Alles begann im Dörfchen Scrooby in der Grafschaft Nottinghamshire. Die dortigen Puritaner hatten mit der anglikanischen Kirche gebrochen. Anders als andere Sekten – Ash: „Damals gab es viele.“ – wollten sie die Staatskirche nicht von allen Elementen des verhassten katholischen Papismus reinigen, sondern schlicht abschaffen. Das bekam ihnen nicht gut – Anfang des 17. Jahrhunderts mussten sie in das calvinistische Holland fliehen.
Doch auch dort sahen sie keine Zukunft. Von der Plymouth Company, die im Auftrag der englischen Krone die neuen Übersee-Gebiete verwaltete, erwarben sie Siedlungsrechte in Neuengland, das Geld für die Überfahrt liehen sie von einer Londoner Kaufmannsvereinigung. Mit gewaltigen Schulden machten sie sich auf die Reise.
Saints & Stranger
102 Passagiere plus Besatzung – nur die Hälfte gehörte der religiösen Minderheit an, die sich selbst Saints“, „Heilige“, nannte. Die anderen: „Strangers“, „Fremde“, waren Angehörige der anglikanischen Kirche.
Auf dem Atlantik geriet die Mayflower immer wieder in Stürme, der Kapitän muss mehrfach die Route ändern. Und statt südlich des Hudson-Rivers, wo die Auswanderer ihr Stück Land erworben hatten, landete das Schiff am Cape Cod. Das brachte die „Strangers“ auf die Palme. Sie fürchten, unter die Fuchtel der Heiligen zu geraten. Also setzte die Schicksalsgemeinschaft wieder Willen gemeinsam einen Vertrag auf: den „Mayflower Compact“. Er soll allen – wohlgemerkt Männern – in der neuen Kolonie gleiche Rechte garantieren: „Wir haben beschlossen, die erste Kolonie zu gründen, und schließen feierlich und gegenseitig in Anwesenheit Gottes und eines jeden anderen einen Vertrag und vereinen uns alle zu einer zivilen, politischen Körperschaft, um uns besser zu organisieren und weiterem Bevorstehenden zu trotzen.“
Alle Macht dem Volk
Hier, so wird vertraglich festgelegt, zählt nur das Recht der Mehrheit und alle Mitglieder leben nach denselben Gesetzen. Das sei nichts anderes als, „dass eine Gruppe von Menschen beschließt, sich selbst zu regieren“, kommentiert Ash.
Wobei die Puritaner nicht im Sinn hatten, eine Demokratie einzuführen. „Die war damals eher negativ besetzt im Sinne von ‚Herrschaft des Mobs‘. Was sie eigentlich wollten, war eine Kolonie mit eigenen religiösen Prinzipien zu gründen“, sagt der Historiker, der aus New York stammt und in Harvard Geschichte studiert hat. „Ich nenne das eine Theokratie. Eine Art Paradies auf Erden. “
Im „Mayflower Compact“ stecke aber auch ein ständiges Dilemma für Amerika, das derzeit wieder akut geworden sei. Ash: „Da ist einerseits die strenge Religiosität und andererseits die säkulare Rechtsordnung sowie Individualität.“
Erster Landgang
Nachdem alle 41 Männer an Bord den Vertrag noch in der Kajüte unterzeichnet hatten, verließen die Passagiere gemeinsam das Schiff – der erste Landgang nach gut zwei Monaten. „Sie fielen auf die Knie und segneten Gott im Himmel, der sie über den riesigen und wütenden Ozean hierher geführt“, schreibt einer der Pilger später. Am 20. Dezember 1620 hatte man einen Platz gefunden, wo man sich niederlassen wollte. Einen 50 Meter hohen Hügel direkt am Ufer – Plymouth Plantation.
Schnell schlossen die Zuwanderer Freundschaft mit dem Indianerstamm der Wampanoag, ohne deren Hilfe die Pilgerväter, wie sie später genannt wurden, das erste Jahr nicht überlebt hätten. „Sie hatten keine Ahnung, wie sie mit dem kargen Boden umgehen sollten, wussten mit dem heimischen Pflanzen nichts anzufangen“, erzählt Ash. Erst die Indianern brachten ihnen alles bei und sorgten für eine gute Ernte. Gemeinsam feiern sie im Frühherbst 1621 ihr erstes Erntedankfest.
„Später konstruierte man daraus eine identitätsstiftende Erzählung, die aber erst im 20. Jahrhundert zur Meistererzählung wurde, als man sie an den Schulen zur Wurzel der Thanksgiving-Feier, dem wichtigsten Familienfest in den Vereinigten Staaten, stilisierte.“
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