der Lage, genügend Licht von astronomischen Objekten – von gebärenden Sternen bis hin zu Exoplaneten – zu sammeln, um zu erkennen, woraus sie bestehen und wie sie sich durch den Weltraum bewegen.
Diese Daten enthüllen die atmosphärische Zusammensetzung von Planeten, die Hunderte von Lichtjahren von der Erde entfernt sind, in allen Einzelheiten und geben Hinweise darauf, ob sie möglicherweise Leben, wie wir es kennen, beherbergen können.
Sinn und Zweck? Kein unmittelbarer. Doch wer fragt bei einer Fußball-WM oder beim Neujahrskonzert danach?
Wer sich aber für Wissenszuwachs erwärmen kann, wird seine helle Freude an den weiteren Durchbrüchen 2022 haben: die Entdeckung einer riesigen Mikrobe, die fast 5.000-mal größer ist als viele andere Bakterienzellen; neue Erkenntnisse darüber, wie der Schwarze Tod die Gene der Europäer veränderte oder ein uraltes Ökosystem, das aus zwei Millionen Jahre alter Umwelt-DNA rekonstruiert wurde, die im grönländischen Permafrostboden konserviert wurde.
Und wer weiß, wofür das Wissen einmal gut ist? Das nennt sich Grundlagenforschung.
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