Byzanz war Jahrhunderte lang Drehscheibe für Migration
Südosteuropa, 8. Jahrhundert: Unzählige Unglückliche werden als Sklaven in die arabische Welt verkauft und treffen dort auf Leidensgenossen aus Ostafrika. Eine Praxis, die auch in den folgenden beiden Jahrhunderten gang und gäbe war.
Byzanz, 10. und 11. Jahrhundert: Eine Prinzessin reist zwar komfortabel, aber genauso unfreiwillig Richtung Norden um einen russischen Fürsten zu heiraten.
Südsibirien, 13. Jahrhundert: Zehntausende dort heimische Oiraten werden von den mongolischen Herrschern in den mehr als 5.000 Kilometer entfernten heutigen Irak umgesiedelt. Von dort flieht wiederum ein großer Teil 1296 an die Mittelmeerküste des heutigen Israel.
"Beim Begriff 'Völkerwanderung' denken immer noch viele an 'barbarische Horden', die Imperien und Zivilisation zerstören", sagt Johannes Preiser-Kapeller. Der Byzantinist und Globalhistoriker am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist Mitherausgeber eines Buches, das Byzanz als Dreh- und Angelpunkt der freiwilligen wie erzwungenen Wanderungsbewegungen zwischen Afrika, Asien und Europa beleuchtet.
"Im Buch wird deutlich, wie sehr alle diese Großreiche wie Byzanz, das Kalifat oder das Mongolen-Reich auch jenseits von Eroberungszügen selbst auf Migration angewiesen waren und diese aktiv innerhalb, aber auch von außerhalb ihrer Grenzen gefördert haben."
Der Band "Migration Histories of the Medieval Afroeurasian Transition Zone. Aspects of mobility between Africa, Asia and Europe, 300-1500 C.E." ist in der Reihe "Studies in Global Migration History" bei Brill erschienen. Entstanden ist das Buchprojekt in dem von Wittgensteinpreisträgerin Claudia Rapp geleiteten FWF-Projekt "Moving Byzantium" an der ÖAW und der Universität Wien. Durch eine Förderung des FWF ist das Buch zum freien Download (open access) verfügbar: https://brill.com/view/title/55556
Die gesamte Menschheitsgeschichte ist eine Migrationsgeschichte. Seit Jahrtausenden haben Menschen ihr Zuhause verlassen, um woanders Fuß zu fassen, ob erzwungen oder freiwillig. Davon zeugen die historischen Migrationen des 19. und 20. Jahrhunderts genauso, wie die Zeit der sogenannten "Völkerwanderung" in Westeuropa im 4. bis 6. Jahrhundert.
Was weniger bekannt ist: Das Byzantinische Reich stellte zwischen dem 4. und dem 15. Jahrhundert eine zentrale Drehscheibe der Mobilität zwischen den drei Kontinenten Europa, Asien und Afrika dar und zog aktiv Migranten aus den Nachbargebieten an. Das neues Buch zeigt, wie beeindruckend Dimension und Reichweite dieser Migrationen waren.
Venedig warb um Zuwanderer
Wie wechselhaft sich die Migrationspolitik der damaligen Staaten gestaltete, verdeutlicht ein weiteres Kapitel der Geschichte, das im Buch behandeltet wird: Während Venedig den Zuzug in seine Kolonien in der Ägäis im 13. Jahrhundert stark beschränken wollte, warb man nach den Bevölkerungsverlusten durch die Pest um 1350 um Zuwanderer aus Griechenland, Kleinasien und Armenien.
Migration als Konstante
Migration als ein Phänomen, das es in der Geschichte schon immer gab, wird in der Gegenwart häufig falsch eingeschätzt. Historiker Preiser-Kapeller: "Migration wird in der öffentlichen Debatte seit Jahren meist als Ausnahmesituation, als Herausforderung oder sogar Bedrohung diskutiert. Unser Buch beleuchtet demgegenüber die Migration als Konstante der menschlichen Erfahrung, auf deren Grundlage überhaupt erst jene politischen Gebilde, Kulturräume und religiösen Sphären entstehen konnten, deren Grenzen wir heute als stabil oder gar als Hindernis für Migration wahrnehmen wollen."
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