Sterbehilfe: Lockerung des Verbots wird empfohlen

Assistierter Suizid soll in Ausnahmefällen möglich sein: Kein Bedarf für verfassungsrechtliche Verankerung des Verbots.
Von Uwe Mauch

„Am Ende sollte doch für alle die Barmherzigkeit stehen – und nicht der Richter.“ Mit diesen Worten verteidigte Univ.-Prof. Andreas Valentin, Leiter der Internistischen Intensivstation in der Wiener Rudolfstiftung, eine heftig umstrittene Empfehlung der Bioethikkommission, der er selbst angehört. Alle Empfehlungen des 25-köpfigen Expertengremiums wurden am Donnerstag der Öffentlichkeit vorgestellt und sorgten prompt für Kontroversen (siehe die Reaktionen rechts unten).

Entlastung für alle

Die Mehrheit der Experten aus den Bereichen Medizin, Ethik und Strafrecht regt eine Lockerung des Paragrafen 78 im Strafgesetzbuch an. Der bringt Ärzte mit einem Bein ins Gefängnis, die im Gespräch mit Patienten und Angehörigen das Wort Sterbehilfe auch nur andeuten.

Sterbehilfe: Lockerung des Verbots wird empfohlen
Besuch der anatomischen Sammlung der Medizinischen Universität Wien, "Josephinum" am 13.05.2013 anlässlich der Ausstellung "Amazing Models - Anatomische Modelle in Europäischen Perspektiven", zu sehen vom 24. Mai bis zum 26. Oktober im Josephinum in Wien.
„Es geht uns hier um eine Entkriminalisierung“, erklärte Kommissionsvorsitzende Christine Druml. Die Ärzte sollten ohne Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen über alle Optionen, die die moderne Medizin eröffnet, informieren können. Womit wir beim Herzstück der Empfehlungen sind. Druml: „Als besonders wichtig sieht die Kommission die Vermeidung von unverhältnismäßigen medizinischen Interventionen an.“

Nachdenkphase

Konkret soll Patienten, die aus medizinischer Sicht eindeutig im Sterben liegen, und die auch nach einer bis zu 14-tägigen Nachdenkphase nicht mehr weiter leben/leiden möchten, legal die Möglichkeit geboten werden, zu sterben. Ein oft angeführtes Beispiel: Wenn Ärzte bei einem Schwerstkranken, der eine Lungenentzündung entwickelt, keine Antibiotika mehr verabreichen, ist der Tod programmiert.

Wichtig ist für die Vizerektorin der Medizinischen Universität Wien der Hinweis, dass Extremsituationen wie diese seit Jahren heiß diskutiert werden, in der Praxis jedoch äußerst selten vorkommen würden.

Der Paragraf 78 sollte jedenfalls „überdacht werden“, meinen 16 der 25 Mitglieder. Dazu heißt es im Abschlussbericht: Es sei angebracht, dass Angehörige und persönlich nahe stehende Personen straflos blieben, wenn sie beim Suizid Hilfe leisten. Und zwar dann, wenn Patienten an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leiden, und wenn sie nicht gegen den Willen des Patienten handeln.

Umstritten

Acht Mitglieder sehen eine Regelung in Ausnahmefällen allerdings problematisch und empfehlen keine Änderung im Strafrecht. „Die Frage ist, wie man angemessen damit umgeht“, erklärte der Theologe Walter Schaupp. Assistierter Suizid dürfe nicht zum Normalfall werden.

Einig sind sich die Kommissionsmitglieder, dass die Sterbehilfe – anders als etwa in der Schweiz – weiterhin nicht gewerblich angeboten werden darf. Zuletzt hatte ja das Angebot eines in Zürich situierten Instituts auch in Österreich für Diskussionen gesorgt. Auch eine verfassungsrechtliche Verankerung des Sterbehilfeverbots, wie sie Teile der ÖVP fordern, favorisierte die Bioethikkommission nicht.

Eine weitere Empfehlung blieb am Donnerstag unbestritten: „Wir sehen einen dringenden Bedarf für die Stärkung der Palliativmedizin und der Hospizdienste“, zitierte Kommissions-Vorsitzende Christiane Druml aus dem Bericht. Außerdem sprachen sich die Mitglieder für eine verstärkte Ausbildung in diesem medizinischen Bereich aus. Die Empfehlungen der Kommission sind für die Politik nicht bindend. Vorsitzende Druml wünscht sich eine sachliche Diskussion. Ihr Wunsch ist gestern nicht zu allen durchgedrungen.

Die politischen Nebengeräusche ließen gestern nicht lange auf sich warten. Als Erster meldete sich ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger zu Wort. Eine Lockerung des Strafgesetzes sei der falsche Weg. Er warnte vor einem ethischen Dammbruch: „Gerade Österreich mit seiner Euthanasie-Vergangenheit sollte da doppelt vorsichtig sein.“
Er befürchtet: „Auch Angehörige haben nicht immer ethische Motive. Wenn man einmal die Tür aufmacht, selbst in bester Absicht, kriegt man sie nie wieder zu.“

Auch die Regierungspartner reagierten rasch: „Die Bioethikkommission ist hochrangig besetzt, ihre Mitglieder sind höchstqualifiziert und leisten ausgezeichnete Arbeit. Ein so sensibles Thema wie Sterben in Würde mit NS-Gedankengut in Zusammenhang zu bringen, ist auf das Schärfste zurückzuweisen. Wer so argumentiert, läuft Gefahr, den Nationalsozialismus zu verharmlosen“, konterte SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim.

Die Grünen sehen sich – ähnlich wie die SPÖ – in ihren Forderungen bestätigt. Derzeit gäbe es, wie von der Bioethikkommission konstatiert, einen Graubereich, der durch enge und klare Kriterien abgelöst werden sollte. Diskutiert werden sollte auch eine Reform des Strafgesetzes. „Eine Trennung von Verleitung, die weiter unter Strafe stehen soll, und Hilfestellung erscheint mir sinnvoll“, sagte die grüne Gesundheitssprecherin Eva Mückstein. „In genau umschriebenen Ausnahmefällen sollte die Hilfestellung durch Angehörige, nahestehende Personen und Ärzten möglich sein.“

Behindertenorganisationen und Ärztekammer lehnen die empfohlene Lockerung ab. Leben zu beenden widerspreche dem ärztlichen Berufsethos und dürfe nicht Bestandteil ärztlichen Handelns sein, so Ärztekammerchef Artur Wechselberger.

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