Wenn Weihnachten zur Belastung wird

Vor allem ältere Menschen sehnen sich an den Feiertagen nach einem Gesprächspartner, der zuhört
Patchwork-Wahnsinn, Einsamkeit: Im Advent suchen viele Menschen Hilfe bei Beratungsstellen.

"Seit Oktober hab’ ich Bauchweh, wenn ich an Weihnachten denk’", gesteht Hausfrau Luise im Austro-Kultfilm "Single Bells" – und spricht damit vielen Österreichern aus der Seele. Tatsächlich gerät das Familienfest im Film zum Desaster: die Omas streiten, der Baum brennt, Luise ertränkt ihren Frust in Wodka.

Wenn Weihnachten zur Belastung wird

Ganz anders läuft das Weihnachtsfest für den einsamen Großvater, der derzeit via YouTube Millionen Menschen zu Tränen rührt: Jahr für Jahr wartet er vergeblich auf den Besuch seiner Familie – erst, als er seinen Tod vortäuscht, stehen Kinder und Enkel vor der Tür. "Heimkommen", der Werbespot der deutschen Supermarktkette Edeka, wurde seit Ende November mehr als 40 Millionen Mal angeklickt.

Ob Einsamkeit oder hektischer Familientrubel: Weihnachten bringt Emotionen zutage, die das restliche Jahr meist verborgen bleiben. Laut einer Studie des Humaninstituts in Klagenfurt sind 62 Prozent der Österreicher der Meinung, dass das Fest der Freude und der Familie auch "dunkle Seiten" hat: 82 Prozent denken an Einsamkeit, 76 Prozent an Armut, 63 Prozent an Krankheit.

Hohe Erwartungen

Viele Menschen suchen in der Vorweihnachtszeit Hilfe bei verschiedenen Beratungsstellen, wie etwa der Telefonseelsorge der evangelischen und katholischen Kirche. Die Zahl der Anrufe würde vor Weihnachten zwar nicht merklich zunehmen – die Themen seien aber oft andere, berichtet die Wiener Chefin Marlies Matejka. "Im Advent sind Schmerzen und Konflikte viel deutlicher spürbar." Meistens gehe es in der Beratung um die Frage, wie Weihnachten ohne Enttäuschung gelingen kann – nach einer Trennung, nach dem Tod eines lieben Menschen, mit der Patchwork-Familie. Matejka: "Das erste Weihnachtsfest nach dem Verlust eines geliebten Menschen ist schwierig. Man spürt, dass etwas fehlt, und sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit zu Hause."

Die meisten Anrufe würden im Jänner eingehen, wenn das große Fest vorbei ist. "Weihnachten stärkt die Erwartungen aneinander. Man sehnt sich nach einer ‚harmonischen Glitzerwelt‘, nach Glück und Harmonie. Wenn die Erwartungen nicht erfüllt wurden, kommt die große Enttäuschung." Nicht selten würden Anrufer nach den Feiertagen Suizidgedanken äußern.

Emotional aufgeladen

Seit Kurzem gibt es eine weitere Anlaufstelle für Ratsuchende: Das Onlineportal Instahelp bietet Echtzeitberatung mit klinischen Psychologen. "Vor Weihnachten kippen viele Menschen in traurige Verstimmungen", berichtet Univ.-Prof. Ernst Berger, Psychotherapeut und Mitglied im Instahelp-Beirat. "Weihnachten ist emotional aufgeladen. Diese hohe Aufladung definiert sich über Zusammengehörigkeit, Familie. Menschen, denen dieser Aspekt abgeht, sind in dieser Zeit besonders sensibel."

Aus diesem Grund ist die Telefonseelsorge auch am 24. Dezember erreichbar. Marlies Matejka erinnert sich an eine Anruferin am Heiligen Abend: "Eine ältere Dame rief an und sagte: ‚Jetzt ist es acht Uhr, sie haben gesagt, sie kommen, ich habe gewartet, aber sie sind nicht gekommen. Kann ich ein wenig mit Ihnen reden?‘" Der einsame Großvater aus dem Edeka-Spot – er ist kein Einzelfall.

Telefonseelsorge Der Service der evangelischen und katholischen Kirche ist kostenlos und rund um die Uhr (auch an Feiertagen) erreichbar. Tel. 142

Instahelp Auf dem Onlineportal beraten Psychologen in Echtzeit. Kostenloses Erstgespräch, danach ab 19 € pro Woche. https://instahelp.me

Helpline Das Service des Berufsverbandes Österreichischer Psychologen ist von Mo. bis Do., 9.00 bis 13.00 Uhr, erreichbar. www.boep.or.at, Tel. 01/5048000

Institut für Psychosomatik und Verhaltenstherapie Das Grazer Institut bietet kostenlose psychologische Beratung via eMail. www.therapie-online.at

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