Umgang mit dem Tod: "Man nimmt Erfahrungen aus Trauerprozessen mit"

Kinder und Kerzen am Grab.
An den Tagen um Allerheiligen und Allerseelen werden viele Menschen mit vergangenen Verlusterfahrungen konfrontiert. Warum darin eine Chance liegt und wieso Trauer Raum braucht.

"Allerheiligen ist ein Datum, an dem viele eine Gratwanderung begehen", weiß Cornel Binder-Krieglstein. "Zwischen dem Erinnern an etwas Unangenehmes und dem Besinnen auf eine etwaige schöne gemeinsame Zeit", erklärt der Notfallpsychologe. 

Er empfiehlt, die Tage bewusst "als Erinnerungszeit zu nutzen". Wie man den Grundstein für ein "wohliges Totengedenken" legt, erklärt Experte Binder-Krieglstein im KURIER-Interview. 

KURIER: Welche Emotionen tauchen auf, wenn man einen geliebten Menschen verliert?

Cornel Binder-Krieglstein: Trauer ist ein wesentlicher Teil der menschlichen Erfahrungswelt. In der Akutphase tritt oft ein Gefühl des Nicht-Wahrhaben-Wollens ein, ein Abwehrmechanismus. Man schiebt das Ereignis von sich weg, weil es so belastend ist. Infolge kommen meist Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verzweiflung auf. Das Gefühl des Ausgeliefertseins – dass man das, was mit einem passiert, nicht steuern oder kontrollieren kann. Es können auch moralische Bewertungen auftreten: Man denkt etwa "Warum passiert gerade mir so etwas?". Emotionen wie Aggression treten ebenfalls manchmal als Reaktion zutage, oder eine Apathie. 

Warum ist es wichtig, diese Gefühle zuzulassen?

Gefühle zuzulassen, ist ein wesentlicher Resilienzfaktor. Wir wissen, dass Menschen, die offensiv mit Gefühlen umgehen, sie teilen können und nicht alles mit sich allein ausmachen, eine höhere psychische Widerstandsfähigkeit aufbauen können als andere. Dieses Einlassen ist emotional herausfordernd, aber es kann sich lohnen.

Gibt es eine richtige Art zu trauern?

Jeder drückt Trauer auf seine eigene Weise aus. Wichtig ist, dass man den Verlust für sich einordnet, am besten im Kontakt mit dem Umfeld. Hilfreich ist, sich darauf zu besinnen, was einem in früheren Krisen geholfen hat, und das bewusst einzusetzen. Neben dem Anzapfen bewährter Strategien empfehle ich, innere Ressourcen zu nähren. Mit Dingen, die einem ganz persönlich guttun: Das kann ein Vollbad sein, ein Kinobesuch oder Entspannungstechniken.

Können Rituale hilfreich sein?

Rituale aller Art können die Verarbeitung stützen. Hier kann die Religion hilfreich sein, das gilt aber nicht für alle Menschen. Rituale geben Stabilität und Orientierung und ermöglichen es, mit der Trauer umzugehen. 

Welche Rolle spielt das Alter bei der Trauerbewältigung?

Todesfälle können uns in jedem Lebensalter unvermittelt treffen. Personen mit einer gewissen Lebenserfahrung können oft mit neuerlichen Verlustereignissen besser umgehen. Man erwirbt im Laufe der Zeit eben – bestenfalls produktive und nicht dysfunktionale – Fähigkeiten, damit umzugehen. Man nimmt Erfahrungen im Umgang mit Trauerprozessen mit, man lernt, dass man Ressourcen zur Verfügung hat, man weiß ein Stück weit, was auf einen zukommt. Infolge ist man hoffentlich nicht mehr gar so sehr in allen Grundfesten erschüttert.

Wie lehrt man Kinder einen Umgang mit dem Traurigsein?

Man sollte sie – entsprechend an den Entwicklungsstand angepasst – an den eigenen Trauergefühlen teilhaben lassen. Wenn man Kindern einen produktiven Umgang damit vorlebt, hilft ihnen das, selbst Trauerkompetenzen zu erwerben.

Wie geht man in den Tagen um Allerheiligen mit Trauer um? 

Es ist eine Gelegenheit, innezuhalten und nochmals zu betrachten, welchen Umgang man mit der Trauer gewählt hat. Zu schauen, ob er sich gut und stimmig anfühlt oder ob etwas anderes auftaucht. 

Und wenn etwas auftaucht, das einen belastet?

Dann braucht die Psyche vielleicht noch etwas mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Dann wäre es wichtig, das im sozialen Netz zu besprechen, oder sich professionelle Unterstützung zu holen. 

Welche Rolle spielen Trauergruppen?

Selbsthilfegruppen sind niederschwellige Angebote, die regional und oft rasch verfügbar sind – große Vorteile. Grundsätzlich ist der Austausch über produktive Bewältigungsansätze begrüßenswert. Ich empfehle halbangeleitete Gruppen, wo ab und an eine psychosoziale Fachkraft dazukommt und unterstützt, sollte es im Dialog zu einem "Suhlen im eigenen Saft" kommen. 

Was tritt mit der Zeit an die Stelle der Trauer, wenn man sich ihr annimmt?

Eine Integration des Verlusts in den Lebensverlauf. Das Wissen, dass es ein Erfahrungswert ist, den man sich bewusst herholen, aber auch wegschieben kann. Und aus dem man auch Positives schöpfen kann – etwa bei der mitfühlenden Begleitung von Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist.

Kommentare