Demografie-Panik: Das Spiel mit der Angst

In einer Zeit globaler Umbrüche und gesellschaftlicher Verunsicherung gewinnen rechtspopulistische und demokratiegefährdende, politische Strömungen zunehmend an Einfluss. Dazu reicht ein Blick in die USA, Türkei oder – direkt zu unseren Nachbarn – nach Ungarn. Aber wie kommt es zu diesen autokratischen Tendenzen? „Für viele Menschen ist nicht erkennbar, wie und von wem über ihre soziale und wirtschaftliche Zukunft entschieden wird. Dadurch sehnen sie sich nach den vermeintlich ,guten alten Zeiten’, in denen angeblich Nationalstaaten noch selbst bestimmen konnten. Ein Teil dieser Nostalgie ist die Fantasie von einer homogenen, ‚reinen’ Gesellschaft und Kultur“, sagt Prof. Shalini Randeria, Sozialanthropologin und Rektorin der Central European University (CEU) in Wien.
Die Angst
Auf dieser Sehnsucht baut ein zentrales Element der rechten Rhetorik auf: die bewusste Instrumentalisierung von Demografie-Panik – der Angst vor dem „Bevölkerungsaustausch“, vor Migration und dem vermeintlichen „Verschwinden“ nationaler Identitäten. „Mit dem Begriff werden heute Ängste vor einer sogenannten Entvölkerung in Europa bezeichnet“, sagt Randeria. Diese Panik, so die Wissenschafterin, nähre sich aus der Angst vor sinkenden Geburtenraten, einer alternden Gesellschaft und wachsender Migration.

Shalini Randeria, geboren in den USA, ist eine indische Sozialanthropologin. Sie studierte in Delhi, Heidelberg und Oxford und promovierte an der FU Berlin. Seit 2021 ist sie Rektorin der CEU. Sie publiziert zu Themen wie Globalisierung, Recht, Staat und sozialen Bewegungen.
Das Feindbild
Eine solche Angstrhetorik diene auch dazu, traditionelle Rollenbilder zu stärken. „Um die Geburtenrate der heimischen Bevölkerung zu erhöhen, sollen patriarchalische Normen gestärkt und Frauen in ihre häusliche Rolle als Mütter zurückgedrängt werden, beispielsweise durch die von der FPÖ erst kürzlich vorgeschlagene Herd-Prämie“, erklärt Randeria. Verantwortlich für den „Niedergang“ der Nation seien in dieser Ideologie Feminist*innen und queere Menschen, „die sich der Pflicht zur Reproduktion der Nation entziehen.“ Aber nicht nur sie. Als größtes Feindbild werden immer noch Migrant*innen stilisiert. „Sie gelten als Menschen, die aufgrund ihrer ursprünglichen Herkunft nicht dazugehören können – und auch nicht wollen“, sagt Randeria, die hinter der Instrumentalisierung unter anderem rassistische Motive erkennt. „Die Angst vor demografischem Wandel wird von politischen Akteuren genutzt, um eine Politik gegen Migrant*innen zu legitimieren.“
Es gibt keine faktische Grundlage für einen gegenwärtigen oder gar geplanten Bevölkerungsaustausch."
Die Lüge
Durch dieses kontinuierliche Spiel mit der Angst wird künstlich weiter Verunsicherung gestreut und Hass geschürt, ohne jegliche Evidenz. „Es gibt keine faktische Grundlage für einen gegenwärtigen oder gar geplanten Bevölkerungsaustausch“, so die Sozialanthropologin. Die aktuellen politischen Debatten werden von Wissenschafter*innen laufend untersucht und überprüft, um falsche Argumente faktenbasiert entkräften zu können. „Leider gelingt es damit nicht immer, diesen Ängsten entgegenzuwirken“, sagt Randeria, die in ihrem Podcast „Democracy in Question“ wöchentlich mit Gästen über die Beziehung von Demokratie und Demografie spricht.
Der Ausblick
Die Angst vor Migration ist aber nicht nur unbegründet, sondern wirtschaftlich kontraproduktiv. Wegen sinkender Geburtenraten herrscht in Europa ein Arbeitskräftemangel in allen Bereichen. Die Wirtschaft sollte daher Einwanderung und Integration aktiv fördern.
Wird die Politik also langfristig von dieser Instrumentalisierung der demografischen Panik absehen? Laut Randeria nicht. Für eine tatsächliche Veränderung brauche es einen offenen Dialog über die Notwendigkeit von Migration: „So lange dieser nicht stattfindet und stattdessen Migrant*innen als unerwünschte Fremde gesehen werden, wird keine sachliche Auseinandersetzung zu erwarten sein.“
Mehr Infos unter www.ceu.edu/democracy-in-question

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