Diese Bilder vom Kriegsende haben Sie noch nie gesehen
"Und vor dem Haus direkt am Marktplatz wurde die Wachhütte der Roten Armee aufgebaut, die Zonengrenze verlief mitten durch die Gemeinde. Die Hälfte der Bevölkerung musste dann über die Berge nach Unzmarkt einkaufen gehen. Nur mit Erlaubnisschein durfte man passieren, und viele trauten sich gar nicht, zum Schranken nur hinzuschauen. Fotografieren war streng verboten." So erzählte es Flora Engel 1998 in einem Interview.
Die junge Frau wohnte gegenüber der Wachhütte der Soldaten im steirischen Oberzeiring. Am 10. Mai pfiff sie - als die Wache einmal zur Mittagszeit kurz einschlief - todesmutig auf das Fotografier-Verbot. Engel versteckte die Kamera halb hinter dem Fensterstock.
"Ihre Hand zitterte so sehr, dass es ihr nicht gelang, ein scharfes Foto zu machen", sagt Stefan Benedik, der das Bild wie viele andere in seine Webausstellung "Zwischen den Zeiten: Frühling und Sommer 1945 in Fotos" aufgenommen hat.
Neben bekannten Bildern vom Kriegsende zeigt das Haus der Geschichte Österreich (hgdö) derzeit viele bisher noch nie öffentlich gezeigte Fotografien aus spezialisierten Archiven und privaten Sammlungen aus ganz Österreich – online und für jeden per Smartphone zugänglich.
hdgö- Direktorin Monika Sommer nennt es gerne das "Museum in der Westentasche".
Zwischen Alltag und Propaganda
"Nach dem Ende des Krieges wurden die Zerstörungen durch die militärischen Auseinandersetzungen ein beliebtes Motiv – ein Blick auf die weniger bekannteren Bilder lohnt sich jedoch", sagt Sommer.
So werde greifbar, welche Erfahrungen aufeinanderprallten. "Wir stellen Bilder von Profis und Amateuren, von Militärpropaganda und Fotojournalisten gegenüber und geben damit einen neuen Einblick in diese Zeit zwischen den letzten Kampfhandlungen und dem beginnenden Alltag" ergänzt Webkurator Benedik.
Der "totale Krieg" bestimmte den Alltag der Menschen schon seit langem. Auch der Krieg im Inneren erreichte eine neue Dimension. Je weiter die Alliierten vorrückten, desto fanatischer die Durchhalte-Parolen und grausamer die Gewalt.
Benedik: "Die Politik der verbrannten Erde war aber oft reine Rhetorik. Vor allem Frauen entlarvten die militärisch weitgehend sinnlosen Aktionen, indem sie alles fotografierten. Diese Fotos führen die Durchhaltepropaganda vor", sagt der Historiker.
Wie jenes von der Panzersperre im oberösterreichischen Lembach aufgenommen von Berta Ensbrunner: Die Baumstämme und Steine sollten Hindernisse für die vorrückenden US-Truppen bilden, vor allem aber die NS-Durchhalteparolen unterstützen.
Sinnlos: Am 8. Mai 1945 war das Ende da: "Übrigens gibt es keine echten Fotos vom Kriegsende“, verrät Benedik. Für die eigene Presse inszenierten sowjetische und US-amerikanische Fotografen Bilder letzter Kämpfe genauso wie Aufnahmen friedlicher Übergaben.
"So wurden die Kämpfe um Wien von den Allierten zwischen dem Museen nachgestellt – in heroischen Posen, um vor dem Hintergrund der Ringstraßenbauten für die heimische Presse Bilder zu haben, die den Mut der Truppen zeigen.
Nur wenige Wochen danach kündigen Plakate wieder eine breite Palette an Veranstaltungen an, darunter auch Jazz oder Mendelssohn, der davor verboten war. Die Fotos zeigen Litfaßsäulen inmitten von Schutt und Veranstaltungsräume, die nur improvisiert sind.
Dennoch vermitteln solche Bilder Zuversicht inmitten einer Gesellschaft, deren Leben von Mangelversorgung geprägt ist. Die alliierte Verwaltung verspricht auch einen neuen – modernen – Lebensstil zwischen amerikanischem Kaugummi und sowjetischen Straßenpolizistinnen.
Besucherrekord
Die Museumsbesucher scheinen es zu mögen. Noch nie seit der Eröffnung des Museums gab es so viele digitale Besucher, berichtet hdgö-Chefin Sommer: Ein Vergleich fünf Wochen vor und fünf Wochen in der Corona-Phase zeigt eine Steigerung um 46 Prozent.
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